Mitten im Bahnhofsleben: die Freimaurer – Serie: Bahnhofsviertelnacht – Ein Erlebnis zwischen Tradition, Moderne und einem Hauch Exotik (Teil 1/2)

Viele der Stationen boten eine hausinterne Führung an, für die man sich anmelden mußte, die von knapp 2.000 Menschen wahrgenommen wurden und schon im Vorfeld restlos ausgebucht waren. Andere wiederum ließen die Besucher ihre Lokalität auf eigene Faust erkunden und standen für Fragen gerne Rede und Antwort. Um den interessierten Gästen einen angemessenen Überblick zu bieten, war das Angebot ansprechend vielseitig: Neben einem Einblick in das Innenleben einiger Nachtclubs bzw. Bars, befanden sich auch die Dresdner Bank, das Feinkostgeschäft Schenck, sowie die Bahnhofsmission im Programm der Veranstaltung, um nur ein paar wenige zu nennen. Auch die Präsentation der einzelnen Stationen gestaltete sich ansprechend vielseitig. So bot das English Theatre die Möglichkeit, sich im zweiten Untergeschoss auf einer großen Leinwand einen Dokumentarfilm über das Bahnhofsviertel anzusehen, während die Bürogemeinschaften in der Taunusstraße 21 zu einer großen Party mit Alkoholausschank lud.

Das kam für uns später, denn angesichts der vielen angebotenen Führungen mußten wir uns mehr als verdoppeln und ein Kontrastprogramm hinlegen. Ein solches bot auch die Führung durch die Loge zur Einigkeit, geleitet von Hans Koller. Das 1894 von der Loge gekaufte Gebäude besteht aus 3 Teilen und steht seit einigen Jahren unter Denkmalschutz; die Fassaden der Gebäude sind bis heute in ihrem Originalzustand erhalten geblieben. Zu besichtigen war während der Führung das Mittelhaus, das gleichzeitig das Haupthaus darstellt, in dem unter anderem die Festivitäten der Loge stattfinden. Die Loge selbst wurde 1742 als einzige weltweit als direkte Tochterloge zu der in England befindlichen Großloge der Freimaurer gegründet. Frankfurter, die keiner Loge angehören, sind froh, daß sie immer wieder einmal für andere Veranstaltungen geöffnet wird. So erinnern wir uns an hinreißende Aufführungen der Frankfurter Kammeroper, aber auch an andere Empfänge.

Viele Menschen denken bei dem Wort „Freimaurer“ oft direkt an abstruse Verschwörungstheorien über einen im Untergrund agierenden Geheimbund, sehr oft wird sogar eine Organisation vermutet, die tatsächlich weltweit die Fäden zieht, was durch massenhafte Trivialliteratur verstärkt wird, aber im Ansatz die Angst von engstirnigen Menschen zeigte, die mit dem schon in vordemokratischen Zeiten  ausgeübten Weltbürgertum der Freimaurer nichts anfangen konnten, die ohne Vorurteile die Welt betrachteten. Typisch beispielsweise, daß der in diesem Sommer in Frankfurt gefeierte Heinrich Hoffmann, seines Zeichens Psychiater und Autor des Struwwelpeter als aufgeklärter Mensch selbstverständlich einer Loge der Freimaurer angehörte – im Frankfurt des 19. Jahrhunderts gab es zahlreiche – , umgehend aber austrat, als diese anfing, jüdische Mitbürger auszuschließen. Dies nämlich ist gegen den tiefen Grundsatz der Freimaurer, daß alle Menschen mit gleichen Rechten geboren seien, weshalb die Nazis nie ihre Freunde wurden.

Herr Koller berichtete von den heutigen Aktivitäten der  Freimaurerlogen, in der es sich um eine Gruppe von Menschen handelt, die im stetigen Austausch von Wissen, Ansichten und sogar persönlichen Problemen sind. So teilt Koller die Mitglieder in zwei Gruppen auf: Auf der einen Seite die Clubmitglieder, die sich laut seiner Aussage an der Zusammengehörigkeit erfreuen und die Atmosphäre genießen und auf der anderen Seite die sogenannten „Suchenden“, die mit ihrer Mitgliedschaft auf einen aktiven Wissenszuwachs hoffen. Zudem führe die Loge Menschen aller Alters- und Gesellschaftsklassen zusammen, Koller sprach hierbei von einem Treffen von „Menschen, die sich sonst niemals begegnen würden.“ Auch sei die Loge multikulturell, es seien Personen aus 14 verschiedenen Nationen sowie alle Weltreligionen und philosophischen Ansichten vertreten.

Klar definiert sei auch der Stellenwert der wichtigen Dinge im Leben: An erster Stelle stehe die Familie, gefolgt von Beruf auf Platz 2 und der Loge an dritter Stelle. Die Ironie wollte es, dass kurz nach dieser Aufzählung ein Anruf auf dem Handy des Führungsleiters einging, der von diesem mit den Worten „Das ist meine Tochter“ weggedrückt wurde. Koller beschrieb die Arbeit der Freimaurer als eine „Suche nach dem Guten“ und einer „Ablehnung von Schlechtem“. Ziel sei es dadurch, eine Verbesserung der Welt zu erreichen, die ihren Anfang immer bei jedem Individuum nimmt. Die Loge schreibe somit niemandem vor, was richtig und was falsch sei. Zudem ist die Loge bemüht, junge Menschen zu fördern, indem sie über eine Stiftung große Summen zur Bildungsförderung verwendet, mit denen beispielsweise Stipendien bezahlt werden. Um von dieser Stiftung gefördert zu werden, müsse man zudem keineswegs Mitglied der Loge sein, so Koller.

Für historisch interessierte Gäste bot diese Führung weitere Höhepunkte: Unter anderem gab ein Organist eine kurze Kostprobe seines Könnens auf einer pneumatischen Orgel, die im Gegensatz zu den meisten bekannten Orgeln, die heutzutage z.B. in Kirchen zu finden sind, mit Unterdruck arbeitet. Es handelt sich dabei um ein restauriertes Originalstück und eine tatsächliche Rarität Koller sprach von der einzigen pneumatischen Orgel im Umkreis. Zudem wurden mit Personen wie Mozart, Händel, Haydn, Herder oder Goethe viele prominente Namen genannt, die ebenfalls Mitglied einer Freimaurerloge waren. Auch ein geschichtlicher Exkurs wurde unternommen, in dem Koller beschrieb, dass die Loge von 1935 bis etwa 1946 geschlossen und von der nationalsozialistischen Regierung verboten wurde. Erst nach Ende des Krieges und einem neuen Lebensanfang in Frankfurt wurden die Logen wiedereröffnet.

Ein letzter interessanter Punkt, ist die Auswahl der Neumitglieder: Pro Jahr würden nur etwa sechs neue Mitglieder aufgenommen, die in einer traditionsreichen Aufnahmezeremonie ermittelt werden. Egal sei dabei, ob man selbst auf die Loge zuginge oder aber von einer anderen Person vorgeschlagen werde. Wichtig sei eher, dass man „zur Loge passt“. Um dies herauszufinden, hat man  – nach einer Vorauswahl – die Möglichkeit, ein Jahr lang an Gastabenden teilzunehmen. Anschließend erfolgt dann eine Abstimmung, bei der einstimmig beschlossen werden muss, ob man als neues Mitglied aufgenommen wird oder nicht – die Anzahl der Mitglieder schwankt zwischen 135 und 150 Personen. Wir aber müssen uns sputen, um weitere Programmpunkte so ausführlich wahrzunehmen, wissen aber schon jetzt, daß wir diese Bahnhofsviertelnacht für eine tolle Idee halten. Denn nie wären wir sonst in diese Loge gekommen.

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