„Road Dogs“ von Elmore Leonard weiterhin auf Platz 1 – KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT, ARTE und NordwestRadio für März 2011

Leider nicht mehr dabei: Kurt Bracharz, Der zweitbete Koch, Haymon Verlag

Erst einmal gehen wir völlig d’accord mit Platz 1, auf dem das zweite Mal Elmore Leonard mit „Road Dogs“ aus dem Eichborn Verlag steht. Inzwischen haben wir diesen mehrdeutigen und mit überraschenden Pointen aufwartenden Roman gelesen und waren traurig, als er zu Ende war, wenngleich uns dieses Ende nicht gerade überraschte, daß Jack Foley nämlich, begnadeter Bankräuber und eine grundehrliche Haut, wenn man ihm nicht schräg kommt, mit viel Geld übrig bleibt und ein Gemetzel die anderen hinrichtet, von denen wir jetzt nicht erzählen dürfen, weil sonst die Spannung verloren geht für die, die diesen Roman noch lesen, was sie sollten, die Krimileser.

Aber was das letzte Mal und auch dieses Mal die Pointe der KrimiZEIT-Bestenliste ist, steht auf einem anderen Blatt und betrifft neben Elmore Leonard die diesmalige Nummer zehn, die gekonnte Fingerübung von Martin Suter mit „Allmen und die Libellen“ aus dem Diogenes Verlag. Allmen ist nämlich der charakterschwache, aber großbürgerlich selbstverständliche Gentleman mit dem „von“ vor dem Namen, der aus einer Gabe eine Tugend macht. Er kennt sich nämlich aus mit der Kunst, vor allem mit der angewandten Kunst und bringt zuwege, daß aus einem Diebstahl von fünf Jugendstilschalen ein doppelter Rückkauf wird, wobei die Versicherungssumme noch hinzugeschlagen wird, ein so einträgliches Geschäft, daß von Allmen nach dieser Großtat beschließt, ein Gewerbe aufzuziehen, wo er entschwundene Gegenstände auffindet und für die Wiederbeschaffung Belohnungen kassieren könnte.

Da sind wir aber der Zeit voraus, das werden dann die nächsten Krimis zeigen, die der süffig schreibende Martin Suter schon in petto hat, uns geht es jetzt aber um Allmens Einschätzung der Nummer 1 der Liste. Auf Seite 34 findet sich nämlich: „Allmen hatte das Taschenbuch beinahe ausgelesen. Ein neuerer Krimi des inzwischen altersmilde gewordenen großen Elmore Leonard. Eine Geschichte, die fast nur aus Dialogen bestand und auf die Gewaltszenen seiner früheren Werke verzichtete.“

Das mit den Dialogen stimmt auch für diesen Leonard, aber der Leichen sind hier doch allzu viele, als daß von Allmen die „Road Dogs“ gelesen haben könnte. Das wäre auch zu viel des Selbstreferentiellen. Schuldig sind wir noch die Übersetzung des Titels, d.h. eigentlich ist der Verlag uns das schuldig. Denn mit unserem Englisch hatten wir prompt „Straßenhunde“ uns vorgestellt. Pustekuchen. Hat eine spezifische Bedeutung, dieser Begriff. So werden nämlich diejenigen genannt, die die Gefängnisse bevölkern und dies nicht zum ersten Mal.

Auf Platz 2 ist auf einen Schlag Francisco Gonzáles Ledesma mit „Gott warte an der nächsten Ecke“ aus dem Ehrenwirth Verlag vom achten Rang heraufgerutscht. Wer sich auskennt, weiß, wie das läuft, wer aber erstmals diese Liste nebst Kommentierung vor Augen hat, dem muß man dazu sagen, daß nach dreimaliger Plazierung ein Krimi verschwindet und sei er noch so gut. Da auf dieser Liste sogar fünf neue Kriminalromane stehen, wäre also, wenn die neuen alle schlechter plaziert wären als Ledesma, dieser Krimi automatisch auf Platz 3 gerutscht.

Nun steht er aber auf Platz 2 und außerdem sind von den fünf Neuen vier auf den Plätzen 3, 5, 6 und 7 verankert. Es muß also noch weitere Gründe für das auffällige Aufsteigen geben. Das liegt – so bleibt unsere Vermutung – daran, daß beim Verteilen der Stimmen der Jury noch nicht alle zu Beginn einen Krimi lesen konnten. Aber bei der zweiten Nominierung sind alle beteiligt sind und so kann es zu solchem Aufsteigen kommen, natürlich auch einem Fall ins Bodenlose. Das wäre, wenn ein Kriminalroman einmal auf der Liste auftaucht, aber beim fälligen zweiten Mal schon unter ferner liefen be-, besser verurteilt wird.

Das ist schon vorgekommen, daß es einer auf Anhieb auf den zweiten Platz schaffte und beim nächsten Mal weg war. Und da kommen wir ins Spiel. Wir urteilen nämlich, ob wir das nachvollziehen können oder nicht. Diesmal ist es eher undramatisch, denn der im Januar auf Platz 8 gesetzte Krimi von Kurt Bracharz „Der zweitbeste Koch“, erschienen im Haymon Verlag, befand sich im Vormonat auf dem siebten Rang und ist diesmal einfach verschwunden. Das ist schade, denn wir hatten ihn inzwischen gelesen und unseren Spaß an diesem Scherz. Denn natürlich ist dieses Buch auch ein Schmäh auf die überbordende Kriminalromanliteratur. Ein gekonnter Schmäh. Mag schon sein, daß man Wien-Liebhaber sein muß oder zumindest mit den Grantlern gut kann, um diesen zweitbesten Koch zu goutieren. Aber da wir das sind, schmerzt uns, seine Nichtplazierung beim dritten Mal!!

Aber wir sind ja noch am Anfang. Und da stimmen wir begeistert ein in die neue Nummer 3: „Winters Knochen“ von Daniel Woodrell, verlegt bei Liebeskind. Das ist ein berührendes Buch und ein harter Krimi dazu. Heldin ist die sechzehnjährige Ree, Tochter des berüchtigten Jessup Dolly und der dahinsiechenden Mutter, die sie wie ein Kind pflegt. Wie allein auf den ersten Seiten eine Milieuschilderung dieser Familie im Wald erfolgt, umgeben von lauter reicheren Dolly-Familien, das ist große Kunst. Und dieses Mädchen ist so klug, daß man sich fragt, wie schlecht eigentlich Umweltbedingungen sein müssen, damit jemand so schlau wird.

Der kriminelle Vater ist verschwunden, aber er hatte sein Haus verpfändet, falls er zur Gerichtsverhandlung nicht erscheint, die in einigen Tagen ansteht. Liebenswerter Weise teilt die Polizei dies vorher dem faktischen Familienvorstand Ree mit. Die versucht nun mit der Aussage „Das Gesetz war da“, erst die Familie, dann Freunde von der Notwendigkeit der Hilfestellung zum Aufenthaltsort des Vaters herauszubekommen. Eine Freundin hat er auch. Aber wie auch immer, um für Mutter und die zwei Brüder das Haus im Wald als Heimat zu bewahren, macht sich Ree auf die Suche nach ihrem Vater.

Sie muß den übrigens nicht lebendig finden, tot langt auch, denn ein Toter kann nicht mehr vor Gericht erscheinen, ohne daß man es ihm übelnehmen kann! Dieser Krimi aus dem Jahr 2006 ist sozusagen auch ein Buch zum Film. Denn seine Verfilmung kommt am 31. März in die deutschen Kinos. Verfolgen Sie das auch in der jeden Donnerstag erscheinenden Kommentierung der anlaufenden Filme im Weltexpress.

Die Neuen, auf Platz 5 nun Richard Starks „Sein letzter Trumpf“ aus dem Verlag Zsolnay, auf dem 6. Rang Romain Slocome mit „Das Tamtam der Angst aus dem DistlLiteraturVerlag, auf Platz 7 „ Wo die Löwen weinen“ von Heinrich Steinfest aus dem Theiss Verlag und auf Platz 8 „Sein letzter Auftrag“ von Michael Connelly, erschienen bei Heyne, deren Kommentierung müssen wir auf das nächste Mal verschieben.

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Elmore Leonard: Road Dogs

Aus dem Englischen von Conny Lösch und Kirsten Risselmann

Eichborn, 304 S., 19,95 €

Miami/Los Angeles: Im Knast von Miami waren Bankräuber Foley (George Clooney in Out of Sight) und Dealer Cundo Rey Kumpel: Road Dogs. Draußen in Los Angeles wird die Freundschaft getestet. Von den Umständen. Und von Cundos Frau. Wer überlebt? Der am schnellsten redet und denkt. Super.

2

2

(8)

Francisco González Ledesma: Gott wartet an der nächsten Ecke

Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg

Ehrenwirth, 416 S., 22,99 €

Barcelona/Madrid/Ägypten: „Eine miese, eine wunderschöne Geschichte“. Inspektor Méndez stolpert über eine Kinderleiche, verlässt Barcelonas Barrio Chino, ermittelt in Madrid und am Nil unter Blinden, Schwerreichen und Attentätern. Abgeklärtes Wunderstück aus dem Geist katalanischer Romantik.

3

3

(-)

Daniel Woodrell: Winters Knochen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 224 S., 18,90 €

Tief in den Ozarks: Jessup, bester Meth-Koch im Tal, ist verschwunden, sein Haus für die Kaution verpfändet. Die sechzehnjährige Ree muss des Vaters Tod beweisen, sonst landet sie mit Mutter und kleinen Brüdern auf der Straße. Ree steht’s durch, härter als alle. Country Noir, original vom Erfinder.

4

4

(10)

Michael Koryta: Blutige Schuld

Aus dem Englischen von Thomas Bertram

Knaur, 476 S., 9,99 €

Tomahawk, Wisconsin: Als Frank Temple III. erfährt, dass Gangster Devin nach Wisconsin kommt, heißt es: Nichts wie hin. Doch die geplante Rache für seinen Vater fällt anders aus als er gedacht hat. In der Wildnis der Wälder geraten Pläne ins Wanken. Schlichte, klare Sache: Männer, Frauen, Kampf. Rau und direkt.

5

5

(-)

Richard Stark: Sein letzter Trumpf

Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein

Zsolnay, 288 S., 17,90 €

Albany/Hudson River: Ein Casinoschiff wird kommen. Parker und Kollegen rauben den Weekendgewinn, weggeschafft in der Closchüssel eines Rollstuhls. Rauben ist schwer, die Beute sichern schwerer. Parker und Co. sind nicht allein, gierige Idioten mischen mit. Und Parker hat einen Fehler gemacht. Sehr kühl.

6

6

(-)

Romain Slocombe: Das Tamtam der Angst

Aus dem Französischen von Katarina Grän

DistelLiteraturVerlag, 108 S., 10 €

Paris/Lille: Fridelance muss es bringen. Die nörgelnde Fau will Geld. Mit der Illustration von Gruselschinken nicht zu schaffen. Auch der Versuch, einen seltenen Hocker zu versteigern, endet zwischen den Stühlen. Fridelance in der Klemme. Die Tamtams! Das Grauen! Bös, schnell, witzig: 100 Seiten und ein Knall.

7

7

(-)

Heinrich Steinfest: Wo die Löwen weinen

Theiss, 280 S., 19,90 €

Stuttgart 2010: Oben – unten. Nur ein deus ex machina kann helfen. Steinfest lässt gleich drei auftreten: unterirdisch, überirdisch und mit Scharfschützengewehr. „Dichter denken, was wir uns selbst nicht zu denken trauen.“ Krimi als präziser Traum zu Stuttgart 21: poetischer Spiegel, Realitätsdurchleuchtung, doll.

8

8

(-)

Michael Connelly: Sein letzter Auftrag

Aus dem Englischen von Sepp Leeb

Heyne, 496 S., 19,99 €

Los Angeles/Las Vegas: 12 Tage hat Jack McEvoy, Gerichtsreporter der Los Angeles Times. Dann hat er zu gehen. Rendite statt Recherche. Gegen Nachwuchsjournalistin Angela und einen Serienkiller landet McEvoy seinen letzten Scoop. Journalismus und Verbrechen. Connelly up to date.

9

9

(2)

Ken Bruen: London Boulevard

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Suhrkamp, 264 S., 8,95 €

London: Ex-Knacki Mitchell bekämpft sich, den Alkohol und Gangster Gant. Sein schlimmster Feind ist die Sentimentalität. Er kann nicht Nein sagen. Also sagt er Ja zum Leben, verliebt sich, beschläft eine Filmdiva und geht fast drauf. Ultra-Noir-Pastiche von „Boulevard der Dämmerung.“ Hart, schnell, intertextuell.

10

10

(9)

Martin Suter: Allmen und die Libellen

Diogenes, 208 S., 18,90 €

Bankstadt in der Schweiz: Gäbe es diese Existenzform noch, würde man den Hochstapler und Dandy Johann Friedrich von Allmen einen Wechselreiter nennen, obwohl er sogar dazu zu lethargisch wäre. Per Beischlafdiebstahl klaut er 5 Jugendstil-Libellen und hehlt sie der Polizei zurück. Ein PI für müde Snobs.

Info:

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die März-Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT, ARTE und NordwestRadio.

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht, immer am ersten Donnerstag des Monats.

Vorgestellt wird sie

  • im NordwestRadio (am Donnerstag, den 3.3. 2011 gegen zwischen 17 und 18.30 live mit Tobias Gohlis)

  • unter www.arte.tv/krimiwelt mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)

  • in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 3.3.2011

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

Die Jury setzt sich zusammen aus:

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt VolkerAlbers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Sven Boedecker, Zürich, Sonntagszeitung
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Ekkehard Knörer, Berlin, Perlentaucher, Crime Corner
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Literaturwissenschaftler
Hendrik Werner, Bremen, DIE WELT
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die diesmal Ende Januar herauskam und die wir ebenfalls kommentierten.

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