In Brügge auf den Spuren einer süßen Verführung oder Brügge im Schokoladenrausch

© WELTEXPRESS, Fotos: Elke Backert

„Zeig mir deine Schokoladenseite!“ Dieser Aufforderung kann die flämische Stadt Brügge problemlos nachkommen. Das mittelalterlich geprägte, von Kanälen durchzogene „Venedig des Nordens“ mit seinen engen gepflasterten Gässchen und Sträßchen, dem steten Pferdegetrappel der Kutschen und dem hellen, sich stets wiederholenden Glockenspiel seines Wahrzeichens, des Belfrieds, präsentiert nicht nur im Stadtbild seine Schokoladenseite, auch im wörtlichen Sinne. Im Stadtzentrum reihen sich über 50 Schokoladengeschäfte aneinander, weshalb Brügge sich in süßen Tönen gern als Schokoladenmetropole Belgiens bejubelt. Denn belgische Schokolade rühmt sich, die beste der Welt zu sein. Auf jeden Fall benutzen die Chocolatiers beste Rohware, also beste Kakaobohnen, die zuerst trocknen müssen, dann geröstet und zu Pulver zermahlen werden.

Wen wundert es da, dass die Stadt alle zwei Jahre das Schokoladenfestival „Choc`in Brugge“ veranstaltet, in diesem Jahr noch bis zum 8. Dezember. Die Veranstaltung wirbt mit dem Gesicht einer Frau, aus deren Mund schwarze Schokolade tropft wie bei einem Vampir das Blut. Sie ist nicht im Blut-, sondern im Schokorausch. Mit der Festival-Aktion im Spätherbst hofft die Stadt auf ebenso viele Besucher wie im Sommer.

14 Restaurants bieten Schoko-Menüs an, die ganz sicher jeden Gourmet anlocken, so hervorragend, ja perfekt sind sie zubereitet. Ich bin nicht unbedingt ein Freund des Kakaoprodukts, aber ich muss neidlos anerkennen, wenn da als Entree Jakobsmuscheln an 70-prozentiger Schokosauce auf den Tisch kommen, Lachs in Chili-Ingwer-Knoblauch-Zitronengras-Schokosauce und als Hauptgang Filets vom Fasan mit – man kann es kaum glauben – Schokosauce. Die Ideen scheinen grenzenlos und können zur Nachahmung und zur Überraschung der eigenen Gäste zu Hause empfohlen werden.

Eine „Schokoladenwanderung“ beginnt die Fremdenführerin Anne euphorisch: „Warum Schokolade? Sie beeinflusst unser Leben jeden Tag. Wir können morgens eine Tasse heiße Schokolade trinken, in der Arbeitspause ein Stück Schokolade naschen und nachmittags Schoko-Torte essen. Sie berührt alle unsere Sinne. Sobald sie in unserem Mund schmilzt, wirken alle Aromen zusammen. Man kann sie hören, wenn man sie knackt. Sollte sie dabei pulverig werden, ist sie zu alt. Und die Nase kommt auch nicht zu kurz.“

Das merkt die Nase spätestens in den Schokoläden und Cafés, wo ihr Duft die Luft schwängert.

„Man unterscheidet drei Farben. Aber weiße Schokolade enthält nur Kakaobutter – kein Pulver -, Milchpulver und viel Zucker, ist also keine echte Schokolade. Milchschokolade soll mindestens 25 Prozent Kakao enthalten. Die beste, die schwarze enthält zwischen 60 und 70 Prozent, gar bis zu 80 Prozent. Schokolade schüttet Antioxydantien aus, die positiv auf Haut und Blutzirkulation wirken, und sie schüttet Endorphine aus, also Glückshormone.“

Ja, wenn das so ist”¦ Wer möchte nicht glücklich sein! Die Chocolatiers überbieten einander mit Schokolade in Tierformen, allen voran dem Schwan, auf flämisch „de Brugsche Swaentjes“, die offizielle Stadtpraline, eine Kreation von Haselnuss-Praliné mit einem knusprigen Brügger „Kletskop“, einem Mandelkeks, weicher Butter und würzigem „Gruut“. Warum sind Schwäne so beliebt? Für Anne ganz einfach zu beantworten: „Weil wir sie überall sehen, auf Teichen und Kanälen. Sie gehören zum Stadtbild dazu.“

Doch die Legende, der sie ihren Namen verdankt, ist alt. Am Ende des 15. Jahrhunderts lehnten sich die Einwohner von Brügge gegen ihren ungeliebten Kaiser Maximilian von Österreich auf. Sie schlossen ihn mit seinem Ratgeber Pieter Lanckhals (Langhals) in Craenenburg am Markt ein. Lanckhals wurde zum Tode verurteilt, und der Kaiser musste seiner Hinrichtung beiwohnen. Maximilian rächte sich, indem er die Einwohner von Brügge zwang, die Schwäne der Brügger Kanäle, auch Langhälse genannt, für ewige Zeiten zu hegen und zu pflegen.

Auch der Fantasie der Füllungen sind keine Grenzen gesetzt. Neben Altbewährtem wie Krokant, Trüffel, Nuss, Marzipan, Fruchtcremes stechen Wasabi, Chili, Zitronengras, Schinken, Speck, ja gebratene Zwiebel hervor. Aus der schwarzen Masse hergestellte Lippenstifte und Hautcremes sind der Hit, ganz zu schweigen von der Schoko-Wellness, bei der das Gesicht in das eines Sarotti-Mohrs verwandelt wird. Ablecken erlaubt.

Monsieur Sukerbuyc in der Katelijnestraat kann man bei der Schokoladenherstellung zugucken. Eine aufwendige und langwierige Prozedur, da alles handgemacht wird. Lediglich den „Teig“ halten Maschinen bei konstanter Temperatur von 28,5 Grad Celsius in Bewegung. Und sie müssen die Luftblasen herausrütteln, die beim Einfüllen in die Schablonen entstehen.

Wer auf den Spuren der süßen Verführung wandelt, darf das interaktive Schoko-Museum „Choco-Story“ nicht auslassen. Von der Kakaofrucht und ihren Bohnen über die Maya und Azteken bis zum Trinkschokolade-Service erzählt es eindringlich die 4000-jährige Geschichte und veranstaltet gar Brunches und Kochkurse. Zum Naschen stehen Taler der himmlischen Delikatesse bereit.

Sollte ein Schoko-Fan das Festival verpassen, so ist das nicht weiter schlimm. Die Chocolatiers haben ganzjährig geöffnet, und einige Restaurants offerieren das ganze Jahr über Schoko-Menüs zum Preis ab 28 Euro, etwa „Maximilian von Österreich“, Wijngaardplein 16-17 (www.maximiliaanvanoostenrijk.be). „De Mangerie“, Oude Burg (www.mangerie.com), lockt mit Meisterkoch-Workshops und dem anschließenden Verzehr der Gerichte für ab 55 Euro pro Person inkl. Getränken.

Pralinen in essbaren Kartons füllen die Schaufenster, sogar essbare Puzzles, und jetzt in der Adventszeit drängen sich Weihnachts- und Schneemänner in den Vordergrund.

Vormerken sollten sich Fans die jährliche Schoko-Messe „Choco-Laté“ im Belfried Mitte November. Dort verführen Aktionen zum Mitmachen, Gucken und Kaufen. Da sitzt ein schönes junges Mädchen, das hinten und vorn bemalt wird. Als ich sie fotografiere, trägt sie bereits eine Korsage aus Brüsseler Spitze, filigran mit dunkler und weißer Schokolade aufgepinselt. Sie darf der Besucher nur ansehen, ebenso wie die fantasievoll mit Schokolade überzogenen Möbel, Stühle, Tisch, Betten. Kaufen kann er beispielsweise Schokoladen-Gemälde. Er darf aber auch selbst auf Marmorplatten Bilder malen. Mit Hammer und Meißel dürfen Kinder Schoko-Blöcke zerdeppern und an einem anderen Stand die Splitter von einem riesigen Block, den der Chocolatier abschabt, aufschaufeln und in Tüten abgefüllt nach Hause tragen. Eine lukrative Sache, die alle Beteiligten erfreut und den Eintritt wieder wettmacht.

Infos:

Websites: www.chocinbrugge.de, www.choco-late.be, www.choco-story.be, www.sucerbuyc.be

Tourismus Flandern-Brüssel, Cäcilienstr. 46 in 50667 Köln, Tel. 0221/277590, Websites: www.flandern.de und www.flandern.com und www.brugge.be

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