Ich ist nie der andere – „typisch! Klischees von Juden und Anderen“ im Jüdischen Museum in Wien

Wenn man über sich selbst am besten lacht, zeigt das auch eine tiefe Gelassenheit. Darum haben wir auch den Titel erst einmal überprüft, ob nicht dahinter wieder eine Ironie steckt, in deren Falle wir blindlings tappen. Denn wenn man das wörtliche nimmt „Klischees von Juden”¦“, dann könnte man auch denken, daß gerade der Volkswitz hier gemeint sei, also die Klischees vorgeführt werden, die von Juden geäußert werden. Aber nein, alles in Ordnung, es geht um die Klischees, die über, die von Juden und anderen geäußert werden und wir sind längst im Jüdischen Museum im ersten Stock angekommen, wo die Ausstellung beginnt. Ja, wie macht man das, so eine Ausstellung, die ja inhaltlich aus Gedanken und Worten besteht, eben aus den Klischees und dem Schlechtgeschwätz, wie ein Hesse sagt, über andere, weil man sich besser fühlt, wenn man den anderen mit Worten niedergemacht hat, als prophylaktische Maßnahme sozusagen, denn man weiß nie, was sonst von dort kommt.

Folgerichtig stehen erst einmal an den Außenwänden von Prominenten geäußerte Sentenzen, so wie der von Woody Allen, den wir gleich abgeschrieben haben. Und ein Einleitungstext, der die positive und negative Konnotation gegeneinander abgrenzt und gleich ein Beispiel bringt, wie das im Bild geschieht. Wenn Manfred Deix ein Poster entwirft, in dem gefordert wird: „Ausländer rein!“, hat er schon die erste Attacke gewonnen und unsere volle Aufmerksamkeit für sein Antiklischee in Reinkultur, was nur funktionieren kann, weil der Spruch „Ausländer raus“ jedem geläufig ist. Welche Ausländer er nach Österreich hereinholen will, natürlich die Gutbetuchten, die Schlauen und die, die jedem Land Ehre machen! Dann im Inneren setzte sich fort, daß Bilder oder Gegenstände hervorragend geeignet sind, über den Gebrauch von Stereotypen Auskunft zu geben und immer wieder bleibt einem ein Lachen zweiten Grades gerade so im Hals stecken, wenn man über eine Klischeedarstellung lachen will, die ja eigentlich das Klischee verstärkt und nicht aufs Korn nimmt, wie Deix beispielsweise.

Aber zuerst müssen wir an der Bilderwand vorbei, was gar nicht einfach ist, denn bei betörenden Klängen, so echten Schnulzen wie Udo Jürgens „Griechischer Wein“, werden digital die an der Wand hängenden Fotos vergrößert, bekommen so einen Bezug zur Musik, ob es nun paßt oder nicht, und lassen uns erst einmal innehalten, wie sehr auch nationale Stereotypen, sei es Wein oder die unterschiedlichen Gesichter, uns allen geläufig sind, was nicht schlimm ist, wenn sie der Wiedererkennung dienen und nicht abwertend benutzt werden. Denn müßten wir uns jeden Tag die Welt neu erfinden, würden wir nicht mit den vorgefundenen Bewertungen, die wir mit der Muttermilch in der Erziehung schon aufgesogen haben, mit korrekten Urteilen und inkorrekten Vorurteilen, einfach einer Ordnung der doch sehr unordentlichen Welt, würden wir nicht täglich darauf zurückgreifen, wir kämen nicht weit. Also nicht das Ordnungs- und Überblickssystem, das Stereotype an sich haben, eine Struktur zu schaffen, wie z.B. „Nachts im Dunkeln im Wald ist es gefährlich“ ist das Übel, sondern allein, wie und wofür man sie anwendet und dann sagt: „Nachts im Dunkeln im Wald ist es gefährlich, weil Zigeuner herumschleichen.“

Aber diese Ausstellung kommt nicht mit der Moralkeule, sondern will kulturhistorisch ganz schön breit an Gegenständen und Bildern die Vorurteilsstruktur durch die Anwendung von Klischees vor Augen führen. So sehen wir dort Marcel Reich-Ranicki in Gummi, auf jeden Fall in diesem knauschtfähigem Material, als Nörgeli, womit sein aufgebrachtes Schimpfen über schlechte Literatur wohl gemeint ist, denn sein – wie wir meinen völlig gerechtfertigter Auftritt im Fernsehen gegen das gebotene Schwachsinnsfernsehen war erst jüngst. Außerdem haben wir selber so eine Figur als Buchstütze bekommen, denn Ranicki ruht auch auf einem Buch. Naja, richtig weh tut das keinem. Aber so richtig witzig ist es auch nicht.

Gleich kommt ein Objekt in den Blick, das sich durch die Ausstellung zieht: die Nase. Die angeblich jüdische Nase. Das stimmt, das ist eines der stärksten Klischees überhaupt, die im Nazideutschland dann lebensgefährlich wurden. Hakennasen oder wie man diese gebogenen Zinken nennt, haben beispielsweise im Wien um 1900 zu einer Serie von Spazierstöcken geführt, den Wiener Stöcken, wo der Handgriff aus einer vergoldeten Judennase bestand oder dem ganzen Judenkopf, der immer durch seine Nase als Jude gebrandmarkt wurde. Das sind ganz unglaubliche Stöcke und man fragt sich, wer diese wirklich als Stütze benutzte, denn bei allem Schmäh haben sie ja eine positive Funktion. Der Stock stützt den Träger und also die lächerlich gemachte Judennase auch. Aber die angeblich jüdische Physiognomie wurde auch vermessen und in Tabellen eingetragen, mit Gips abgeformt und spielt auch bei den Darstellungen von Shylock, dem Shakespearejuden eine Rolle.

Mehr Raum ist eigentlich den Vorurteilen über Schwarze, den Klischees über Afrika gewidmet. Wir kennen alle die Darstellungen vom Guten Schwarzen, dem Jasager, der dem Kolonialherren stets zu Diensten ist und der Wilden Schwarzen, der gefährlichen Frau, die hinter jedem Busch lauert und den armen weißen Mann verführen will. Wie sehr die nationalen Klischees auch hier über körperliche Besonderheiten vermittelt werden, ist schon interessant zu sehen und setzt sich in vielen Ausstellungskojen in den Objekten um. Und doch gibt es auch Gegenbeispiele, wo bei gleichem Körper die Klischees noch viel wilder purzeln. Man glaubt es nicht und lacht hier gerne, wenn man die Ansammlung von Barbiepuppen sieht, die hier als Russin, als Norwegerin, als Spanierin, als Chinesin, als Verschleierte, aber auch mit schwarzer Haut und in afrikanischer Tracht einträchtig beisammenstehen.

Daß die Indianer, bzw. der US-amerikanische Umgang mit ihnen, nicht fehlen dürfen, ist Teil unseres kulturellen Gedächtnisses und was Japan und die Vermarktung ganz Asiens als Klischee angeht, haben gerade Künstler aus echter Bewunderung heftig dazu beigetragen. Ob es später die Madame Butterfly des Puccini war oder zuvor die aufflammende Liebe zum japanischen Dekor als Einrichtungsmaßstab für die bessere Welt, von den Nabis bevorzugt gemalt, das alles hat ein Bild von Asien in unsere Köpfe gepflanzt, von dem wir alle noch nicht ganz frei sind. So ist diese Ausstellung, von denen wir nur einen Teil vorstellten, eine, die nicht historisch abgeschlossen ist, sondern geradezu auffordert daran mitzuwirken, wo noch immer die Schere im Kopf eigenständiges Wahrnehmen, Denken, Fühlen be- oder verhindert.

* * *

Die Ausstellung im Jüdischen Museum Wien läuft noch bis zum 11. Oktober 2009.

Katalog, der sich hier Begleitbuch nennt: „typisch! Klischees von Juden und Anderen, hrsg. vom Jüdischen Museum Berlin und dem Jüdischen Museum Wien, Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2008.

Die Bezeichnung ’Begleitbuch’ ist deshalb richtig, weil es nicht um die einzelnen Objekte der Ausstellung geht, die nun abgehandelt würden, sondern nach grundlegenden Essays Gegenstandsgruppen zusammengefaßt sind und mit einem Text begleitet werden, beispielsweise zum Jüdischen Profil, zur Schönen Jüdin oder Schwarzen Venus. Mit diesem Buch nimmt man die Ausstellung unterm Arm mit.

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

Vorheriger ArtikelErneute Übergriffe der Botswanischen Regierung auf Buschleute – Pressemitteilung von Survival Deutschland vom 22.05.2009
Nächster ArtikelTiefenschärfe, Schärfentiefe – „Thomas Ruff. Oberflächen, Tiefen“ in der Kunsthalle wien in Wien