Novemberelegie oder auch: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus – Die Oper Frankfurt macht „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold lebendig

v.l.n.r.: Anna Ryberg (Juliette), Alan Barnes (Gaston), Tatiana Pavlovskaya (Marietta / Marie; sitzend), Hans-Jürgen Lazar (Graf Albert), Michael Nagy (Fritz) und Statisterie der Oper Frankfurt (in den Türen im Hintergrund)

Denn das Leben ist anders. Da geht es nicht so glatt in eine Richtung, da ist ein stärkeres Hin und Her, als es sich Paul selbst hier inszeniert, indem er den Tod seiner Gattin nicht verwinden kann, sie in seiner Erinnerung und seinem Alltag lebendig hält und eine Flechte ihres goldblonden Haares dafür zum Symbol kreiert. Umgang mit einer Toten. In einem Totenhaus. Damit das Leben nicht weitergeht. Surrogat für die Vergangenheit, die nicht vergehen muß, wenn man dies einfach verhindert und das wirkliche Leben aussperrt. Das hatte sich der 23 jährige Korngold nicht selbst ausgedacht, sondern fußte auf einem Modebuch kurz vor der Jahrhundertwende, als Georges Rodenbachs Roman „Brugges-la-Morte“ das zum Thema machte, was viele Menschen schon damals fühlten, daß eine Zeit zu Ende geht. Brügge mit seiner mittelalterlichen großartigen Vergangenheit, mit dem südlichen Flair im Norden, den brackigen Kanälen, einst herrschaftlichen, nun heruntergekommenen Herrenhäusern, den Grachten und mit Zeichen einstiger Respektabilität versehenem Stadtbild mitsamt ehemaliger hochwohlgeborener wie freiheitlich-bürgerlicher Bevölkerung, gab ein gutes Sittenbild für das Ambiente ab, in dem das Gefühl der Endzeit ausgedrückt werden konnte.

Aber erst das wirkliche Ende, der politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Zusammenbruch infolge des 1. Weltkrieges und das Vergehen und Verwehen der Donaumonarchie zugunsten eines Nationalstaates Österreich, setzte für den jungen Komponisten die Motivation frei, sich der alten Vorlage anzunehmen und die seit 1903 vorhandene Bühnenfassung für eine Oper zu nutzen. Zu Hilfe kam Korngold dabei sein Vater, der bis heute bekannte Musikkritiker Julius Korngold, der als Paul Schott das Libretto fertigte. Eigentlich ist es eine Liebesgeschichte vom Nichtloslassenkönnen des geliebten Objektes, dem Wahn, Totes am Leben zu halten, aber hinter dieser Liebesgeschichte verbirgt sich das Drama eines ganzen Zeitalters, das Gewesene vergessen zu müssen, was manche nicht konnten, und neu anzufangen, anfangen zu müssen. Deshalb sind neben der Erinnerung, der Traum, das Traumspiel, die Verwischung von Traum und Wirklichkeit, die psychoanalytischen Folgen von Verdrängen als Wiederkehr des Verdrängten immanenter Bestandteil dieser Oper. In der Szene und auch in der Musik. Das wurde durch zwei gleichzeitige Uraufführungen am 4. Dezember 1920 in Hamburg und Köln gefeiert und lieferte eine Erfolgsgeschichte die Zwanziger Jahre über.

Katja Haß hatte in eine vorgebaute Guckkastenbühne einen Kubus gesetzt, spitzwinklig zum Publikum, dessen Seiten man mit leichten Händen beiseiteschieben konnte und Pauls „Kirche des Gewesenen“ ansichtig wurde, sein Privatmuseum, in dem die Andacht an die verstorbene, ach so schöne und ach so gute Frau gehegt und gepflegt werden konnte, hier durch an der Decke hängende Videoschirme und darauf ablaufenden Film- und Fotosequenzen ’verlebendigt`. Brigitta, Pauls Haushälterin (Hedwig Faßbender) führt uns in die Geschichte ein. Sie stützt Pauls (Klaus Florian Vogt) Trauerarbeit um Marie, gibt ihr Fundament und putzt dieses und sorgt auch dafür, daß die Rosen immer weiter blühen. Es klingelt. Ein außergewöhnliches Ereignis in diesem Totenhaus. Es ist eine junge Frau, Marietta (Tatiana Pavlovskaya), als Schauspielerin und Tänzerin nach Brügge gekommen, die Paul ob ihrer frappanten Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Liebsten um einen Besuch bat und die ihm nun, im Kleid und der Klampfe der Marie, einen Tanz macht und dazu ein berückend schönes Lied singt: „Glück, das mir verblieb“. Der Rest ist kurz erzählt. Während Marietta die innerliche Abgewandheit des Witwers erspürt und das Weite sucht, imaginiert er ihre Anwesenheit, in der er spürt, daß er sie – doch eine Fremde – begehrt und sie dafür strafen muß, daß er mit seinem Begehren seiner Verstorbenen untreu wird.

Aber erst einmal läßt er sich mit ihr ein, verbringt eine Nacht mit ihr, ist eifersüchtig auf seine Nebenbuhler, und mordet die ihn Verlockende dann, weil sie ihn zum Untreuesein verführte. So zumindest im Original. Die Regie, die viel Optik auf die Bühne brachte, erfindet hier zwölf Marien, die tanzend Marietta in ihre Mitte nehmen und ihr die Luft abschneiden. Daß diese Männer waren, wenigstens haben wir das so gesehen, hat uns glauben lassen, daß auch wir im Traumspiel Wirklichkeitsstörungen haben. Dabei ist das alles egal, denn es war ja nicht wahr, was Paul phantasierte, nur die Widerspiegelung seiner Schuldgefühle ob seines Begehrens eines fremden Weibes. Das macht uns das erneute Klingeln klar, mit dem Marietta erscheint. Sie hatte nämlich ihren Schirm vergessen, ach ja, so macht man das ja, wenn man sich mit der ersten Unaufmerksamkeit eines Mannes nicht zufriedengibt. Denn der vergessene Schirm ist die zweite Chance für Paul und diese nutzt er nun nach seinem Phantasiedesaster für ein neues Leben, wie man annehmen kann, mit Marietta oder einer anderen.

Vergessen haben wir des Pauls guten Freund Frank, das Realitätsprinzip, dem Michael Nagy baritonale Wärme gab, wie überhaupt Korngold allen Stimmen ihr Recht ließ, Leitmotive andeutet und das zwischen Wahn und Wahrheit Irrlichternde auch in den Gesangspartien wie in der Orchesterfärbung nachempfinden läßt. Dieser Schönklang, der tatsächlich an Puccini und Strauß und das, was man Spätimpressioninismus nennt, erinnert und den das Orchester perfekt wiedergab, eine illustrierende Musik, die einen schon zu Beginn an Korngolds spätere Meisterschaft als Filmkomponist denken läßt, diese Musik bringt allerdings auch eine Ebene der inneren Unbewegtheit mit sich. Denn das, was auf der Bühne und auch in der Musik Katharsis genannt wird, die tiefen, einen erschütternden, das Selbst in Frage stellenden Momente, die ereignen sich nicht, weil alles sehr glatt abläuft, nicht einmal zwanghaft, sondern wie von selbst.

Und so stellen wir trotz phänomenaler Leistung des Tenors Klaus Florian Vogt und der in Ton und Figur so passenden Tatiana Pavlovskaya, die vom Orchester nur zu Beginn übertönt, dann aber sehr schön gestützt wurde, den soliden weiteren Sängerleistungen, den aufregenden Einfälle um Alan Barnes als Gaston, dem Julien Pregardien die Stimme leiht, und vielen Putzigkeiten auf der Bühne fest, daß wir das großartig fanden, es uns aber irgendwie kalt gelassen hatte.

Nächste Vorstellungen: 26., 29. November, 5., 10., 13., 17., 20. Dezember 2009

www.oper-frankfurt.de

Vorheriger ArtikelWestafrika: Piraten töteten einen Seemann auf deutschem Tanker
Nächster ArtikelDeutsches Geld zerstört indonesischen Urwald