Schönheit und Revolution – Das Frankfurter Städel zeigt Facetten einer Kunstepoche

© Foto: Dr. Jürgen Pyschik

„Heute früh fielen mir Winckelmanns Briefe, die er aus Italien schrieb, in die Hand. Mit welcher Rührung habe ich sie zu lesen angefangen! Vor einunddreißig Jahren, in der selben Jahreszeit, kam er, ein noch ärmerer Narr als ich, hierher; ihm war es auch so deutsch Ernst um das Gründliche und Sichre der Altertümer und der Kunst“ notierte Goethe im Dezember 1786 in sein italienisches Reisetagebuch. Gleich ihm taten es nicht nur die vielen Bildungsreisenden, sondern vor allem auch junge Künstler, die oft als Stipendiaten nach Rom geschickt wurden um dort sich und ihren künstlerischen Ausdruck zu finden oder zu vervollkommnen. Als probates Mittel galt es, die antiken Vorbilder nachzuarbeiten. „Insbesondere historische und mythologische Szenen  der griechischen und der römischen Antike wurden als Vorbilder herangezogen: Anhand der Ethik und Moral dieser Geschichtsbeispiele erhoffte man, die Betrachter tugendhaft zu bilden“ – so die Kuratoren. Ob es wirklich vor allem ein solcher moralischer Impetus war, der die Künstler antrieb, oder zumindest auch die Tatsache, dass sich antikisierende Kunstwerke hervorragend verkaufen ließen, sei dahingestellt. Als allerdings Schadow die spätere Königin Luise und ihre Schwester in freizügig-griechischer Manier in Marmor bannte, erregte dies beim preußischen König keine Begeisterung und Schadow blieb auf der Skulpturengruppe sitzen, und auch Napoleon war entsetzt, als Canova des Kaisers Schwester Paolina Borghese fast nackt in Marmor meißelte. Also war man mit den klassischen Göttern doch auf der sicheren Seite.

Von Goethe wissen wir, dass er in Rom fleißig Gipsabgüsse einkaufte und dabei eine Feststellung machen musste, die sich in der Ausstellung gut nachvollziehen lässt: „Uns gegenüber im Palast Rodanini steht eine Medusenmaske ”¦Ich besitze schon einen guten Abguss, aber der Zauber des Marmors ist nicht übriggeblieben. Das Edle, halbdurchsichtige des gelblichen, der Fleischfarbe sich nähernden Steins ist verschwunden. Gips sieht immer dagegen kreidehaft und tot aus.“

Lassen wir uns also verzaubern – von den Marmorstatuetten zuerst. Hier beginnt die Ausstellung mit einer eindrucksvollen Gegenüberstellung. Im ersten Raum begrüßen zwei Varianten der griechischen Göttin Hebe die Besucher, eine von Canova (1796) und eine zweite von Thorwaldsen(1806) – oft in der Literatur miteinander verglichen, hier das erste Mal zusammen ausgestellt. Neben Nachformungen und Abgüssen wirklicher antiken finden wir aber die neu gefundenen Formen, etwa einen Ganymed von Thorwaldsen und Amor und Psyche von Canova.

Die Ausstellung fächert dann die Entwicklung jener Jahre in einer Reihe von Aspekten auf, die auch jeweils zu Clustern in der Ausstellung geraten: Ein „strenger“ Klassizismus, der sich ganz den Forderungen Winkelmanns verschreibt, eine eher dramatisierende  Auffassung, für die Künstler wie Banks und Füssli stehen (ein Highlight der Ausstellung ist Banks ´ „Fallender Titan“) bis hin zu einem „romantischen Klassizismus“. Aber auch die Beschäftigung mit reduzierten Formen, der Beschäftigung mit Konturen und Halbreliefs, die uns schließlich die bekannten und beliebten blau-weißen Porzellanprodukte der Firma Wedgewood bescherten, wird aufgegriffen.

Bekanntlich hat die Französische Revolution historische Kontinuität auch dadurch reklamiert, dass sie in den Stil der antiken Republiken in allen Lebensbereichen wiederbelebte und sich so vom feudalen System absetzte. Die Ausstellung macht hier deutlich, wie pro-revolutionäre Künstler wie Jacques-Louis David dies in doppelter Weise aufgriffen: durch einen entsprechenden Malstil, aber auch durch die Wahl der Motive, in denen sie markante Szenen aus der Antike darstellten, wo heldenhafte Republikaner eher sterben, als ihre Ideale zu verraten oder der ermordete Marat im Märtyrergestus vorgeführt wird. Frühe Formen mehr oder minder subtiler politischer Propaganda.

Man kann sich also sehr vertieft und intensiv in dieser Ausstellung mit der Thematik auseinandersetzen. Das man sich den Exponaten aber auch mit ganz anderen Augen und ebenfalls mit großem Gewinn widmen kann, demonstrierte spontan eine Moderatorin des Hessischen Rundfunks, als sie einen Bericht über diese Ausstellung an- und abmoderierte: sie war völlig hin und weg von der großen Zahl unmenschlich schöner, makelloser Körper, die man da zu Gesicht bekam!

Was will man machen – es sind halt Götter …

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