Rasen mähen – Großer Erfolg mit „einsatz spuren“ vom Schauspiel Kiel beim Autorentheatertreffen

Roman Hemetsberger, Werner Klockow und Jennifer Böhm in einer Szene des Stückes „einsatz spuren“ vom Schauspiel Kiel beim Berliner Autorentheatertreffen im Sommer 2011. © struck-foto

Aber dann geschah dies: Das Schauspiel Kiel gastierte mit „einsatz spuren“. Die Box im DT war bis auf den letzten Platz besetzt, es war heiß, die Vorstellung dauerte 2 Stunden, und es gab keine Pause. Dennoch ging niemand während der Vorstellung hinaus, und auch nach Schluss blieben alle auf ihren Plätzen, bis der lang anhaltende Applaus vorbei war. Ich fühlte mich im Zuschauerraum als Teil einer Gemeinschaft, mit allen anderen BesucherInnen verbunden durch ein aufrüttelndes gemeinsames Erlebnis.

Im Stück geht es um die Auswirkungen des Krieges in Afghanistan auf die dort eingesetzten deutschen Soldaten und auf ihre Angehörigen. Tobias Rausch, freier Autor, Regisseur und Performer, der mit dem von ihm gegründeten Theaterkollektiv „lunatiks produktion“ seit 2001 mit zahlreichen Staats- und Stadttheatern zusammenarbeitet, hat, wie in seinen früheren Produktionen, auch für „einsatz spuren“ umfangreiche Vorarbeiten geleistet.

Im Gespräch mit Barbara Burckhardt erläuterte Tobias Rausch vor der Vorstellung am 17.06. seine Vorgehensweise. Mehr als 30 Interviews mit Soldatinnen und Soldaten sowie deren Angehörigen hat das Team von lunatiks produktion geführt, dazu Informationen der zuständigen Stellen und Daten und Fakten gesammelt.

Die AkteurInnen vom Schauspiel Kiel waren zunächst mit Aktenordnern voller Material konfrontiert und verschafften sich durch die Aufzeichnungen Einblicke in unterschiedliche Persönlichkeitsbilder. Daraus ergaben sich die Rollen, für die Tobias Rausch dann die Dialoge geschrieben und mit dem Ensemble in Szene gesetzt hat.

Die gepflegte Alltagssprache, in der die fünf SchauspielerInnen sich vorstellen, von ihren Erlebnissen erzählen und miteinander kommunizieren, lässt an Dokumentationstheater denken. So pointiert und anschaulich wie hier auf der Bühne wird allerdings im Leben nur selten gesprochen. Außerdem geht es nicht darum, real Betroffene voyeuristisch zu erleben. Sensationslust wird in diesem Stück nicht befriedigt. Den DarstellerInnen gelingt es durch ihre subtile Gestaltung, Empathie beim Publikum zu erwecken und Nähe zu Menschen herzustellen, die den meisten ZuschauerInnen bis dahin fremd waren.

Über den Krieg in Afghanistan haben sicher fast alle Deutschen eine Meinung, bei der die SoldatInnen häufig nur als Teil dieses Krieges eines Rolle spielen. Im Stück erzählt die Mutter eines Soldaten, dass sie und ihr Mann von Bekannten gemieden werden und dass Freunde sich zurückziehen, seit ihr Sohn in Afghanistan ist.

Die SchauspielerInnen sind in unterschiedlichen Rollen zu erleben. Anfangs sind sie alle, gut ausgebildete SpezialistInnen, gerade in Afghanistan eingetroffen. Einer von ihnen hatte gerade erfolgreich alle Prüfungen bestanden. Seine Eltern wollten mit ihm feiern. Da musste er ihnen mitteilen, dass er für den Einsatz in Afghanistan vorgesehen war. Freiwillig gemeldet hatte er sich dafür nicht, und eigentlich hatte er Zivildienst leisten wollen. Seine Eltern hatten ihm geraten, zur Bundeswehr zu gehen. Mit der Möglichkeit, dass er in den Krieg ziehen müsste, hatten sie nicht gerechnet.

Einer der Soldaten sagt einmal, dass die Taliban, wenn sie es wollten, alle fremden Soldaten aus dem Land jagen könnten und das eines Tages wohl auch tun würden. Über den Sinn oder Unsinn des Kriegseinsatzes äußern sich die Betroffenen darüber hinaus nicht.

Der Bühnenboden ist mit einem Teppich bedeckt, in dem einige Öffnungen klaffen (Ausstattung Michael Böhler). Diese Löcher dienen als Eingänge zu Bunkern oder Unterständen. Die in unterschiedlichen Formen aus dem Boden herausgesägten Teile stehen auf der Bühne herum oder hängen an Schnüren. Aus diesen Klötzen werden Schutzwälle gebaut, sie lassen sich als Sitzmöbel oder, zu Hause, als Kaffeetisch nutzen.

Die Szenen des Stücks wechseln beständig zwischen dem Erleben der Soldaten in Afghanistan und dem ihrer Angehörigen in Deutschland, wobei die Verbindung zwischen ihnen, der Austausch per Telefon, eine sehr wichtige Rolle spielt. Das gegenseitige Verstehen gestaltet sich häufig schwierig, weil die Soldaten manche Erfahrungen, die ihnen selbst unbegreiflich erscheinen, nicht vermitteln können und weil ihnen, vor diesem Hintergrund, die Schulnoten ihrer Kinder plötzlich ganz unwichtig erscheinen.

Mit der Rückkehr nach Hause scheint alles wieder in Ordnung zu sein. In einer sehr intensiven Szene berichtet Ellen Dorn als Mutter, wie sie ihren Sohn am Flughafen abholt und schon von Weitem erleichtert feststellt, dass er unverletzt und gesund aussieht. Aber dann bekommt der junge Mann Tobsuchtsanfälle, rast mit seinem Auto wie ein Wahnsinniger durch die Straßen und wird schließlich in psychiatrische Behandlung gebracht.

Manche Soldaten werden nach ihrer Heimkehr nach ihren Abenteuern gefragt, und haben nichts zu erzählen, weil sie nur in einem Büro gesessen haben, andere können über ihre Erlebnisse nicht sprechen.

Gestorben wird nicht nur in Afghanistan. Ein Militärpfarrer erzählt, dass er einem Soldaten, kurz vor seinem Flug nach Hause, mitteilen musste, dass seine Verlobte bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

Aber es geschieht auch, dass ein Offizier und ein Militärpfarrer in Deutschland vor einer Tür stehen und eine Todesnachricht überbringen. Maria Goldmann spielt sehr eindringlich und erschütternd eine junge Frau, Mutter von zwei kleinen Kindern, deren Mann am Ende seiner Einsatzzeit, auf dem Weg zum Flughafen, in Afghanistan ums Leben gekommen ist. Sie muss ihrem sechsjährigen Sohn erklären, dass sein Vater nicht mehr nach Hause kommen kann und sie muss das schreckliche Wort Witwe für sich akzeptieren.

Am Ende des Stücks fungieren die Holzklötze als Rasenmäher, mit denen sich alle Mitwirkenden hingebungsvoll betätigen. Fast alle Soldaten hätten, auf die Frage, was sie nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan besonders gern tun möchten, Rasen mähen angegeben, hatte Tobias Rausch im Vorgespräch erzählt.

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