Nach über hundert Jahren die erste Retrospektive – Serie: „Joseph Maria Olbrich. Jugendstil und Secession“ im Museum Leopold in Wien (Teil 1/2)

Wiener Secessionsgebäude, seitliche Ansicht, 1897/98

Aber nicht weil die vielen, noch dazu höchst unterschiedlichen Hunderte von Objekten hart an die Kondition von Museumsbesuchern gehen –dies allerdings im Leopoldmuseum ganz sicherlich auch, denn mal will natürlich auch die Schieles und Klimts und die derzeit ausgestellten Jugendstil-Künstler auch sehen, die der Museumsgründer – Rudolf Leopold, gerade zum Leidwesen der Kunstwelt gestorben und mit einem liebevollen Gedenkraum im Museum geehrt – für die Nachwelt zusammengetragen hat, als kein Mensch in Österreich deren Bedeutung überhaupt erkannte. Ein unbestimmtes Déja-vu entfällt, man erinnert sich stattdessen genau an einzelne Dinge, aber sieht einen neuen Kontext: Wien.

Also, nicht weil es mit rund 400 Stücken so viel ist, geht der Ausstellungsbesuch hart an die Grenzen, sondern weil man kaum fassen kann, wie ein einzelner in gerade mal 40 Jahren – und da sind ja die Kinder- und Jugendjahre mit dabei! – ein derartiges Werk schaffen kann, das nicht nur vom Umfang her überreich ist, sondern daß noch dazu mit verschiedenen, sonst meist getrennten Sparten der Kunst bestückt ist: mit den vielen architektonischen Entwürfen, aber auch mit denen für die Außen- und Innendekoration, Möbel, für Haushaltsgegenstände, von denen auch viele Ausführungen zu sehen sind: die glänzenden Gläser, die unendlich vielfältig geformten Vasen, die Porzellane, die Silberbestecke, der Schmuck, die Schmuckkästen genauso wie die Futterale, wie die Schreibtische, die Schlafzimmer, die Lampen, die”¦wir könnten den ganzen Artikel über die Ausstellung füllen mit den Dingen, die er geschaffen hat und die hier ausgestellt werden können.

Statt dessen wollen wir noch einmal kurz den Lebensweg skizzieren, damit diejenigen, die Joseph Maria Olbrich als den Initiator der Darmstädter Mathildehöhe und des Darmstädter Jugendstils kennen, nun auch wissen, weshalb seine Heimat Wien der entscheidende Schlüssel für seine künstlerische Heimat ist, aber auch warum er – leider für Wien – dieses verlassen mußte. Dabei war er kein Wiener, sondern wurde am 22. Dezember 1867 in Troppau, heute Tschechien, damals Herzogtum Schlesien im Habsburgerreich, geboren, übrigens, – zu so etwas verführen so aufschlussreiche Zeitleisten wie die im Katalog, – in dem selben Jahr, in dem Karl Marx „Das Kapital“ veröffentlichte, ein Jahr vor den Geburten seines späteren Förderer Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, Peter Behrens, Charles Mackintosh und Stefan George und zwei Jahre vor Hans Poelzig und Frank Lloyd Wright, Jahre der weltbewegenden Architekten also.

Daß dies die erste wirklich große Ausstellung zum Lebenswerk Olbrichs ist, hat damit zu tun, daß er zwar in Wien reüssierte, dann aber im fernen Darmstadt und dann auch noch Düsseldorf seine großen Werke schuf und so plötzlich verstarb. Er geriet so zwischen alle Welten, von denen man heute weiß, daß er sie verband, wie kein Zweiter. Es gab – auch das ist typisch für das halbe Vergessen – bis heute keine Olbrich-Monographie, deren Funktion jetzt der sehr aufwendige und durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Symposien unterstützte Katalog übernehmen muß und auch kann. Für Wien bleibt es ein großer Verlust, daß alle Bestrebungen seines Mentors Otto Wagner fehlschlugen, ihm in Wien zu einer Professur zu verhelfen und das Talent Olbrich also in Wien zu belassen. Otto Wagner war vielleicht derjenige, der hierzulande am entschiedensten wusste, über welches, Spezialistentum übergreifende, schöpferische Potential Olbrich verfügte.

Denn er ließ ihn, den Anfänger, in seinem anerkannten Baubüro die wichtigen Entwürfe für die Wiener Stadtbahn (Schottenring 1894 – 1900) machen, für die Wagner berühmt wurde, und wo man heute für eine der interessantesten, den kaiserlichen Pavillon in Hietzing annimmt, daß dieser von Olbrich stammt. Das alles kann man in der Wiener Ausstellung mit vielen Zeichnungen, aber auch Fotos und Dokumenten verfolgen. Heute nimmt man an, daß das charakteristische Sonnenblumendekor von ihm stammt und er überhaupt beteiligt war an der Entwicklung vom historisch geprägten Ornament hin zu linearen, floralen Dekorgestaltung.

Da Olbrich – im Gegensatz zu seinen späteren Kollegen Henry van der Velde und Peter Behrens – über eine, noch dazu solide baupraktische sowie akademische Ausbildung verfügte, hat er von Anfang an, auch Häuser bauen dürfen. Diese sind im Leopoldmuseum in den Entwürfen, den fertigen Bauten durch Fotos an der Wand, aber auch Modellen zu sehen, wobei die Namen der Bauherrn – wie der des Literaten und Kritiker Hermann Bahr – den Wieners noch heute bekannt sind, waren es doch Prominente der Zeit, die sich im neuen Stil versuchten. Beim Bauen war Olbrich nie Anfänger, er wußte von Anfang an, sein Formenrepertoire in Häuser umzusetzen. Sicher hat seine naturwüchsige architektonische Sicherheit auch damit zu tun, daß er ausgewählt wurde, der Gruppe eine Gebäude zu bauen, die sich als die Secessionisten 1897 von der mehr als herkömmlichen und erstarrten Kunstakademie abgewandt hatten: die bis heute aufregende Secession von 1898, ein weißer Kubus mit Goldkrone, die damals nur 74 000 Gulden gekostete hatte, von Mäzenen wie dem Fabrikanten Karl Wittgenstein unterstützt, und ohne Honorar für alle am Bau und der Ausgestaltung beteiligten Künstler. Übrigens ist die „Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession“ ein bis heute aktiver Künstlerbund.

„Mit welcher Freude gebar ich dieses Haus! Aus einem Chaos von Ideen, einem rätselhaften Knäuel von Empfindungslinien, einem Durcheinander von Gut und Böse entsproß es, nicht leicht! Mauern sollten es werden, weiß und glänzend, heilig und keusch. Ernste Würde sollte es umwehen. Reine Würde“ kann man Olbrichs Empfindungen über sein Werk an der Wand des Museums nachlesen. Fortsetzung folgt.

P.S.: Bitte lesen Sie den ersten Teil der Olbrich-Reise, die in Darmstadt begann und wo explizit auf die deutschen Bauten in Darmstadt und Düsseldorf und auf seine handwerklichen Arbeiten eingegangen wird, die auch in Wien ausgestellt sind.

Ausstellung: Bis 27. September 2010

Katalog: Das Leopold Museum gibt den im Verlag Hatje Cantz veröffentlichten Katalog mit verändertem Titel „Jugendstil und Secession“, neuer Umschlaggestaltung und einigen Zusätzen heraus. Schon für die Darmstädter Fassung schrieben wir: „Katalog: Joseph Maria Olbrich 1867 -1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne, hrsg. von Ralf Beil und Regina Stephan, Mathildenhöhe Darmstadt, Verlag Hatje Cantz 2010.

Daß dieser Ziegelstein und als Katalogbuch bezeichnete Band seine schwergewichtige Berechtigung hat, erkennt jeder, der in ihm herumblättert oder ernsthaft zu lesen und zu studieren anfängt. Es gibt in der Literatur nämlich nicht sehr viel zu diesem wichtigen Zeitgenossen der Moderne, der in allen angewandten Künsten zu Hause war. So ist man auch inhaltlich erschlagen, wenn man betrachtet, wieviel und wieviel Verschiedenes und doch aus einem Guß Joseph Maria Olbrich geschaffen hat. Kluge Worte gehen eine Verbindung ein mit schönen Bildern, die dem Text die visuelle Aussage zur Seite geben.

Hörbuch: Joseph Maria Olbrich, erschienen in der Reihe „Kunst zum Hören“ im Verlag Hatje Cantz. Dieses Buch ist für die Ausstellung in Darmstadt konzipiert. Aber, auch wenn die Reihenfolge in der Ausstellung im Museum Leopold eine andere ist, sind doch die Grundlagenwerke dieselben. Man kann also die 55 Titel, die auf der CD die einzelnen Werke vertiefen, sich auch in und nach Wien anhören – und sollte das tun.

Internet: www.leopoldmuseum.org

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005

Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.

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