Hugos Traum – Jette Steckels Inszenierung „Die schmutzigen Hände“ im Deutschen Theater

Jean-Paul Sartre hat einen ähnlichen Fall in Frankreich als Vorlage für sein Stück verwendet. Nur wurde der KP-Mann, der eine Annäherung an die Sozialdemokraten anstrebte, lediglich aus der Partei ausgeschlossen und später, nachdem die Partei diese Annäherung auf Druck der UDSSR vollzogen hatte, nicht rehabilitiert.

Selbstverständlich waren die französischen Kommunisten nicht begeistert darüber, dass Sartre, der sich selbst als „kritischen Wegbegleiter“ der KP bezeichnete, diesen Fall aufgegriffen und zu einer Mordgeschichte gemacht hatte. Die bürgerliche Presse dagegen feierte das Schauspiel als antikommunistisches Stück.

Schauplatz der Handlung ist der fiktive Balkanstaat Illyrien gegen Ende des 2. Weltkriegs. Der idealistische junge Hugo hat sich von seiner bürgerlichen Familie abgewendet und ist in die kommunistische Partei eingetreten. Er schreibt als Redakteur für die Parteizeitung und träumt von einer heldenhaften Tat, bei der er sein Leben riskieren könnte. Als er den Auftrag bekommt, Hoederers Sekretär zu werden, um Hoederer bei passender Gelegenheit zu erschießen, scheint Hugos Wunsch in Erfüllung zu gehen.

Jette Steckels Inszenierung ist ganz auf den jungen Protagonisten konzentriert und gibt dessen  Wahrnehmung wieder. Zu Beginn erscheint Hugo, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, bei seiner Geliebten, der Parteigenossin Olga, weil er nicht weiß, wohin er sonst gehen könnte und obwohl er weiß, dass er dort nicht in Sicherheit ist.

Ole Lagerpusch als Hugo ist ein Hoffnungsloser, der seine Träume verloren hat. Ein nervöses Gesichtszucken verrät seine innere Unruhe. Er ist misstrauisch geworden und unterstellt  Olga, sie habe ihm vergiftete Pralinen ins Gefängnis geschickt.

Olga (Maren Eggert), hin- und hergerissen zwischen Parteidisziplin und einer fast mütterlichen Liebe zu Hugo, will den Genossen beweisen, dass Hugo noch verwendbar ist und nicht liquidiert werden muss. Weil Olga alles über Hoederers Ermordung wissen will, hebt sich der eiserne Vorhang, vor dem die 1.Szene spielt, und zunächst wird das düstere Parteibüro sichtbar.

Dort bearbeitet Hugo die Schreibmaschine, tippt politische Parolen, die per Video auf der Rückwand erscheinen. Dort kann Hugo, unterstützt von Olga, Louis dazu bewegen, ihn als Sekretär mit Mordauftrag zu Hoederer zu schicken.

Kurz vor „Les mains sales“ („Die schmutzigen Hände“) verfasste Sartre ein Filmszenario mit ähnlicher Problematik, das ursprünglich denselben Titel hatte und später zu „L’engrenage“ („Im Räderwerk“) umbenannt wurde. In Florian Lösches Bühnenbild gerät Hugo tatsächlich in ein Räderwerk. Die grauen Wände drehen sich, verzahnen sich ineinander und drohen, Hugo zu zermalmen.

Hoederer residiert in einer Villa, die ein Freund ihm zur Verfügung gestellt hat. Ähnlichkeiten mit einer prominenten Persönlichkeit unserer Zeit sind unübersehbar, und so sind auch Sätze wie „Der Rubikon ist überschritten“ in den Text eingeflossen.

Ulrich Matthes gibt den Parteisekretär unnahbar und arrogant. Wenn er Hugo gegenüber die Lüge als manchmal politisch notwendig verteidigt, sich dabei auf seine Erfahrung beruft und darauf hinweist, dass er sich bei seiner Arbeit oft genug die Hände schmutzig machen musste, wird Matthes zwar laut, begleitet seinen Ausbruch jedoch mit hilflosen Gesten, so als glaube er selbst nicht, was er herausbrüllt.

Bewacht wird Hoederer von zwei grotesken Witzfiguren, die pistolenknallend und dabei „Platzpatronen!“ schreiend hereinstürmen. Bernd Moss, in der ersten Szene als Louis zu sehen, ist der Wachmann Georges und erscheint später als Prinz bei der geheimen Verhandlung mit Hoederer, bei der auch Wachmann Slick (Moritz Grove), verwandelt in den Parteivorsitzenden Karsky, zugegen ist. In Hugos Traum rotieren nicht nur die Wände.

Die politische Aussage von Sartres Thesenstück verschwimmt in der Inszenierung, die manchmal wie eine Persiflage erscheint, obwohl die verzweifelte Sinnsuche des unglücklichen Helden die Handlung erkennbar vorantreibt.

Existentialismus, Kommunismus, Humanismus, Idealismus wie auch Islamismus ist irgendwann auf den Wänden zu lesen, zwischen denen Hugo umherirrt in roten Hosen zwischen lauter schwarz gekleideten Gestalten.

In allen Farben schillernd ist Hugos Ehefrau Jessica von Kostümbildnerin Pauline Hüners ausgestattet worden. Katharina Marie Schubert zeigt eine wunderbare komödiantische Leistung als politisches Dummchen, das über sehr viel gesunden Menschenverstand und eine feine Beobachtungsgabe verfügt. Während Jessica infantile Spielchen spielt, sich in albernen Lachanfällen schüttelt, Kleider anprobiert, nackte Haut zeigt oder dekorativ auf dem Akkordeon improvisiert, hat sie das Geschehen um sich herum präzise im Blick und versteht es zu beeinflussen.

Gerade hat Jessica Hugos Pistole entdeckt, ein neues Spielzeug, das sie gegen Hugos Zugriff verteidigt und mit riesigen Micky-Maus-Handschuhen vom Boden aufzuheben versucht, aber dann, beim plötzlichen Eintritt der Wachmänner, bringt sie wie eine Zauberkünstlerin die Waffe zum Verschwinden.

Hoederers Angebot, ihm und seinen Wachmännern sexuelle Dienste zu leisten, lehnt Jessica zunächst freundlich ab. Später aber bietet sie sich Hoederer an, steht ihm gegenüber, mit dem Rücken zum Publikum, hält mit ausgestrecktem Arm ihren roten Umhang geöffnet wie ein Torero, der einen Stier herausfordert, und Hoederer kann nicht widerstehen.

Hugo, der die Beiden in flagranti erwischt, kann nun endlich seinen Auftrag ausführen. Ohne zu zögern schießt er auf Hoederer, und dann umkreist Hugo stolz aufgerichtet sein Opfer und schießt wieder und wieder.

Am Ende des Stücks liefert sich Hugo mit den Worten „nicht verwendungsfähig“ den Parteigenossen aus, die ihn liquidieren wollen. In Jette Steckels Inszenierung verhindert der Träumer selbst das Aufwachen aus seinem Traum.

Über die Botschaft der Inszenierung lässt sich spekulieren. Die Vorstellung ist jedoch sehr unterhaltsam, zeichnet sich aus durch brillante Regieeinfälle und engagierte Ensembleleistung. Sehr eindrucksvoll ist die von Mark Badur zusammengestellte Musik von Pop bis Bach und Pergolesi.

Das Schauspiel „Die schmutzigen Hände“ von Jean-Paul Sartre hatte am 20.01. Premiere im Deutschen Theater. Nächste Vorstellungen: 08., 17. und 22.02.2012.

Vorheriger ArtikelWELTEXPRESS – Horoskop für die 6. Kalenderwoche vom 6. bis 13. Februar 2012
Nächster ArtikelAlles über Fußballstadien in Berlin & mit Dynamo durch Europa