Lügenmuseum Kyritz: Refugium der Wahrheit

Reinhard Zabka, Hausherr des Lügenmuseums

Wenn wir trotzdem der Lüge eine Lanze brechen, so einzig und allein um des lieben Friedens willen. Ohne die Alltagslügen wäre das Zusammenleben von uns Menschen eine Katastrophe. Man stelle sich nur einen Abend bei Freunden vor, das Essen wird aufgetragen, und mit dem ersten Bissen stellt man fest: Oje, völlig missraten. Was, wenn man nun auf die Frage des Gastgebers „Schmeckts denn“ wahrheitsgemäß mit „Nein!“ antworten würde?! Die Stimmung wäre dahin, der Gastgeber stinksauer und man würde nie wieder eingeladen werden. Ein sehr hoher Preis für die Wahrheit. Da ist eine Höflichkeitslüge allemal besser. Doch Vorsicht: Lügen will gekonnt sein.

Wer damit Schwierigkeiten hat, dem sei zwecks Schulung das einzige Lügenmuseum unseres Landes empfohlen. Es befindet sich in Kyritz „an der Knatter“, genauer gesagt im Ortsteil Gantikow, einem 250-Seelen-Dorf kurz hinter Kyritz. Das Haus, in dem das Museum wohnt, war früher ein Gutshaus, manche sagen sogar: ein Schloss! Aber bei einem Lügenmuseum sollte man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Auf alle Fälle ist es ein fröhliches, altes Haus, dessen Haut mit vielen bunten Bildern geschmückt ist, auf denen sich demonstrierende Schweine, Nixen, wehrhafte Schrifttypen und andere geheimnisvolle Wesen tummeln. Gemalt wurde die Freskogalerie unter Führung von Katharina Zipser, die die Fassadenkunst in den Klöstern Rumäniens und Italiens erlernt hat. Die eine Seite des Freskos steht für die Wahrheit, die andere für die Lüge. Aber niemand weiß mehr genau zu sagen, welche Seite der Lüge dient, welche der Wahrheit. Selbst Reinhard Zabka (57) nicht, der Vater des Museums.

Dieser geistige Unruhestifter, der sich in aller Bescheidenheit Ritter von Gigantikow nennt, ist ein netter, freundlicher Herr aus Thüringen. Leider weiß man bei ihm nie genau, ob er gerade flunkert oder die reine Wahrheit spricht. Auf die Frage nach der Gründung des Museums jedenfalls verblüfft er mit der Tatsache, dass diese bereits 1884 in Gantikow geschah. Selbst Fontane soll die Zurschaustellung auf seinen Wanderungen gelobt haben: „So ist mir dieses Sammelsurium in Gantikow eine helle Freude.“ Lange hat sich der Autor dieses Beitrages bemüht, den Satz im Wanderwerk des märkischen Dichters zu entdecken, vergebens! Was aber nichts am Wahrheitsgehalt des im Museum ausgestellten bemoosten Wanderschuhs Fontanes ändert.

Das Innere des Museums ist ein „begehbares Kunstwerk“, erschaffen aus dem Müll unserer Gesellschaft. Die meisten Objekte bestehen aus Dingen, die nach der Wende in verlassenen Dorfbibliotheken, alten Scheunen, Schrottsammlungen und im Nachlass ehemaligen SED-Parteisekretariate gefunden wurde. Zabka hat die Zeugen dieser verlorenen Welt auseinander genommen und mit Bedacht falsch zusammengesetzt. Dabei entstanden komische, absurde, poetische Objekte mit überraschenden Wahrheiten. Sie sind in ihrer Art – von verrückt bis provokativ – einzigartig. In der rosaroten „Kathedrale des Sozialismus“ beispielsweise kann man einen auf einem uralten Handwagen montierten Schrein bewundern, der drapiert ist mit Dutzenden Orden und staatstragenden Wimpeln. Diese fahrbare Konstruktion stammt (dem Lügenmuseum zufolge) vom letzten DDR-Bürgermeister des Dorfes Babe, der damit auf den Brauch der arbeitenden Bevölkerung reagierte, sich bereits am frühen Morgen des 1. Mai’s so zu betrinken, dass ein geordneter Vorbeimarsch an der lokalen „Partei- und Staatsführung“ nicht mehr möglich war. Satt dessen fuhr diese mit ihrer mobilen Tribüne an den sich im Straßengraben befindlichen Demonstranten vorbei. Diese und andere köstliche Geschichten kann man in den acht Sälen des Lügenmuseums finden. Von der Geburtstube Willi Brandts über die „Psychedelia Maschinka“, die das Weltbewusstsein simuliert, den Zentralfriedhof für Investruinen, bis hin zur Installation „Aufschwung Ost“, einer Leiter, die an der Wand lehnt und zu einem Loch führt, durch das der leere Himmel blickt. Spätestens jetzt begreift man, dass die Behauptung, im Lügenmuseum wäre alles Lüge, selbst die größte Lüge ist. Konkreter kann man eine versteckte Wahrheit nicht entlarven.

Reise-Info: Lügenmuseum Gantikow, Am Anger 1, 16866 Kyritz, täglich 11 – 17 Uhr; Tel: 033971 54782; Internet: www.luegenmuseum.de oder Fremdenverkehrsverein Ostprignitz e.V., Maxim-Gorki-Str. 32, 16866 Kyritz, Tel.: 033971/52331, Fax: 033871/73729, E.Mail: fvv@kyritz.de

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