Koinzidenzen – Serie: Alexander Kluge erhält in der Paulskirche in Frankfurt den Adornopreis, gibt ein neues Buch heraus und zeigt einen neuen Film (Teil 1/2)

Also, wenn das Adorno noch erlebt hätte, daß Alexander Kluge den nach ihm benannten Preis mit einem Preisgeld von 50 000 Euro erhält, der seit 1977 alle drei Jahre immer zum Geburtstag des am 11. September 1903 in Frankfurt geborenen Theodor Wí­esengrund Adorno verliehen wird. Wer außer Norbert Elias (1977), Jürgen Habermas (1980), Michael Gielen (1986) von den anderen illustren Preisträgern Teddy Adorno noch persönlich gekannt hat, wissen wir nicht, aber wir wissen, daß wir in Zeiten geraten, wo die persönliche Bekanntschaft nicht mehr als selbstverständlich oder sogar möglich gegeben sein wird. Was uns auch auffällt, ist, daß die nun zwölf Preisträger allesamt Männer waren und sind, wobei Adorno nicht nur die schöne Gestalt von Frauen erfreute, sondern er sich immer wieder über deren hellen Verstand und ihre praktische Vernunft ausließ.

Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth heißt in der Paulskirche alle zur Verleihung des Adornopreises an Alexander Kluge willkommen. Für die große Anzahl der Gäste aus ganz Deutschland sei der Preisträger durch seine Popularität verantwortlich. Roth weist auf die Verbundenheit und Zugehörigkeit Kluges zur Kritischen Theorie hin und seine Vielseitigkeit als Drehbuchautor, Filmemacher, Schriftsteller und Fernsehproduzent, die für sie kulminiert in der neuen Steigerungsform: kluge, klüger, Kluge. „Wir danken Ihnen für Ihre Lebensweisheit“.

Medienwissenschaftler Friedrich Kittler, Humboldt-Universität Berlin, Mitglied der Jury und für diese Laudator hielt eine so persönliche wie warmherzige Rede, die unter dem Motto „Alles steuert der Blitz“ an den jungen Kluge in Halberstadt, dort 1932 geboren, erinnerte und gab mit diesem Heraklitzitat einen wichtigen Hinweis auf die auch bei Kluge auffindbaren orakelgleichen Paradoxe. Kluge selber ist ihm ein „unparteiischer Beobachter mit atemloser Neugier“. Kittler sprach die historischen Verdienste des Preisträgers um den deutschen Autorenfilm und das Oberhausener Manifest von 1962 („Papas Kino ist tot“) an, bezeichnete diesen aber dennoch als einen homme de lettres – Alexander Kluge konnte sich dann später freuen, daß er den damaligen Leiter der Oberhausener Filmtage und späteren Frankfurt Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann im Publikum begrüßen konnte. In einer anrührenden Passage ging der Preisredner dann auf den mythologischen Kairos, den jüngsten Sohn des Zeus und Gott des günstigen Augenblicks ein, der vorne an der Stirn eine Jünglingslocke, ansonsten den Kopf kahl trägt, dem wir verdanken, die günstige Gelegenheit beim Schopf fassen zu können, laut Kittler, um den rechten Moment zu ergreifen, in der Liebe, in der Schlacht und überhaupt”¦

Nach der Überreichung des Preises sprach Alexander Kluge die Dankesworte, die er der Aktualität Adornos widmete und in der er nicht nur seine Erinnerungen Bild werden ließ, sondern ihn quasi neben sich stehen sah: „Adorno wäre heute 106 Jahre alt geworden. Sein Tod liegt 40 Jahre zurück. Weil er aber in seinen Schriften und Kompositionen und im Herzen von uns, die wir ihn kannten, nicht gestorben ist, will ich versuchen, ihn hier in der Paulskirche herbeizurufen“, was er tat, indem er einige von dessen Gedanken und die Art seiner Verknüpfungsnetze nachahmte. So wäre das Glückskind Adorno, als das er sich fühlte, sicher verblüfft gewesen durch die Koinzidenz seines Geburtstagsdatums mit dem im öffentlichen Bewußtsein Schicksalsdatum des großen Unglücks in New York. Und – so mäanderte Kluge in der vermuteten Assoziationskette Adornos weiter – er hätte die für New York nützliche, aber mangels schneller politischer Entscheidungen nicht verfügbare Metallbrücke, die nun in Tschernobyl steht, assoziativ in den zwei Unglücken miteinander vernetzt und „er würde nicht zögern, wiederum die Havarie von Tschernobyl und die in diesem Jahr, 2009, uns beschäftigende Finanzkrise als Ereignisse ähnlicher Besonderheit miteinander zu verbinden.“

Kluge verweist darauf, daß eine Theorie, die von der Dialektik der Aufklärung spricht und Vernunft erkrankt vorfindet und sie auch für früher diagnostiziert, keine Schwarzmalerei sei. „Bei genauer Beobachtung sind immer auch Elemente der Rettung – entweder bevor das Verhängnis stattfindet oder während es stattfindet oder durch Lernen und Umkehr nach dem Unglück – festzustellen. Aber diese Elemente liegen verstreut auseinander. Unsere geschichtliche Erfahrung besagt, daß sie selten oder nie bisher rechtzeitig zueinander finden.“ Es geht um die Wahrnehmung des Nebeneinanders von Rettung und Verhängnis und die Konsequenzen, deren Inhalte Kluge für Adorno als Reparaturarbeiten kennzeichnet.

Liebevoll beschreibt Alexander Kluge seine Wahrnehmung von Adorno und das gegenseitige Kennenlernen sowie die sparsame Gestik und Mimik beim Reden. „Auch die Gesichtszüge sind vollkommen ruhig. Nur die Augen sprechen. Keine überflüssige Nutzung der mehr als 200 Gesichtsmuskeln, über die ein Mensch verfügt. Ich kenne Abbildungen von Babyloniern, bürgerlichen Menschen von vor 4 000 Jahren. Sie sind ihm ähnlich. Er kommt von weither zu uns.“ Vom Äußeren ausgehend analysiert er die Kernpunkte des Denkens des Philosophen, hält diese mit den Maximen Kants in Spannung, vergleicht gleichzeitig deren Ausformung durch Nietzsche und Sigmund Freud und kommt zu dem legendären Satz Adornos „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, der bei Adorno nie zu verstehen sei als: „wir wollen abwarten bis richtiges Leben kommt.“

Mit einem weiteren Adornozitat, das ’falsches Leben’ charakterisiert: „Man darf sich weder von der Macht der anderen noch von der eignen Ohnmacht dumm machen lassen“, spannt Alexander Kluge einen weiten Bogen durch die Geschichte und die Dialektik der Aufklärung, der das Glücksversprechen konstitutiv sei: „Der Prozeß der Aufklärung muß sich auf etwas gründen, das auf die eingeborene Glückssuche in uns Menschen antwortet.“ Die Vermittlungs- und Verständigungswege verlaufen subkutan: „Die Subjektivität ist der Anker des Objektiven. In solchen Positionen liegt für mich die Modernität Adornos.“ Dessen Klavierkomposition aus dem Jahr 1945 „Valsette“, gespielt von Heather O’Donnell, schloß den feierlichen Akt, der mit Alexander Kluge Gefühl und Verstand raunend zu vereinigen wußte.

Alexander Kluge, Das Labyrinth der zärtlichen Kraft, Suhrkamp Verlag 2009

und gleichnamiger Film, vorgeführt am 10.September im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main

Vorheriger ArtikelAdler Berlin – American Football – Die Bruderschaft der kleinen Sorgen – Eindrücke eines Laien von einem Sport, der in Deutschland immer noch um die Gunst der Massen kämpfen muss
Nächster ArtikelVon der Kultur des Entschuldigens und ihrer Legitimation – Serie: Internationales Symposium zur Frankfurter Buchmesse 2009 „China und die Welt. Wahrnehmung und Wirklichkeit“ (Teil 1/4)