Paukenschlag in Manhattan – Innenansichten Deutschland 1937 – Filmdokumente des US-amerikanischen Journalisten Julian Bryan veränderten das Bild der US-Amerikaner von Nazideutschland

!937/38 gab es in den USA viele Illusionen über Nazideutschland. Die Amerikaner, die selbst in einer Wirschaftskrise steckten, waren beeindruckt vom Rückgang der Arbeitslosigkeit von sieben auf drei Millionen in Deutschland. Viele bewunderten die wirtschaftliche und militärische Stärke des Landes. Eine amerikanische Nazibewegung breitete sich rasch aus. Einige sahen in Deutschland sogar eine Alternative zur westlichen Demokratie. Auch der junge John F. Kennedy empfand die Nazis als unerträglich, aber er fand, dass die USA und Großbritannien die Staatsform der Demokratie brauchten, dass aber Deutschland eben eine andere gewählt hatte. Das Glanzbild der Olympiade 1936 zeitigte Wirkung.

Die Wochenschau »March in Time« schlug im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit ein wie eine Bombe. Bryan war es gelungen, von den deutschen Behörden eine Dreherlaubnis zu erhalten. Auch wenn er ständiger Kontrolle unterlag, konnte er doch ein relativ realistisches Bild vom Zustand Nazideutschlands zeigen: die Aufrüstung, die Militarisierung aller Lebensbereiche, die ideologische Beeinflussung des Volkes mit antikommunistischen und antisemitischen Parolen, die antisemitische Hetze in Julius Streichers »Stürmer«, die Erziehung der Jugend zur Naziideologie und zur Kriegsbereitschaft, die Unterdrückung der Arbeiter durch das Verbot freier Gewerkschaften und die Abschaffung des Streikrechts. Millionen Amerikaner sahen den Film und änderten ihre Meinung über Deutschland (was die Rolle des Kinos in jener Zeit charakterisiert).

Das Propagandaministerium gestattete  selbstverständlich keine Aufnahmen in den Konzentrationslagern und lenkte Bryan auf erwünschte Themen und Schauplätze. Doch was Bryan drehen durfte oder heimlich »in den Kasten« bekam, ließ vor allem die Wirkung der Naziideologie erkennen, zum Beispiel judenfreie Gemeinden, Massenaufmärsche,  250 000 Menschen bei Hitlerreden auf den Reichsparteitagen in Nürnberg, Reichsarbeitsdienst, Kraft-durch-Freude-Fahrten, die Ausstellung »Schaffendes Volk« in Düsseldorf, von der Bryan eine »schwarze« Aufnahme eines modernen Bombers gelang. Bryan machte die einzig bekannten Aufnahmen von der Ausstellung »Entartete Kunst«. Er nannte den Terrorapparat der SS beim Namen, die Morde ohne Prozess, die Verfolgung Pastor Niemöllers, die Bombardierung von Guernica. Bryan hielt Vorträge mit seinem Material, aber alles Rohmaterial von drei Stunden Länge konnte er nie zeigen.

Der Dokumentarfilmer Michael Kloft fand das Material in Archiven und stellte daraus den Film »Innenansichten Deutschland 1937« zusammen, der am Dienstag auf Arte ausgestrahlt wird. Kloft hat das Material systematisiert und kommentiert. Wertvolle politische Wertungen lieferten die Tagebücher und Berichte des US-Botschafters William Edward Dodd und seiner Tochter Martha, beide überzeugte Nazigegner. Auch die schonungslose Kritik des afroamerikanischen Journalisten W.E.B. Dubois und des irischen Schriftstellers Samuel Beckett entlarvt das Hitlerregime. Der von Kloft und Monika Finneisen geschnittene Film untermauert die Einsicht, dass das Naziregime durch Terror und schärfere Ausbeutung der Arbeiter so viel innere Stabilität erreicht hatte, dass die Hitlerclique sich sicher genug fühlte, um am 5. November 1937 die Ausarbeitung der Angriffspläne befehlen zu können. Auch ohne Kenntnis diese Beschlusses klagte Bryan Hitler offen an, den Krieg zu planen.
Dass sich die deutsche Bevölkerung zunehmend wohlfühlte, wie das Pressematerial behauptet, wird im Film nicht bewiesen und bedarf wohl einer tieferen Analyse – was der Film nicht leisten kann, denn Bryan führte (vermutlich gehindert durch das Propagandaministerium) keine Interviews, die Hinweise hätten erbringen können. Alles in allem: Arte sendet einen Film, durch den man nach dem ermüdend »abgefeierten« 13. August endlich etwas Neues erfährt.

Bryans journalistisches Ethos wird kenntlich durch die Tatsache, dass er im September 1939 in Warschau den deutschen Überfall dokumentierte. In Polen wird er als Held verehrt. Seine Filme und Photographien sind heute im Besitz des US Holocaust Memorial Museums.

Innenansichten Deutschland 1937, Dokumentarfilm von Michael Kloft, Deutschland 2012, 52 Minuten, Erstausstrahlung Dienstag, 14. August, um 21.45 auf Arte

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