Nicht totzukriegen – „König Ubu“ randaliert in der Box des Deutschen Theaters

Roter Vorhang. Quelle: Pixabay, gemeinfrei

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Obwohl es nur drei Mitwirkende gibt, ist das gesamte Ensemble des Deutschen Theaters auf der Bühne, mal bewaffnet in Kampfanzügen, mal gegen Rassismus demonstrierend. Ulrich Matthes bittet so sehr darum, den König von Polen spielen zu dürfen, dass Linda Pöppel ihm die Rolle überlässt. Sie tut das bereitwillig, denn der König wird sofort in Stücke gehackt.

Auch die hohe Politik lässt sich sehen, alles was Europa rechtspopulistisch zu bieten hat, tritt in Erscheinung, und sogar der Leibhaftige – nein das DT hat den amerikanischen Präsidenten nicht eingeladen. Das sind nur kleine Puppen, aus weißem Schaumstoff ausgeschnitten, denen Porträtfotos auf die Köpfe geklebt wurden. Die Ulrich-Matthes-Puppe kann sogar ihren Mund bewegen, aus dem jedoch, technisch verfremdet, die Stimme von Elias Arens zu hören ist.

1888 führte der 15jährige Alfred Jarry sein Stück „Ubu Roi“ als Marionettenspiel vor Freunden auf. Es war ein Schülerulk. In der Titelfigur hatte Jarry einen Lehrer karikiert. Allerdings hatte sich der junge Autor erstaunliche Gedanken zur Erneuerung des Theaters gemacht, die er weiter verfolgte und mit denen er Poeten seiner Zeit wie W.B. Yeats oder Mallarmé beeindruckte. Sie waren auch 1896 anwesend bei der Uraufführung von „Ubu Roi“ im Pariser Théâtre de l’Oeuvre, konnten den Skandal jedoch nicht verhindern.

Ein großer Teil des Publikums protestierte lautstark gegen die vulgäre Sprache und die ungewöhnliche Form des Stücks, das nach zwei Vorstellungen abgesetzt werden musste.

An den deutschen Theatern wurde „König Ubu“ erst Ende der 1950er Jahre entdeckt, dann aber mit großem Erfolg vielfach gespielt. Jarry gilt als Wegbereiter des Expressionismus und sein „König Ubu“ hat seine erschreckende Aktualität bis heute nicht verloren.

Regisseur András Dömötör und sein Team haben sich mit dem Autor und seinen Ideen offenbar intensiv auseinander gesetzt. In die Box hat Sigi Colpe eine Puppenbühne hineingebaut, ganz in weiß mit einem Steg, auf dem die Darstellenden sich bewegen, wenn sie nicht dahinter, immer noch gut sichtbar, mit großen Aktionen wie blutigen Schlachten beschäftigt sind. Colpe hat auch die Kostüme entworfen, eng anliegende Lederanzüge ohne Ärmel in verschiedenen Brauntönen. Linda Pöppel trägt dazu Brüste aus Schaumstoff.

Bozidar Kocevski ist Vater Ubu und bildet mit Linda Pöppel ein Elternpaar zum Albträumen.

Glücklicherweise haben die beiden keine Kinder. Vater Ubus erstes gebrülltes Wort ist „Scheiße“. Damit die ZuschauerInnen nicht allzu sehr erschraken, wurde das früher in „Schreiße“ verfremdet, auch im französischen Original hieß es nicht „Merde“ sondern „Merdre“.

Solche Rücksichtnahmen sind heute nicht mehr notwendig, und so kann Vater Ubu sein Lieblingswort ausgiebig einsetzen. Er brüllt jedoch nicht nur, sondern setzt auch gleich zu Gewalttätigkeit an, will nämlich Mutter Ubu erschlagen. Die hat Shakespeare gelesen und schlägt ihrem Mann vor, doch lieber einen Königsmord zu begehen und sich dann selbst auf den Thron zu setzen.

Vater Ubu hat zunächst Skrupel, die vor allem seiner Bequemlichkeit geschuldet sind. Dann aber tötet er mit Lust und beutet die ärmsten seiner Untertanen aus, nachdem er allen reichen in einer speziellen Vernichtungsmaschine den Garaus gemacht hat. Mit der polnischen Armee führt er Krieg gegen Russland, wird vernichtend geschlagen, flieht vor seinen Feinden und bricht am Ende, gemeinsam mit Mutter Ubu, zu neuen Gräueltaten auf.

Bozidar Kocevski, Linda Pöppel und Elias Arens verwandeln sich unentwegt in die zahlreichen Personen, die im Stück auftreten. Sie agieren hoch dramatisch mit großen Gesten, soweit das rasante Tempo es zulässt. Besonders Furcht erregend ist Vater Ubu, ein knurrendes Monster mit rollenden Augen, das erbarmungslos Angst und Schrecken verbreitet.

Dabei ist Vater Ubu, wie die meisten Bösen, nicht nur im Märchen, ungemein dumm und begriffsstutzig. Ohne seine Lady Macbeth an der Seite würde er sein Leben wohl ausschließlich mit Fressen und Saufen verbringen und nur gelegentlich ziellos Prügeln und Totschlagen.

Mutter Ubu muss ihrem Mann immer wieder die einfachsten Dinge erklären. Sie ersinnt die teuflischen Pläne, die er dann ausführt. Sie ist besessen von Ehrgeiz und auch von Gelüsten, die dem vermutlich impotenten Vater Ubu fremd zu sein scheinen. Linda Pöppel gestaltet ganz allein eine Orgie, bei der Mutter Ubu mit einer Vielzahl von Sexpartnern ihre Bedürfnisse auslebt.

Vater Ubu kämpft im Krieg, und Bozidar Kocevski stellt sowohl die ganze polnische als auch die ganze russische Armee dar und das Aufeinandertreffen dieser Armeen in einer chaotischen Schlacht, in der gekämpft, getötet und geflohen wird.

Bei aller Übertreibung ist die Art der Darstellung immer sehr präzise und artet nie in Klamauk aus. Hingebungsvoll verkörpert Elias Arens ein brennendes Feuer, bei dem auch die knackenden Äste zu hören sind. In schnellem Wechsel von einer Person zur anderen charakterisiert Arens den einzigen überlebenden Sohn des Königs von Polen und seine Mutter, die nach strapaziöser Flucht in den Armen ihres Kindes stirbt.

Die Inszenierung ist mit sehr vielen komischen und boshaften Regieeinfällen angereichert. András Dömötör und sein Team haben das Absurde wie auch das real Bedrohliche des Stücks in hervorragender Weise herausgearbeitet.

„König Ubu“ von Alfred Jarry in einer Fassung von András Dömötör und Meike Schmitz ist seit dem 30.11. 016 in der Box des Deutschen Theaters zu erleben. Nächste Vorstellungen: 12. und 18. Februar 2017.

Vorheriger ArtikelBerlinale – Kritik zu „Mammoth“
Nächster ArtikelObst und Gemüse nicht nur für verarmte Feinschmecker – Die Fruit Logistica 2017