Soros Schmerzen oder Europa ist verrückt

DAVOS/SWITZERLAND, 27JAN10 - George Soros, Chairman, Soros Fund Management, USA, captured during the session 'Rebuilding Economics' of the Annual Meeting 2010 of the World Economic Forum in Davos, Switzerland, January 27, 2010 at the Congress Centre. © World Economic Forum, swiss-image.ch, Foto: Sebastian Derungs

Tel Aviv, Israel (Weltexpress). Georg Soros, der amerikanische Multi-Milliardär, verursacht Benjamin Netanjahu eine Menge Probleme.

In diesem besonderen Augenblick braucht Netanjahu keine Probleme. Eine riesige Korruptions-Affäre, die deutsche Unterseeboote betrifft, kriecht langsam und unaufhaltsam auf ihn zu.

Soros ist ein ungarischer Jude, ein Holocaust-Überlebender. Die ungarische, regierende Partei hat sein Gesicht in ganz Budapest mit einem Text übermalt, der kaum seine antisemitische Absicht verbirgt. Soros Sünde ist seine Unterstützung für Menschenrechtsorganisationen in seiner früheren Heimat. Er macht dasselbe in Israel, wenn auch in viel kleinerem Maßstab. Netanjahu mag ihn auch deshalb nicht.

Dies hat eine sehr schwierige Situation geschaffen. Netanjahu war dabei, Budapest zu besuchen, um seinen ungarischen Kollegen Victor Orban, zu treffen, der verdächtigt wird, ein sanfter Antisemit zu sein. Netanjahu betrachtet ihn als Seelenverwandten vom Rechten-Flügel.

Die ungarische jüdische Gemeinde regte sich auf. Sie verlangte, dass Netanjahu seinen Besuch absagt, bis die Soros-Plakate entfernt worden sind. Schließlich waren die meisten – aber nicht alle – Plakate tatsächlich abgenommen worden, und Netanjahu traf sich mit Orban. Aber die ganze Episode zeigte, dass die Interessen des Staates Israels und die Interessen der jüdischen Gemeinden in aller Welt nicht automatisch identisch sind, wie Zionisten uns gerne glauben machen würden.

Es gab vor dem ungarischen Treffen noch einen anderen Vorfall. Ein paar Tage vorher hatte Orban bei einer öffentlichen Veranstaltung Admiral Miklos Horthy, den Führer des ungarischen Staates während des 2. Weltkrieges gelobt, als Ungarn mit Nazi-Deutschland zusammenarbeitete wie ganz Osteuropa (abgesehen von Polen, das besetzt war).

Wie konnte Orban Horthy am Vorabend von Netanjahus Besuch loben?

Tatsächlich ist Horthys Rolle noch heiß umstritten. Ein selbst erklärter Antisemit und als eine rätselhafte Person gelang es ihm, was keinem anderen europäischen Führer gelang: er rettete viele hundert Tausende von Juden, indem er Hitler nicht gehorchte und ihn betrog.

Einer von ihnen war eine Tante von mir, die einen ungarischen Juden in Berlin heiratete und von den Nazis nach Ungarn deportiert wurde, wo sie überlebte und schließlich Palästina erreichte. Ein anderer war „Tommy“ Lapid, der als Kind im Ghetto von Budapest überlebte, der später eine berühmte Persönlichkeit in Israel wurde. Sein Sohn Yair ist jetzt Politiker, der sich darum bemüht, Netanjahu zu verdrängen. Er würde wahrscheinlich nicht existieren, wenn Horthy nicht so abwegig gehandelt hätte.

Ich kann mich nicht zurückhalten, hier zu unterbrechen und einen historischen Scherz zu erzählen.

Nach Pearl Harbor (April 1941) erklärte Hitler und seine ganze Bande von Kollaborateuren den USA den Krieg. Der ungarische Botschafter in Washington war auch angewiesen, dem Außenminister Cordell Hull eine Kriegserklärung einzureichen, der sich entschloss, ihn zum Narren zu halten.

„Ungarn, Ungarn – seid ihr eine Republik?“ fragte er.

„Nein, wir sind ein Königreich.“

„Wirklich? Wer ist denn euer König?“

„Wir haben keinen König, nur einen Regenten, Admiral Horthy.“

„Ein Admiral? Also habt ihr eine große Flotte?“

„Wir haben keine Flotte, da wir keine Meeresküste haben“. (Horthy wurde während des 1. Weltkrieges Admiral, als Ungarn ein Teil des österreichisch-ungarischen Reiches war, das tatsächlich eine kleine Flotte hatte.)

„Seltsam. Ein Königreich ohne König und einen Admiral ohne Flotte. Warum erklärt ihr uns den Krieg? Hasst ihr uns?“

„Nein, wir hassen Rumänien.“ „Warum erklärt ihr dann nicht Rumänien den Krieg?“

„Unmöglich! Sie sind unsere Verbündeten!“

Entschuldigt bitte, dass ich mich unterbrochen habe. Zurück zu Netanjahu.

Gerade jetzt tut die Netanjahu-Regierung zwei Dinge, die viele Juden in aller Welt wütend macht – und besonders in den US.

Das eine betrifft die Westmauer (vorher die Klagemauer genannt) in Jerusalem. Es ist die heiligste Stätte für das Judentum.

Da ich ein frommer Atheist bin, gibt es für mich keine heiligen Stätten. Umso mehr, da die Westmauer kein Teil des jüdischen Tempels war, der von König Herodes vor 2000 Jahren wieder aufgebaut wurde, sondern nur eine Stützmauer des großen künstlichen Hügels, auf dem der Tempel stand.

Das letzte Mal war ich 1946 dort. Die imponierende Mauer war von einer schmalen Gasse flankiert, die die Mauer noch höher erscheinen ließ. Nach dem 1967er-Krieg wurde das ganze arabische angrenzende Viertel abgerissen, um einem großen Platz Raum zu schaffen. Die Mauer wurde den Ultra-Orthodoxen übergeben, damit sie dafür ihre Stimme in der Knesset geben. An der Mauer wurden Männer und Frauen natürlich getrennt.

Als der Feminismus bedeutsamer wurde, wurde dies problematisch. Zuletzt wurde ein Kompromiss gefunden: ein kleiner Teil der Mauer wurde für „gemischte“ Gebete bestimmt, für Gebete für Männer und Frauen und auch für „reformierte“ und „konservative“ Juden, die es in Israel kaum gibt, aber die die Mehrheit unter den amerikanischen Juden bilden.

Unter orthodoxem Druck wünscht Netanjahu jetzt, dass dieser Kompromiss aufgehoben wird, was unter den amerikanischen Juden große Aufregung verursacht.

Als ob dies nicht genug wäre, wünscht Netanjahu auch die Anerkennung der Konversion zu „Reform-“ und „Konservativen“ Judentum abzuschaffen, um so den Orthodoxen exklusive Rechte bei der Konversion in Israel zu geben.

Da es in Israel keine Trennung zwischen Staat und Religion gibt, genügt ein einfaches Gesetz. Tatsächlich werden israelische Institutionen immer religiöser – so sehr, dass ein neues hebräisches Wort „Hadata“ (grob übersetzt „Religionisierung“) erfunden werden musste.

Die „Reform“- und „Konservativen“ jüdischen Institutionen in den USA kümmern sich nicht um die Besatzung, und nicht um die brutale Unterdrückung der Palästinenser und um das tägliche Töten. Sie unterstützen die israelische Regierung durch dick und dünn. Sie kümmern sich jedoch sehr um die Westmauer und über Konversionen. Wie Ivanka Trump konvertieren Nicht-Juden oft, um Juden zu heiraten. Dies ist also ein wichtiges Geschäft.

Dies alles erscheint wie ein inhärenter Widerspruch und er ist es auch.

Israel wird offiziell und rechtlich als ein „Jüdischer und demokratischer Staat“ definiert. Ein neues Gesetz wird erlassen, in dem das „demokratisch“ aus der Formel gestrichen wird und Israel nur als einen „Jüdischen Staat“ lässt. Er wird von vielen als das Hauptquartier des jüdischen Volkes angesehen. Netanjahu hat oft erklärt, dass er sich als der Führer und Verteidiger aller Juden in der Welt ansieht.

Wenn es so ist, wie kann es da einen Konflikt zwischen den Interessen der Juden irgendwo und dem Staat Israel geben?

Dies gibt es und hat es von Anfang an gegeben. Theodor Herzl, der Gründer des Zionismus und ein ungarischer Jude, hatte Diskussionen mit den antisemitischen Führern des zaristischen Russland und woanders, indem er versprach, ihnen zu helfen, ihre Juden los zu werden und sie nach Palästina zu lenken. Dieses gemeinsame Interesse schuf in verschiedenen Zeiten viele eigenartige Verbindungen.

Antisemiten bevorzugten immer die Zionisten wie z.B. Adolf Eichmann, der in seinen Erinnerungen im israelischen Gefängnis schrieb, dass er die Zionisten als das „wertvolle Element“ des jüdischen Volkes ansah usw.

Abraham Stern, Yair genannt, ein Untergrundführer im britischen Mandat Palästina, der sich von der Irgun abspaltete und eine neue Gruppe gründete, (die von den Briten die „Stern-Bande“ genannt wurde). Ihr Hauptvorschlag war, mit Nazi-Deutschland gegen die Briten zusammenzuarbeiten, nach dem Prinzip, dass „der Feind meines Feindes mein Freund ist“. Er sandte Leute an deutsche Botschaften, wurde aber von Hitler ignoriert. Schließlich wurde er von den Briten erschossen.

In den ersten Jahren Israels, als David Ben-Gurion das erste Mal die US als Ministerpräsident von Israel besuchte, wurde er von seinen Beratern ermahnt, die Immigration nicht im Gespräch vorzubringen, um die US-Juden nicht zu irritieren, deren Geld man verzweifelt benötigte. Ben-Gurion brachte zwar Einwände vor, tat dann aber, was sie sagten.

Zu der Zeit schrieb ein Freund von mir ein humorvolles Stück über eine Gemeinschaft enorm reicher Juden in einem entfernten Teil Afrikas, denen alle Diamant-Minen ihres Landes gehörten. Als Israel Geld benötigte, um für das Brot des nächsten Monats Mehl zu kaufen, wurde der begabteste zionistische Propagandist dorthin geschickt. Da er um die verzweifelte Situation seines Landes wusste, hielt der Mann die leidenschaftlichste Rede seines Lebens. Am Ende blieb kein Auge in der Zuhörerschaft trocken.

Am nächsten Tag erhielt der Redner eine Botschaft: wir waren so bewegt, dass wir uns entschieden haben, all unsern Besitz den Eingeborenen zu vermachen und als Pioniere nach Israel zu kommen.

Das offizielle Ziel des Zionismus ist, alle Juden der Welt nach Israel zu bringen.

Herzl selbst glaubte, dass dies tatsächlich geschehen würde, und in einem Absatz schrieb er, wenn einmal die meisten Juden in den jüdischen Staat gekommen sein werden, würde man nur sie Juden nennen. Alle Juden, die nicht kommen wollen, würden nicht mehr Juden genannt – sie sind dann nur Deutsche, Amerikaner und so fort.

Wunderbar, aber falls dies geschieht, wer wird dann Donald Trump und seine Nachfolger zwingen, bei der UN- bei Israel-kritischen Entscheidungen ein Veto einzulegen? Wer wird übrig sein, gegen die Bewegungen – wie BDS –zu kämpfen, die einen Boykott Israels predigen?

Nun, das Leben ist voller Widersprüche. So sind wir eben.

Netanjahus ungarische Abenteuer waren mit der Soros und Horthy-Affäre noch nicht vorüber. Weit davon entfernt.

Während er in Budapest war, nahm er an einem geschlossenen Treffen mit den Führern Ungarns, Polens, der Slowakei und der Tschechischen Republik teil. Irgendein dummer Kerl vergaß den Lautsprecher zur journalistischen Seite auszustellen. So konnten sie etwa 20 Minuten die geheime Rede Netanjahus hören.

Seinen osteuropäischen Seelenverwandten, alle extreme halb-demokratische vom Rechten Flügel, schütte er sein Herz aus: die liberalen westeuropäischen Regierungen sind „verrückt“ , wenn sie in Bezug auf Menschenrechte Bedingungen an ihre Hilfe für Israel knüpfen.

Sie begehen Selbstmord, wenn sie Massen von Muslimen ins Land lassen. Sie realisieren nicht, dass Israel ihr letzter Grenzwall gegen diese muslimische Invasion ist.

In der Bibel der Zionisten, „Der Judenstaat“ schrieb Theodor Herzl: „Für Europa würden wir dort (in Palästina) ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“

Diese Zeilen wurden vor 121 Jahren geschrieben, auf der Höhe der Kolonialzeit. Sie heute zu wiederholen, ist – um Netanjahus eigenes Wort zu benützen „verrückt“.

Im Kampf Netanjahus und Orbans gegen Soros um Menschenrechte, wird Soros gewinnen.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Uri Avnery wurde vom Englischen ins Deutsche von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Unter www.uri-avnery.de erfolgte am 24.07.2017 die Erstveröffentlichung. Alle Rechte beim Autor.

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