Schwarzmalerei – Sebastian Baumgartens Inszenierung „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ beim Theatertreffen in Berlin

Die Stücke von Elfriede Jelinek lösen schon lange keine Skandale mehr aus. Die Werke der Nobelpreisträgerin gehören einfach dazu, wenn anspruchsvolles Theater geboten wird. „Kein Festival ohne Jelinek“, sagte DT-Dramaturg John von Düffel beim Pressegespräch zu den Autorentheatertagen im Deutschen Theater. Dort wird im Juni „Schatten (Eurydike sagt)“ als Gastspiel vom Burgtheater, Wien zu erleben sein. Zum Theatertreffen eingeladen war „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“, inszeniert von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen. Der Regisseur bekam viel Beifall und großes Lob für seine Inszenierung, und Sandra Hüller wurde für ihre Darstellung mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet.

Immerhin einen Tabubruch für alle, die in ihrem bisherigen Leben Menschen mit geistigen Behinderungen weiträumig aus dem Wege gegangen sind, bedeutete „Disabled Theater“ von Jérome Bell. Unter dem Titel „Behinderte auf der Bühne – Künstler oder Exponate“ wurde auch ein Symposium dazu angeboten. Die Performance der KünstlerInnen mit Down-Syndrom und Lernbehinderungen veranlasste das Publikum jedoch nicht zu betroffener Verschämtheit, sondern zu begeisterten Reaktionen. Der diesjährige Juror Thomas Thieme überreichte der Schauspielerin und Sängerin Julia Häusermann den Alfred-Kerr-Darstellerpreis mit den Worten: „Ganz sie selbst, von anarchischem Humor, stiller Aggressivität und so unendlich traurig. Von immenser Kraft und beängstigender Zartheit, ganz weich und auch wie ein Muskel. Jede Bühnensekunde beschäftigt mit ihrem Spiel, mit sich, mit der Liebe zu dem Riesen, der neben ihr sitzt. Existenz im Augenblick. Schwermut und Übermut zugleich.“

Eine Provokation gab es dann aber doch, auch wenn die angeblich gar nicht beabsichtigt gewesen war. In Sebastian Baumgartens Inszenierung „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ am Schauspielhaus Zürich erscheint Isabelle Menke als Frau Luckerniddle von Kopf bis Fuß schwarz angestrichen (von „edelstem Schuhwichs-Blackfacing“ berichtet TT-Juror Franz Wille launig im Theatertreffen Magazin), mit schwarzer Kraushaarperücke und ausgepolstertem Hinterteil.

Das macht sprachlos nach der Blackfacing-Debatte des letzten Jahres und nachdem beim Festival Foreign Affairs 2012 eine kritische Auseinandersetzung mit dem europäischen Kolonialismus stattgefunden hat.

Bühnenwatch protestierte in einem offenen Brief an die Leitung und die Jury des Theatertreffens. Proteste gab es ebenfalls im TT-Blog, wo auch eine Erwiderung von Sebastian Baumgarten zu lesen war. Der bezeichnet das Blackfacing in seiner Inszenierung als „Mittel der überhöhten Darstellung“ und teilt außerdem mit: „(…) man könnte mir auch Antisemitismus vorwerfen, wenn einer der Kapitalisten eine Szene lang mit einem jüdischen Akzent spricht (…)“, womit er die Frage aufwirft, was denn unter einem „jüdischen Akzent“ zu verstehen sein könnte.

Nun sagt Lukas Holzhausen als Fleischfabrikant Graham mehrfach sehr breit und betont Fleesch statt Fleisch, was z.B. auf den Versuch hinweisen könnte, einen schlesischen Akzent überhöht darzustellen. Aber nein, es geht Sebastian Baumgarten darum, die Auswirkungen des Kapitalismus in einer globalisierten Welt zu veranschaulichen. Dazu dient das, was Baumgarten als „popkulturelle Klischees“ bezeichnet, nämlich, auf der Seite der Ausbeuter, neben amerikanischen Cowboys der lallende, Nudeln fressende Chinese sowie selbstverständlich kein Schlesier, sondern ein jiddelnder Jude, und auf der Seite der Ausgebeuteten die Afrikanerin, die in Aussehen und Gebaren den Beschreibungen von Rassenkundlern vergangener Jahrhunderte entspricht.

Die Inszenierung ist eine Revue, bei der die AkteurInnen häufig aufgereiht an der Rampe stehen und die schönen Kostüme von Jana Findeklee und Joki Tewes vorführen. Besonders eindrucksvoll sind die pompösen schwarzen Uniformen der Heilsarmee und ihre schwarzen Strohhüte mit Krempen im Durchmesser von Wagenrädern.

Yvon Jansen als Johanna schreit ihren Text monoton und bewegt sich wie ein Automat. Überhaupt wird sehr viel geschrien, nur Mauler (Markus Scheumann), der lispelnde lonesome Cowboy, spricht mit sonorer Stimme und bewegt sich mit raubtierhaftiger Lässigkeit.

Eine Brecht-Gardine wird auf und zu gezogen. Bühnenbildner Thilo Reuther hat eine hübsche rote Kirche aus Pappe kreiert wie auch eine Miniaturbörsenstadt, auf deren Dächern sich herumstolzieren lässt. Es gibt Video- und Filmeinspielungen, und der Pianist Jean-Paul Brodbeck begleitet die Vorstellung mit jazzigen Klängen.

Nachdem sie von den Schwarzen Strohhüten verstoßen worden ist, erscheint Johanna schlammbedeckt wie das Ding aus dem Sumpf und hat nun kein erkennbares Gesicht mehr. Ihre MitspielerInnen verwandeln sich am Schluss in bunte Stoffpuppen und feiern miteinander, während Johanna tot am Boden liegt, einen Arm gen Himmel gereckt, mit einer Pistole in der Hand.

„Wenn man das Stück nicht kennt, kann man das nicht verstehen“, hörte ich beim Hinausgehen, nach großem Applaus und Bravorufen, eine Theaterbesucherin zu ihrem offenbar ratlosen Begleiter sagen.

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