Pressepräsentation BMW S 1000 R: Wilde Wutz

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Die Ableitung von der Doppel-R lässt sich nicht nur am Motor erkennen. An vielen Stellen finden sich Details des Supersportlers wieder. So wurden das Heck und der vordere Kotflügel nahezu komplett übernommen. Das seitliche Karosserieteil mit den Kiemen weist ebenfalls auf die Abstimmungslinie hin. Die beiden unterschiedliche geformten Frontscheinwerfer wechselten bei der R allerdings die Seite, und sie erinnert mit ihrem runden Glasauge links ein wenig an Professor Alastor „Mad-Eye“ Moody aus Harry Potter. Auffällig ist auch der angeschrägte Auspufftopf, der schon im Stand nach Kurvenräuberei aussieht.

Viel Wert legten die Entwickler auf die Ergonomie – und lieferten überzeugende Arbeit ab. Die S 1000 R passt auf Anhieb. Die Breite des Lenkers ist perfekt, der Tankschluss der Oberschenkel bestens und der Kniewinkel fällt dank tiefer gelegter Fußrasten sehr moderat aus. Der Lenker könnte für unseren Geschmack ruhig noch ein, zwei Zentimeter höher sein, belastet aber auch so in der leicht nach vorne orientierten Haltung die Arme und Schultern nicht. Dazu kommt ein erstaunlich guter Windschutz. Das kleine Flyscreen und die spitz nach oben laufenden seitlichen Lampenverkleidungen entlasten den Oberkörper überraschend gut. Dazu gibt es einen ausreichend stark gepolsterten Sitz, der zudem lang genug ist, um sich auf längeren Strecken auch einmal etwas umzupositionieren. Die immerhin fünfeinhalb Zentimeter tiefer angebrachten Soziusfußrasten sowie Aufschäumung und Verbreiterung des Polsters für den Mitfahrer sind haben aber mehr Alibicharakter als dass sie wirklich eine Abkehr vom Notsitz der RR darstellen.

Hand angelegt wurde auch an das Fahrwerk, das nicht nur ein neues Zentralfederbein spendiert bekam, sondern auch 22 Millimeter mehr Radstand. Der Lenkkopfwinkel schrumpfte um 0,8 Grad, und der Nachlauf wuchs um fünf Millimeter. Eingriffe zugunsten eines besseren Drehmomentverlaufs erfuhr auch das Triebwerk. Bis 7500 Umdrehungen in der Minute liegen bei der R stets zehn Newtonmeter mehr an als bei der Doppel-R. Das ist mehr als deutlich zu spüren: Man fragt sich, wofür dieses Motorrad eigentlich sechs Gänge hat. Zwei reichen im Prinzip. Der erste zum Anfahren und der sechste für den Rest. Klaglos verträgt der Vierzylinder ab knapp über 50 km/h die letzte Getriebestufe, um ab 2500 Touren die 207 Kilogramm schwere Fuhre duckvoll nach vorne zu schieben und ab 4000 U/min gleich noch einmal doppelten Nachschlag zu servieren. Auf engen Serpentinen darf es dann schon einmal die vorletzte Getriebestufe sein oder in der Tempo-30-Zone der dritte Gang. Das alles wird von einem faszinierenden Grollen begleitet, das auch mit ein, zwei Dezibel weniger immer noch einen herrlichen Klangteppich weben würde.

In Kurven verhält sich die R extrem neutral. Bei herben Lastwechseln rupft es zwar schon einmal am Ritzel, aber ansonsten verhält sich der Motor – bis auf den besagten (und werksseitig bewusst provozierten) Sound – unauffällig. Nur unterhalb von 2000 Umdrehungen fühlt er sich absolut nicht wohl. Die Kupplung verlangt etwas Kraft und der Gangwechsel mitunter ebenfalls ein wenig Nachdruck. Damit hat es sich dann aber auch. An die Informationsfülle des Displays neben dem analogen Drehzahlmesser hat man sich nach erster Verwirrung relativ rasch gewöhnt.

BMW ordnet den Superbike-Ableger seinem Roadstersegment zu und nennt ihn Dynamic Roadster. Deshalb darf das Triebwerk auch ein paar PS mehr mitbringen als im Wettbewerbsumfeld üblich und um das Revier zu markieren. Gereicht hätten sicher auch um die 140 PS, wie sie im zurückgenommenen Modus „Rain“ der beiden serienmäßigen Fahrprogramme auch fast anliegen. Hier wird die elektronische Gasannahme etwas gezügelt, um einen sanfteren Beschleunigungsverlauf zu erzielen. Das bremst angesichts des nach wie vor vorhandenen Temperaments aber keineswegs den Fahrspaß und forderte bei unserem ersten Ausritt im kalten und verregneten Mallarco trotzdem hin und wieder noch die Traktionskontrolle heraus. Die greift souverän ein und verhindert ungewollte Adrenalinschübe.

Wer den Kick braucht, kann mit den als Sonderausstattung zusätzlich erhältlichen Betriebsarten Dynamik und Dynamik Pro die S 1000 R unter Ausnutzung der Drehzahl als wilde Wutz nutzen und auch auf die Rennstrecke scheuchen. Wheelies, Drifts, Burnouts oder Stoppies sind dann dank schrittweise zurückgenommener Eingriffe der elektronischen Helferlein ebenfalls jederzeit möglich. Solcherlei Sperenzien sind bislang eher untypisch für die Bayern, aber mit der Neuen dürfen erfahrene Reiter gerne mal die Sau rauslassen. Alle anderen bekommen ein angesichts der hohen Leistung erstaunlich leicht zu fahrendes Modell, das sich schaltfaul bewegen lässt, auf der Landstraße ebenso zu Hause ist wie auf der Autobahn und mit der sich bequem auch ein paar Kilometer mehr am Stück abspulen lassen.

Die 12 800 Euro für die Basisversion sind eine klare Kampfansage an die Konkurrenz. Bei dieser Summe wird es nach Einschätzung der Marke aber nur in zehn bis 15 Prozent der Fälle bleiben. Der Rest wird sich eines der beiden oder gleich beide Zusatzpakete nicht entgehen lassen, mit denen unter anderem die Gasannahme noch schneller umgesetzt wird, ein Schaltautmoat mit an Bord ist und ABS und Traktionskontrolle die Grenzbereiche etwas weiter öffnen. (ampnet/jri)

Daten BMW S 1000 R

Motor: 4-Zylinder-Reihenmotor, wassergekühlt, 999 ccm
Leistung: 118 kW / 160 PS bei 11 000 U/min
Max. Drehmoment: 112 Nm bei 9250 U/min
Antrieb: Kette
Getriebe: 6 Gänge
Höchstgeschwindigkeit: über 200 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 3,1 Sek.
Gewicht (vollgetankt): 207 kg
Zuladung: 200 kg
Sitzhöhe: 814 mm
Tankinhalt: 17,5 Liter
Normverbrauch: 5,4 l/100 km (bei 90 km/h), 5,6 l/100 (120 km/h)
Bereifung: 120/70 ZR17 (vorne), 190/55 ZR17 (hinten)
Preis: 12 800 Euro

ampnet

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