Nicht mehr komisch – Berliner Opernorchester verschärfen ihre Arbeitskampfmaßnahmen

Nicht komisch finden die Orchestermusiker die Halb- und Unwahrheiten auf einem Handzettel, den die Intendanz an die Opernbesucher verteilen ließ. »Wir bedauern, dass Sie in die Auswirkungen eines Tarifkonflikts einbezogen werden, von dem wir glauben, dass er am Verhandlungstisch zu lösen wäre.« Torsten Näther, Orchestervorstand, stellt fest: »Das Gegenteil ist der Fall. Am Verhandlungstisch hat Peter Raddatz (gemeint ist der Generaldirektor der Opernstiftung) ein annehmbares Angebot zurückgezogen, das der Kulturstaatssekretär André Schmitz formuliert hatte. So geschehen am 12. November in Köln. Am Verhandlungstisch war so der Konflikt nicht mehr zu lösen. Also Vollstreik.«

Fakt ist, die Gehälter der Berliner Opernorchester liegen um 12 Prozent unter denen des bundesweiten Flächentarifs. 22 Musiker haben in den vergangenen Monaten die Komische Oper verlassen, um in besser bezahlten Orchestern zu arbeiten. Für junge Kollegen ist es abschreckend, zu niedrigeren Gehältern eingestellt zu werden und gleichzeitig das Repertoire anderer Opernhäuser mit beherrschen zu müssen – die sogenannte Aushilfsklausel. In der Politik wird offenbar unterschätzt, dass die Unterbezahlung der Musiker das künstlerische Niveau der Opernhäuser gefährdet. Der Kompromissvorschlag sah vor: Tariferhöhung um 6 bis 7 Prozent, gültig bis 2014, und Abschmelzen des 13. Monatsgehalts von 82 auf 79 Prozent (statt auf 72 Prozent im Flächentarif), Angleichung an den Flächentarif bis 2017. Die Musiker sagen: Ja, dann aber die Aushilfsklausel (die sie laut Intendanz kategorisch ablehnen) erst 2017. Wenn die Gewerkschafter der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) den Kompromiss schaffen, hilft das auch den Tänzern und Choristen, deren 13. Gehalt dann angeglichen werden kann.

Mit Lust verteilte die Intendanz einen »Pressespiegel«, in dem die »Gutverdiener« madig gemacht werden. Die Streikenden, davon unbeeindruckt, waren vorbildlich organisiert: Streikposten in leuchtenden Westen vor der Oper mit der Losung »Keine Abkoppelung vom Öffentlichen Dienst!«, Streikversammlung während der Vorstellung. »Wir streiken am Arbeitsplatz, nicht auf der Couch«, sagen die Musiker. »Die Solidaritätsachse der Opern funktioniert sehr gut. Wir machen nicht zehn mal dieselbe Maßnahme. Da gibt es viele Möglichkeiten. Natürlich spielen wir lieber. Es liegt aber bei den Arbeitgebern, die auch uns belastende Auseinandersetzung zum Abschluss zu bringen.« Die DOV macht Raddatz für die festgefahrene Lage verantwortlich. Sie fordert von der Politik, dem Stiftungsdirektor endlich zu sagen, wo es langgehen soll.

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Erstveröffentlichung in junge Welt vom 03.12.2010.

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