Preisträger Kermani zeigt, was eine Harke ist und versöhnt die Festgemeinde – Serie: Die Überreichung des Hessischen Kulturpreises 2009 an die vier Preisträger der jüdischen, katholischen, evangelischen und muslimischen Religion (Teil 3/3)

Kermani bedankte sich bei dieser Öffentlichkeit, „Das sind die Journalisten, die Wissenschaftler, Schriftsteller und Intellektuellen, die sich in Artikeln zu Wort gemeldet haben, das sind Politiker gerade auch aus der Partei des Ministerpräsidenten, das ist die Opposition im Hessischen Landtag. Besonders bewegt hat mich, wie solidarisch viele Christen und Vertreter der Kirchen auf die Vorwürfe gegen mich reagierten, in Briefen, in Stellungnahmen und sogar in Predigten. Das war eine sehr schöne, beinah zärtliche Erfahrung“, die für ihn allerdings nicht neu war, weil solche Erfahrungen sein Leben in der Bundesrepublik begleitet haben, seit er in Siegen von iranischen Eltern geboren wurde. Er sprach darüber, warum er von seiner Bildbetrachtung über Guido Reni nichts zurückzunehmen habe, aber auch, daß er dem nachging, worin seine ’Beleidigungen` fußten.

Vor allem aber sprach er das an, was die Grundlage des ganzen, aber durchaus symptomatischen Durcheinanders wurde, die fälschliche Zuweisung des Preises für ihn als Stellvertreter für die Religionsgemeinschaft der Muslime. Wir kommen auf die Rede zurück, müssen aber an dieser Stelle das Problem benennen: die gut gemeinte Verteilung des Hessischen Kulturpreises auf vier Vertreter von vier religiösen Gruppen ist Humbug. Zum einen sind diese Religionen nicht gleichberechtigt insofern, als sich das Abendland nicht nur als christlich bezeichnet hat, sondern die Grundlagen unserer Gesellschaft in der Verfassung auf jüdisch-christliche bezogen werden. Dieser der Kultur gewidmete Preis unterscheidet nicht genau zwischen den religiösen Vorgaben und den Religionen und den in der deutschen Kultur rein kulturell gelebten christlichen Grundlagen. Deren Divergenz kann ein einfaches Beispiel verdeutlichen. Ein Marienbild kann ich einfach schön finden, unter kunstgeschichtlichen Fragestellungen viel dazu sagen, seine Einordnung in die Marienlegende genau markieren oder sonstige theologische Fragestellungen daran entwickeln, ohne überhaupt an Maria, als Gottesgebärerin, zu glauben. Aber um diese Marienfigur zu wissen, ihre Bedeutung und Geschichte zu kennen, ist Grundlage unserer Kultur, die erst möglich macht, sich z.B. die ganze mittelalterliche Kunst einzuverleiben.

Dies ist das eine. Das andere ist die leichtfertige personelle Zuordnung von Religionen auf die Preisträger. Die beiden christlichen Würdenträger sind alle beide gerade aus dem Dienst ausgeschieden. Das sieht von daher nach einer pensionären Würdigung aus und wir dachten uns so, vielleicht war das überhaupt der Anlaß, auf diese Konstellation von vier Preisträgern zu kommen. Aber schon Salomon Korn ist nicht wie die beiden anderen Theologe und praktizierender Kirchenträger. Korn ist von Beruf Architekt und hat diesen Beruf auch ausgeübt und ist in die Rolle der politischen Repräsentanz gewählt worden, die nicht eine theologische ist, in der er die Thora auslegt, sondern eine Interessensvertretung von jüdischen Mitbürgern in Deutschland. Also etwas völlig anderes als ein katholischer Kardinal oder ein evangelischer Kirchenpräsident. Navid Kermani schließlich ist nur noch Repräsentant seiner selbst und seiner von ihm gelebten muslimischen Religiosität, auch wenn er darüber viele Bücher geschrieben hat, bleibt er doch ein einzelnes Individuum und ist kein Vertreter des Islam, was ihn zu religiösen Aussagen legitimieren könnte in einem interreligiösen Dialog.

Kermani hat großherzig in seiner Rede sich den Vorwurf gemacht, den auf so unterschiedlichen Ebenen verliehenen Preis überhaupt angenommen zu haben, ohne daß er den Anspruch auf Vertretung von Muslimen offiziell und gleich zurückwies. In Wahrheit ist diese Preisträgerauswahl eine Ohrfeige für das Kuratorium und seine Jury, die ohne gedankliche Durchdringung den Wunsch, es mögen sich doch alle Religiösen verstehen, in einem löchrigen Strumpf mit fallenden Maschen gestrickt hatten. Hinzu kam bei Kermani noch eine besondere Note. Ausgewählt wurde der Schriftsteller und Wissenschaftler wegen seiner religiösen Texte. Der Streit um ihn hatte sich bei Kardinal Lehmann aber an einem literarischen Text entzündet, der keinerlei Anspruch auf theologische Tat- oder Beweisbestände, sondern auf die Gefühle beim Betrachten einer barocken Kreuzigungsdarstellung schildert. Völlig ungeeignet für einen theologischen Disput oder erlebte Kränkungen seitens des Kardinal Lehmann.

Kermani setzte in seiner Rede noch einen drauf. Er spendete sein Preisgeld in Höhe von 11 500 Euro für die katholische St. Vincent Gemeinde in Köln Vingst, „einem der sozialen Brennpunkte der Stadt, wo drei Viertel der Kinder Eltern haben, die nicht aus Deutschland stammen. Ihr Pfarrer heißt Franz Meurer und lebt den interreligiösen Dialog tagtäglich. Dieser Dialog besteht in einem Stadtteil wie Vingst nicht darin, theologische Meinungen auszutauschen oder sich gegenseitig zu versichern, wie friedlich die eigene Religion sei; der Dialog besteht in der Hilfe von Menschen, gleich welcher Religion sie angehören.“ Das Preisgeld soll die sozialen Projekte der Gemeinde St. Theodor unterstützen.

Damit hat Kermani all den Kleingläubigen gezeigt, was eine Harke ist. Er hat aber auch dem Kuratorium den Weg gewiesen, wie zukünftig Preisvergaben für den Hessischen Kulturpreis zu entscheiden wären: nach den Lebensleistungen eines Menschen, nach seinen individuellen Möglichkeiten, das Leben der anderen zu bereichern.

Und dann hatte sich Kermani auch noch selbst die Harke gezeigt, sozusagen im Verbund mit Freud, also nicht so ganz freiwillig. „Ausgerechnet ich“, so sagt er, „bin in die Identitätsfalle getappt, die ich zuvor ein meinen Essays beschrieben hatte. Ja, ich bin Muslim, und ja, ich bin Schriftsteller. Aber ich bin kein muslimischer Schriftsteller. Die einzige Gemeinschaft, der ich als Schriftsteller angehören möchte und vom heutigen Abend an hoffentlich wieder ausschließlich angehören werde, ist weder Nation noch Konfession. Es ist eine Literatur. Ich bin ein deutscher Schriftsteller.“ Eine sympathische Hoffnung, die allerdings gegen seine Intention doch die nationale Zugehörigkeit betont. Die konfessionelle nicht. Damit können wir gut leben in einem Staat, der sich durch die nationale Zugehörigkeit definiert mit sehr unterschiedlichen religiösen Kontexten.

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