Im Sog der Zeiten – Natalia Belitski verzaubert in „Brandung“ im DT

Szene aus "Brandung" mit Natalia Belitski, Christoph Hart, Benjamin Lillie und Barbara Heynen. © Foto: Arno Declair
Dabei erscheint das Stück auf den ersten Blick eher als erzählerischer, denn als dramatischer Text, geschrieben in der Ich-Form. Dieses Ich mit seiner intensiven Vorstellungskraft und seiner vitalen Sprache, in der sich Poesie mit Alltäglichem verbindet, erweckt die anderen Personen des Stücks zum Leben, Martina, die Schwester und Vlado, den Freund, die Wahlfamilie, zu der auch die verschwundene Karla gehört .
Die jungen Leute haben ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien, einem Land, das es nicht mehr gibt. Vlado ist mit seinem Vater aus Kroatien geflohen. Er ist traumatisiert, schreit im Schlaf. Die Mutter der beiden Frauen hat eine neue Familie. Martina und die Ich-Erzählerin haben einen Stiefbruder, den das Ich, wie es mit bitterer Entschiedenheit verkündet, niemals sehen will. Die Erzählerin erinnert sich, dass sie als Kind ein Kaninchen hatte. Eines Tages, als sie aus der Schule nach Hause kam, war das Kaninchen geschlachtet. Martina rezitiert detaillierte Anweisungen zur Schlachtung und zum Braten von Kaninchen.
Natalia Belitski verkörpert die Ich-Erzählerin, und es gelingt ihr großartig, Maria Milisavljevics Sprache zum Leben zu erwecken. Von der Hauptdarstellerin hängt es ab, ob der Text Erzählung bleibt oder sich, wie in diesem Fall, in dramatische, mitzuerlebende Aktionen verwandelt.
Was Natalia Belitski sagt, nimmt Gestalt an, bekommt Farben, Konturen, Gerüche. Und immer bleibt etwas Ungesagtes, nicht Formulierbares hinter den Worten, das diese wunderbare Schauspielerin mit ihrer sparsamen, präzisen Körpersprache und ihrer beseelten Mimik zum Ausdruck bringt. Manchmal sagt sie etwas nur so dahin und vermag damit zutiefst zu erschüttern.
Das Stück hat unterschiedliche Themen. Es ist eine Kriminalgeschichte, es geht aber auch um Fremdheit, Sehnsucht nach Heimat, Verlustängste und, vor allem, um Freundschaft als Modell des Zusammenlebens. Kostümbildnerin Lene Schwind hat die AkteurInnen mit Anzügen ausgestattet, die, wie Phantasieuniformen, die Zusammengehörigkeit der drei Personen sichtbar machen, die alles daran setzen, die verschwundene Karla wiederzufinden. Als Kinder haben sie Unglück, Verlust und Gewalt hilflos hinnehmen müssen. Jetzt sind sie erwachsen und entschlossen, ihre Welt zu verteidigen, das Zuhause, das sie selbst geschaffen haben.
Die Polizei fängt erst spät an zu suchen. Junge Mädchen tun so etwas, bekommen die FreundInnen zu hören. Aber die wissen, dass Karla nicht einfach weggehen würde. Zwar hatte sie gerade erst erfahren, dass ihr Freund Vlado auch mit dem Ich eine sexuelle Beziehung hat, aber das ist kein Grund, die Freundschaft aufzukündigen. Die Gemeinschaft bricht auch nicht auseinander, als das Ich sich in Jo verliebt.
Trotz der Sorge um Karla und der engagierten Suche nach ihr, obwohl Vlado leidet und Martina wenig Verständnis zeigt, lebt das Ich eine ganz poetische Glückseligkeit aus.
Benjamin Lillie spielt sowohl den traumatisierten Vlado als auch den ausgeglichenen Jo. Wie Barbara Heynen (Martina) agiert auch Benjamin Lillie zurückhaltend, fast skizzenhaft. Beide sind erkennbar als Gedankenkonstruktionen der Ich-Erzählerin, und trotzdem charakterisieren sie ihre Rollen sehr klar und überzeugend.
Martina steht manchmal wie verloren am Rand der Szene und wird dann von ihrer Schwester ins Zentrum zurückgeholt. Vlados Rückzüge und Ausbrüche dagegen müssen abgewartet werden. Gleich stark präsent sind die Drei, wenn sie einander immer wieder aufrufen, die Suche nach Karla fortzusetzen. „Gestern, vorgestern, seit“”¦ einer ständig wachsenden Zahl von Tagen ist die Freundin verschwunden. Eine Spur führt zum Fluss, zu einer russischen Familie, die dort in Baracken haust und zu einem geheimnisvollen Mann, der Der Deutsche genannt wird.
In den Phantasien der FreundInnen wird der Fluss zum Meer. Beschwörend rezitieren sie die Ballade „Nis Randers“ von Otto Ernst, in der ein lange Vermisster bei einem Schiffbruch gerettet wird.
Die Brandung ist auch in Christopher Rüpings Inszenierung zu spüren. Immer wieder baut sich Spannung auf, steigert sich bis zu einem Höhepunkt, von dem sie abfällt, so als gehe das Stück seinem Ende zu, um sich dann zu einer neuen Spannungswelle zu sammeln. Vorangetrieben und untermalt wird dies auch durch die Rhythmen und Melodien von Christoph Hart, der hinter der Bühne agiert, zu Beginn aber auch in Erscheinung tritt und Hermann Hesse rezitiert. Christoph Harts Verkleidung als Meerjungfrau ist jedoch, wie auch der Auftritt der SchauspielerInnen mit Fuchsköpfen ein bisschen zu viel an Symbolik.
Die Bühne (Bühnenbild Jonathan Mertz) wird im Hintergrund begrenzt durch ein schräges, vergittertes Atelierfenster. Zwischen den Gitterstäben ist nicht Glas, sondern Eis, von dem einiges während der Vorstellung wegtaut. Anderes zerschlagen die drei FreundInnen wütend und verzweifelt.
Auch die Eisdecke des Flusses wird zerschlagen, nachdem dort, zwischen Eisschollen, einer von Karlas Gummistiefeln aufgetaucht ist.
Erschöpft von ihrem vergeblichen Kampf fahren die FreundInnen in Vlados Heimat, und weil bei ihnen, wie bei Kindern, Weinen und Lachen noch nah beieinander liegen, können sie diese Reise fast unbeschwert genießen, bis die brutale Wirklichkeit sie einholt.
Vlado scheint die Reise als erneute Flucht vor Gewalt zu begreifen, aber er will nicht mehr davonlaufen, sondern den Mörder finden und Karla rächen. Der Versuch, in einem friedlichen Land ein Zuhause zu finden und dort ein selbstbestimmtes Leben zu führen, scheint am Ende zu scheitern.
„Brandung" von Maria Milisavljevic hatte am 12.10. Premiere im Deutschen Theater.
Nächste Vorstellungen: 30.11. und 30.12.2013.
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