Nicht nur Kappensitzungen – Die erste Februarwoche im Wiesbadener Kulturleben

Fritz Rau © WELTEXPRESS, Foto: Dr. Jürgen Pyschik

Zu loben war zunächst die Veranstaltung mit Fritz Rau im ausverkauften Kulturforum, in der er seine Erinnerungen aus „50 Jahren Backstage“ mit einem äußerst interessierten Publikum teilte.

Rau wird vor allem mit Stars wie den Rolling Stones, Udo Lindenberg oder Jimi Hendrix in Verbindung gebracht, aber sein Verdienst und damit auch seine Erinne-rungen beginnen viel früher. Zuerst war der Jazz. Diese Musik hat ihn  nicht nur „entnazifiziert“ sondern auch sein Weltbild geprägt. Die Freiheit in der Improvisation lässt eine Ahnung von jener Gesellschaft aufscheinen, die auch möglich ist. So bestanden die ältesten Bindungen an Künstler wie Ella Fitzgerald oder Oskar Peterson.

Für uns heute über 60jährige waren es die die von ihm veranstalteten legendären Festivals in der Frankfurter Fest- und Kongresshalle aber auch anderswo, die unsere Begeisterung für Folkmusik weckten: Das „Amercan Folk Musik Festival“, das „Gospel-Festival aber auch das Flamenco-Festival mit „La Singla“ als Höhepunkt, die uns Orientierung gaben und in scharen nach Burg Waldeck pilgern ließen. Damit bereitete er nicht nur den Weg für den Rock&Roll der siebziger Jahre und geschichtliche Größen wie die „Rolling Stones“, sondern auch für mindestens zwei Generationen den Weg in einen Kulturwandel, der das Land aus dem Muff der Adenauerjahre herausführte.

Begleitet und aufgelockert wurde die Lesung durch Biber Herrmann, nach Einschätzung Raus der derzeit beste deutsche Bluessänger, der mit Klassikern der Bluesgeschichte beim überwiegend grauhaarigen Publikum die besten Erinnerungen weckte, ohne dass sich dieses allerdings zu lebhafteren  Reaktionen als einem rhythmischen Wippen der Füße hinreißen ließ. Man wird eben alt.

Das zweite Ereignis war das Hörfest-Festival, das der Hessische Rundfunk zusam-men mit dem Kulturamt der Stadt und anderen Partnern, wie dem Hessischen Staatstheater veranstaltete. Das begann mit einer Lesung von Eva Mattes im Litera-turhaus Villa Clementine und endete mit einer „Kinderhör-Gala“ einschließlich der Verleihung eines Preises, den Sala Naoura für die Lesung von „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ erhält.

Als Höhepunkt für die Erwachsenen gab es die große Hörgala ausgerichtet vom hr2 im gastgebenden und nahezu ausverkauften Großen Haus des Hessischen Staats-theaters.

Das Programm war ausgesucht und variantenreich. Tina Teubner gab den „Blick der Frau auf den Mann“, soweit dieser als Chanson erfolgte begleitet von Ben Sü-verkrüp.  Die Münchener Band „Monaco-Bagage“ fasste herrlichen Unsinn in temperamentvolle Musik und ließ dabei hier und da sogar Erinnerungen an Insterburg und Co aufkommen. Ganz auf Wortspiel und Wortwitz ausgerichtet dagegen Uwe Steimle der zeigte, welch seltsame Nuancen die Welt annimmt, betrachtet man sie aus der Position eines Sachsen. Als Vierter des Abends trat Sven Ratzke auf mit einem Programm, so glitzernd wie der Radler-Dress, den er beim ersten Auftritt trug und der Fähigkeit, besonders die in der ersten Reihe sitzenden Damen durch sehr direkte Ansprache zu verunsichern.

Und wenn diese Gala nun wirklich nur ein „Hörfest“ gewesen wäre und man nichts gesehen hätte – der Mitschnitt des Abends wird ja im Hörfunk gesendet? Bei Tina Teubner wäre es sich ausgegangen, was keineswegs am Aussehen der Künstlerin liegt sondern an der Art der Nummer. Bei „Monaco Bagage“ wäre es schon sehr schade und bei Sven Ratzke ein absoluter Verlust gewesen. Bei Uwe Steimle dage-gen kann man nur empfehlen, die Augen zu schließen und sich die intellektuellen Spitzen in den Ohren zergehen zu lassen.

Also war es insgesamt doch gut, ins Theater gegangen zu sein und nicht auf die Übertragung gewartet zu haben. Zumal das Große Haus des Staatstheaters einen Rahmen abgibt, der jeder Gala würdig ist und es darüber hinaus – und das war die eigentliche Überraschung  – obwohl „Großes Haus“ doch noch über jene Intimität des Raumes verfügt, die Kleinkunst nicht erdrückt sondern voll zur Geltung kommen lässt.

Vorheriger ArtikelEine aberwitzige Konstellation: Bessere Protectoren schützen im Eishockey – und provozieren zugleich Gehirnerschütterungen
Nächster ArtikelBonn begründet das Bündnis für biologische Vielfalt mit