Meine Schuld, Deine Schuld, unserer aller Schuld sühnt die Agentur „sorry“ – Serie: Zoran Drvenkar erhält für „Sorry“, erschienen bei Ullstein, den Friedrich-Glauser-Preis 2010 (Teil 2/2)

Zoran Drvenkar

Das, was daraus wird, als eines Tages der Auftrag lautet, sich bei einer malträtierten Leiche für die unendlichen Qualen zu entschuldigen, die ihr vom Täter zugefügt wurden, der ist auch mit Geld nicht zu bezahlen. Sondern mit Menschenleben, auch dem eigenen. Die Geschichte selbst darf man gar nicht erzählen, aber wohl, daß uns der Autor auf unsichere Wege schickt, wo man erst einmal eruieren muß, wer es gerade ist, der hier erzählt. „Du“ heißt es zum Beginn, wenn man angesprochen wird und gar nicht weiß, mit wem man es zu tun hat. Und als man auf Seite 15 liest „Ich war es nicht. Sie reißt die Augen auf. Und da ist der Blick, und da ist das Begreifen.“, begreifen wir noch gar nichts, und eben nur, daß wir nicht begreifen. Tatsächlich klärt sich dieser Satz erst am Schluß. Aber, geahnt haben wir da schon lange was.

Es geht also auch um Identitäten, nicht nur wer wer ist, sondern auch was sich hinter dem jeweiligen verbirgt. Kinderpornographie und Kindermißbrauch sind Thema unserer Zeit, wie Gesellschaftswissenschaftler sagen, ein endlich thematisiertes Thema, dem wir alle gerne ausweichen, weil allein die Vorstellungen davon unsere innere Abwehr rüstet, denn wir müßten etwas tun, wenn wir davon erfahren, müßten uns selbst zum Detektiv machen und den offensichtlichen Spuren bei Freunden, Verwandten, den lieben Onkels in den öffentlichen Verkehrsmitteln und anderenorts nachgehen und ihre Taten unterbinden.

Das sagt sich so leicht und all die Zeitungsmeldungen von Päderasten, von Odenwaldschule und den Priesterverfehlungen sind nur eine inhaltliche Anknüpfung, wenn man ab Seite 138 erneut im Abschnitt „Du“ vom Eigentlichen liest. Es geht um Butch Cassidy & Sundance Kid, wie sich die zwei Neunjährigen ab dem Sehen des gleichnamigen Films dann nennen, weil ihnen immer klar war, wer Butch, wer Cassidy ist. Beim imaginären Kampf mit den Feinden kommt Regen, sie suchen Schutz in einer Röhre und als zwei Erwachsene auftauchen, ein Mann an der einen Öffnung, eine Frau an der anderen, da beginnt das Grauen, das so grauenhaft dargestellt an den Kindern, vor allem an dem einen als Mißbrauchstat vollzogen wird, daß einem die Haare zu Berge stehen, was in Krimis sonst nie passiert, auch wenn serienweise die Leute umgeknallt, abgestochen und hingerichtet werden.

Tatsächlich gelingt es Zoran Drvenkar das Unsagbare niederzuschreiben und schon sind wir Leser selber mittendrinnen in Schuld und Sühne. Denn für das, was hier Kindern angetan wird, und dann wiederholt angetan wird, kann es keine Sühne gegen, weil diese Kinder zerstört sind. Von daher kommt für uns, den Leser, alles ins Rutschen. Völlig klar, daß wir zu dem mißbrauchten Kind halten, das seine Peiniger als Erwachsener erledigen will. Und es tut. Aber so relativ einfach macht es einem „sorry“ nicht. Denn es gibt nicht nur das Phänomen der Identifikation mit dem Aggressor, sondern dieses kann unvorstellbare Auswirkungen haben. Schluß. Man muß das schon selber lesen, sich rütteln und schütteln lassen.

Überhaupt werden in „sorry“ viele Arten von Beziehungen angesprochen, vorgeführt. Um Liebe geht es auch ein wenig, aber mehr noch um die Merkwürdigkeiten zwischen Eltern und Kindern, zwischen erwachsenen Söhnen und ihren Vätern, zwischen Töchtern und den hilflosen Vätern und geistig umnachteten Müttern, die schlauer sind, als jeder erwarten durfte. Dies ist ein Roman, in dem sich viele weiteren verstecken. Der vor Leben und Sterben, auch Strafe und Sühne fast platzt.

Am 15. Oktober kommt mit „Du“ der nächste Krimi von Zoran Drvenkar auf den Markt. Wieder bei Ullstein und wieder sind wir dabei. Dafür hat „sorry“ gesorgt.

Infos:

Die Kriminalromane von Zoran Drvenkar erscheinen im Ullstein Verlag. „Du“ ist für den 15. Oktober angekündigt. Wir haben von Friedrich Glauser noch die alte Archeausgabe, aber sicher sind die neuen Ausgaben auf den heutigen Stand ediert. Die Romane, 7 Bänder, hrsg. von Bernhard Echte, Limmat Verlag Zürich, darunter die fünf Kriminalromane vom Wachmeister Studer. Als Taschenbuchausgabe sind diese sieben Bänder erschienen im Unionsverlag, Zürich, ab 1999

Vorheriger ArtikelRAF-Prozess in Stuttgart: Neue Anschuldigung gegen Verena Becker
Nächster ArtikelSchuld und Sühne im 21. Jahrhundert – Serie: Zoran Drvenkar erhält für „Sorry“, erschienen bei Ullstein, den Friedrich-Glauser-Preis 2010 (Teil 1/2)