Sei kein Frosch – Grüner wird’s nicht als in Walt Disneys „Küss den Frosch“

Draufgänger Naveen ist zwar ein Prinz, doch steht nach der Enterbung durch seine Eltern ohne Geld da. Der bankrotte Adelige hofft in New Orleans Tianas Freundin Charlotte zu heiraten, die auf einen Prinzen scharf ist – vermutlich Folge des Ansehens zu vieler Disneyfilme. Weil „Küss den Frosch“ ein Kinderfilm ist, ist der steinreiche „Big Daddy“, der Charlotte verwöhnt, tatsächlich ihr Vater und nicht „Big Sugar Daddy“. Die finanziell schwache Tiana hingegen sing artig: „Papi hat mir gesagt, dass Märchen wahr werden. Du musst dich nur darum bemühen.“ Für sein Glück muss man hart arbeiten, auch wenn es unangenehm wird, propagiert „Küss den Frosch“. Mit dem Grimmschen Märchen hat „Küss den Frosch“ dabei so wenig gemein wie die Kindergeschichte, welche Tiana als Kleinkind vorgelesen bekommt. Im echten „Froschkönig“ wird der Frosch nicht geküsst, sondern an die Wand geklatscht. Naveen passiert das im übertragenen Sinne durch den bösen Voodoo-Zauberer Dr. Facilier. Er verwandelt Naveen in einen Frosch. Als Tiana den Frosch-Prinz küsst, wird auch sie klein, grün und schleimig. In ihrer neuen Gestalt lernen Naveen und Tiana die inneren Werte des anderen zu schätzen und finden ungewöhnliche Freunde im Krokodil Louis und dem Glühwürmchen Ray. Gemeinsam wollen sie Dr. Facilier aufhalten.

Die Zeichentrickszenen sind sorgfältig und liebevoll getuscht, aber fantasielos. Einzige Ausnahme sind die unheimlichen und bedrohlichen Szenen. Das böse ist das Beste im Disney-Universum, gilt auch für „Küss den Frosch“. Außer der überdrehten, an Miss Piggy erinnernden Charlotte ist Dr. Facilier der einzige dynamische Charakter. Die Guten hingegen sind so nichtssagend wie ihr makelloses Äußeres. Doch besser eine schlechte Persönlichkeit als gar keine. Die Schurken waren schon immer die Sympathischeren in Disney-Filmen. Darum erinnert sich niemand an Wendy, aber jeder kennt Tinkerbell. Disneys Bösewichte wissen, dass Damen echte Pelze verdienen (Cruella DeVille), sie hassen Altsein (die böse Königin), haben keine Modellmasse (Meerhexe Ursula) und Behinderungen (Captain Hook). Die erste schwarze Disney-Heldin in „Küss den Frosch“ bleibt hingegen brav und blass. Dass die Queen über „Schneewittchen“ „not amused“ war, lässt sich verschmerzen. Für dieses Privileg wurde der Unabhängigkeitskrieg gefochten. Doch eine empörte Michelle Obama, die ihre Tochter aus „Küss den Frosch“ zerrt? Vor lauter Beflissenheit verkehrt sich die politische Korrektheit ins Gegenteil. Die dunkelhäutige Tiana erscheint überwiegend in Froschgestalt, ebenso der schwarze Naveen, als gelte es, ihr wahres Äußeres zu verbergen. Der Schwarze Prinzen-Imitator, den Charlotte heiraten will, ist ein getarnter Weißer: Mischehen sind tabu. Ein derart harmonisches Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien und Klassen wie in dem Kinderfilm ist bis heute Utopie. „Küss den Frosch“ spielt soziale Missstände nicht herunter, er leugnet sie dreist.

Arm und Reich, Schwarze und Weiße, Frankophone und Anglophone tanzen im Trickfilm-New Orleans im Ringelrein wie auf der neuen UNICEF-Kinderbriefmarke. Weiße tragen Farbigen die Koffer, sitzen mit ihnen im selben Restaurant und schütteln ihnen fröhlich die Hände – alles um die Jahrhundertwende. In welchem Krieg ist Tianas Vater als aufrechter Verteidiger seines Landes eigentlich gefallen? Als die Spanier ihre letzten Kolonien einbüßten? Und woher kennt Krokodil Louis Jazzlegende Louis Armstrong? „Küss den Frosch“ stellt sich künstlerisch und dramaturgisch in die Tradition klassischer Disney-Filme und bewirbt diese ununterbrochen. Aufdringlich oft spielen Figuren und Szenen unverkennbar auf Disney-Klassiker an. Nostalgie könnte man dies euphemistisch nennen. Selbstgefälligkeit trifft es besser. Interessanter ist die finanzielle Problematik, welche „Küss den Frosch“ mit für einen Kinderfilm ungewöhnlicher Offenheit anspricht. Naveen sucht nach einer guten Partie, Tiana küsst den Frosch erstmals, weil er ihr Geld zum Kauf ihres Restaurants verspricht. Freiheit erfordert Bares und nur grüne Scheine sind etwas Wahres, grí­nst Dr. Facilier und zeigt Tiana eine Traumvision des Restaurants, welches sich bereits ihr Vater wünschte, jedoch nie finanzieren konnte: “Eine Schande, dass all die harte Arbeit nie zu mehr geführt hat, als einem Traum, der auf einem Hinterhof versandet ist.“ Gegen diese unterschwellig präsenten Geldsorgen wird vergeblich angesungen: „Geld hat keine Seele, Geld hat kein Herz.“

In den Disney Studios hört anscheinend niemand die eigenen Lieder. Daher werden zu „Küss den Frosch“ reichlich Spielartikel beworben: die „Küss den Frosch“ – Glitzerhandtasche für kleine Prinzessinnen, die Tiana-Puppe, das Tiana-als-Frosch-Stofftier, das „Küss den Frosch“ – Zelt, für kleine Prinzessinnen, die neben dem Froschteich übernachten wollen. Dr. Facilier hat wohl Recht, wenn er singt: „Die wahre Macht in dieser Welt ist nicht Magie – es ist Geld.“

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Titel: Küss den Frosch – The Princess and the Frog

Land/ Jahr: USA 2009

Genre: Zeichentrickfilmen

Kinostart: 10. Dezember 2009

Regie: Ron Clemens, John Musker

Drehbuch: Ron Clemens u. a.

Sprecher: Anika Noni Rose, John Goodman, Keith David, Terrence Howard, Ophara Winfrey

Verleih: Walt Disney

Laufzeit: 98 Minuten

Internet: www.disney.com

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