Im literarischen Notstandsgebiet Klagenfurt gibt’s keine Stadtbücherei! – Serie: „Österreich liest. Treffpunkt Bibliothek“ vom 19. bis 25. Oktober mit festlichem Auftakt in der Nationalbibliothek in Wien (Teil 1/2)

Österreicher hören

Man sieht also, es geht nicht nur darum, Bücher und Autoren ins Bewußtsein der Bevölkerung zu holen und diese durch viele Veranstaltungen einander näher zu bringen, sondern auch darum, Politikern in Kärnten Ihre Verantwortung für Volksbildung auf die Macherliste zu schreiben. Wir wollten das mit Klagenfurt nicht glauben, als wir es hörten. Es ist aber wahr und am Geld liegt’s nicht. Denn wie Josef Winkler weitergab, hat die 100 000 Einwohnerstadt im Zuge der Weltmeisterschaft das Stadion für den FC Klagenfurt auf 30 000 Zuschauer ausgebaut, also einen Platz für gut jeden dritten Einwohner, was dem Verein nicht half, denn er verliert ständig und das vor ca. 2000 Zuschauern. Bis 1972 gab es eine Studienbibliothek in Klagenfurt und natürlich gibt es die Universitätsbibliothek, aber eine öffentliche Bibliothek, die man gemeinhin Stadtbücherei nennt und wo jeder Bewohner, auch die, die nicht genug Geld haben, Bücher zu kaufen, sie ausleihen kann, die gibt es nicht. Klagenfurt als literarisches Notstandsgebiet. Das ist für eine Stadt in einem Kulturland wie Österreich ungeheuerlich. Wurden nicht gerade für das Grab des verblichenen Politikers 40 000 Euro aufgewendet. Verkehrte Welt in Klagenfurt.

Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, begrüßte die Gäste im Prunksaal, wie die prachtvollste Bibliothek der Stadt, des Landes, ach eigentlich des Erdkreises heißt, die durch hineingestellte Stühle ihre Funktion ändert, aber tatsächlich durch die in Folianten gebundene Gelehrtheit der Zeiten und die schönen Regale eine Aura von Erhabenheit ausstrahlt und den Abend zu etwas Besonderem macht. Sie verwies darauf, daß alle öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken zur Wochenaktion „Österreich liest“ eingeladen sind, um das grundsätzliche Ziel zu fördern, die Bedeutung des Lesens zu stärken und dieses attraktiv zu machen. Ihr folgte mit Gerald Leitner, Geschäftsführer des Büchereiverbandes Österreichs, der maßgebliche Initiator der Kampagne, der zufrieden auf die über tausend Veranstaltungen verwies, in der in einer Woche vom 19. bis 25. Oktober auf dem größten Literaturfestival Österreichs eine halbe Million Menschen teilnehmen. Dabei sei die Kreativität der lokalen Bibliothekare, publikumswirksame Veranstaltungen zu machen, außerordentlich, weshalb die Kampagne „Österreich liest. Treffpunkt Bibliothek“ auch 2008 den Staatspreis für Public Relations erhielt.

Wie stark das Angenommenwordensein der Aktion auch mit dem Ehrenschutz des Bundespräsidenten zusammenhänge, betonte er immer wieder und bedankte sich auch für die Hauptfinanzierung durch das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, deren angekündigte Ministerin, Claudia Schmied, nicht hatte kommen können. Der Ausgangspunkt für die Kampagne ist allerdings erschreckend. Nach den neuesten Zahlen haben bis zu 25 Prozent der österreichischen Erwachsenen massive Schwierigkeiten beim Lesen, rund jeder fünfte Jugendliche mit 14/15 Jahren verfügt kaum über Lesefähigkeit, konkret: kann nicht richtig lesen. Die bevölkerungsabhängigen 40 Cent pro Jahr für Bibliotheken sollen aufgestockt werden, denn längst weiß man, daß Lesen nicht nur individuelles Vergnügen ist, sondern die Voraussetzung, um als Gesellschaft ökonomisch erfolgreich zu sein.

Schon lange ist erwiesen, daß Kinder aus bildungsfernen Schichten sich vor allem durch mangelndes Lesen von den guten Schülern unterscheiden, die Schule also hier eine zusätzliche Aufgabe der Leseaktivierung und Lesemotivierung erhält. Das kann sie nur im Verbund mit öffentlichen Büchereien, die es jedem Bewohner Österreichs möglich machen, durch Buchausleihe am geistigen Bestand der Gesellschaft und der Welt zu partizipieren. „Wo etwas für das Lesen getan wird, brauchen wir uns keine Sorgen machen, wo nichts getan wird, sollten wir uns ernsthafte Sorgen machen.“, äußerte Gerald Leitner und keiner war im Saal, der das nicht sofort im Sinn auf Kärnten und Klagenfurt anwandte, wenn dann noch davon gesprochen wurde, daß nationale Anstrengungen nötig seien, um den Zugang zu Literatur und Bildung in allen Städten und Gemeinden Österreichs durch Bibliotheken zu ermöglichen.

Unter dem Motto „Verführen zum Lesen“ holte Günter Kaindlstorfer, Ö1, dann den Bundespräsidenten Heinz Fischer, die Generaldirektorin der Siemens AG Österreich, Brigitte Ederer und den Schriftsteller Josef an einen Tisch. Das war eine vergnügliche Veranstaltung, die nur einen Nachteil hatte, daß der Moderator die Leute nicht miteinander ins Gespräch brachte, denn er hatte kluge Fragen an die einzelnen vorbereitete, auf die diese auch individuell kluge Antworten gaben. Imponiert hat uns der unprätentiöse und nachdenkliche Auftritt des Bundespräsidenten, der wirklich als Bürgerpräsident erschien und nicht nur anschaulich aus der eigenen Jugend und den Leseerfahrungen erzählte, sondern später auch noch den „Struwwelpeter“ auswendig aufsagen konnte, und sein „Konrad, sprach die Frau Mama”¦“ vom Moderator unterbrochen wurde, der meinte, er gäbe seinem fünfjährigen Sohn solche Schwarze Pädagogik nicht in die Hand, womit er sich nicht auf der Höhe der Zeit zeigte und flugs auch von Fischer mit dem „Fliegenden Robert“ Konter erhielt.

Die gleiche Frage nach Elternhaus und Leseerfahrungen brachten naturgemäß bei Frau Ederer und Josef Winkler völlig unterschiedliche Antworten. Von Josef Winkler weiß man aus seinen Büchern, was es bedeutet, in einem kleinen 200 Personendorf in einer Bauernfamilie aufzuwachsen, wo Bücher nicht zur Grundausstattung des Lebens gehören und die einzigen Bücher im Dorf die Bibel und die Gebetsbücher des Pfarrers sind. Dabei sind es für einen Heranwachsenden gerade die Bücher, die einem in einer tristen Umgebung die Zustände der Wirklichkeit überwinden hilft. Aus dem, was Winkler von dem samstäglichen Aufsagen der „Glocke“, dem den Vater Bestehlen, um Bücher zu kaufen, den Rowohlt- und Fischertaschenbüchern, dem Richter, der Buchdiebstahl als „wahre Leseleidenschaft“ erkannte und vielem anderen mehr erzählte, hätte gleich wieder ein spannendes Buch entstehen können.

Auch auf die Frage, nach welchem System die Bibliotheken zu Hause geordnet sind, gab es interessante Antworten, wie das überhaupt insgesamt ein intellektuell und emotional vergnüglicher Abend war, der einen sagen lies, zu Hause zu sitzen und zu lesen, ist das eine, aber sich unter Leute zu begeben und miteinander über Literatur zu sprechen ist das andere. Und da sind wir schon mitten im Thema der Lesewoche in Österreich, auf der dann noch die Lesungen der Autoren in Stadt und Land die Hauptrolle spielen, aber auch die Art und Weise, wie man an Bücher herankommt, herkömmlich oder schon lange nun auf digitalem Weg, der immer ausgefuchster wird und wobei einem in den Büchereien und Bibliotheken geholfen wird.

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Internet: www.oesterreichliest.at, www.oesterreichliest.at/kalender

Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.

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