Himmlische Hinterwäldler – Renee Zellweger ist “New in Town” in Jonas Elmers altbackener Romantikkomödie

Lucy Hill (Renee Zellweger) ist erfolgreiche Geschäftsfrau, glücklich alleinstehend und modisch gekleidet. Aus Sicht des Pressematerials eine “zickig-knallharte” Materialistin. Im winterlichen Minnesota soll die aus Miami angereiste Lucy eine ländliche Fabrik umstrukturieren. Was normale Menschen unter effizienter Arbeit verstehen, interpretiert “New in Town” als skrupellose Entlassungspolitik. Die Böse ist Lucy, die den Beschluss ihrer Vorgesetzten ausführt. Herzensgute, hart arbeitende Dorfbewohner sollen ihre unrentablen Stellen verlieren? Wie grausam! In der Ortskneipe wollen die Dorfbewohner die “New in Town” angelangte Lucy nicht haben, die Kellnerin weigert sich, die Fremde zu bedienen, durch Lügen erschleichen sich die Fabrikangestellten einen freien Tag. Gehörte Lucy einer Minderheit an, hieße das Diskriminierung. Weil sie wohlhabende Großstädterin ist, serviert “New in Town” jedoch die Fremdenablehnung der Landleute als lustig. Natürlich lernt die Städterin die gottesfürchtigen, Tapiokabrei kochenden, Strickpulli tragenden Dorfmenschen zu lieben. Besonders den Gewerkschaftsvorsitzenden Ted (Harry Connick, Jr.), der als Gutmensch noch bei der freiwilligen Feuerwehr arbeitet. Schön, so ein eiskaltes, spießiges Landhaus, soll der Zuschauer, gleich der bekehrten Lucy, denken. War man allerdings selbst wochenlang in einem abgelegenen Dorf, denkt man differenzierter über die Hinterwäldlermentalität.

Falsche Vorstellungen weckt bereits der Filmtitel “New in Town”. Neu in welcher Stadt? Lucys Geschäftsreise führt sie in ein Kuhkaff. Lucys neue Assistentin Blanche (Siobhan Fallon Hogan) fragt die befremdete Städterin ungeniert nach deren Privatleben aus. Ob es daran liegt, dass in Dörfern jeder jeden kennt und alle begierig sind, dies beizubehalten oder neuer Klatsch in der Landeinsamkeit schlicht Gold wert ist, der Distanzmangel ist nah an der Wirklichkeit. Auch die Willkommensgesten stimmen: fettriefende Hausmannskost, die zu verschmähen einem Sakrileg gleichkommt. Letztes hat Lucy allerdings schon mit einem Scherz über Jesus begangen. Auch einem selbst wurde einst beim ausgedehnten Landaufenthalt versichert, ohne Jesus fehle einem etwas im Leben. Für ihr modisches Kostüm und ihre Absatzschuhe erntet Lucy abfällige Blicke. Wer selbst abfällige Blicke und schockierte Kommentare über angeblich zu freizügige Kleidung erntete („Ist das ein Mikro-Mini? Das kann man eigentlich nur in Europa tragen!“), findet die filmische Haltung reichlich abgeschmackt. Kleidungsschikanen dienen in “New in Town” als unverzichtbare Pointenquelle. Droht die Handlung völlig einzuschlafen, klemmt ein Reißverschluss oder verhackt sich ein Absatz.

Kennt man das Dorfleben aus eigener Erfahrung, leidet man mit Lucy an den selbst gemachten Geschenken, mit denen sie traktiert wird. Selbst gemachte Geschenke sind etwas Teuflisches. Brauchbar sind sie selten, sie wegwerfen ist eine Sünde – womöglich noch unverzeihlicher als Jesus-Witze. Die kratzende Babydecke („Handgestrickt, Herzchen!“) oder die geschnitzte Ente – an einer solchen werkelt der von Lucy entlassenen Fabrikarbeiter Stu (J. K. Simmons) – würden selbst die Wohlfahrt nicht annehmen. Fremden kann man die aus Langeweile gebastelten Stücke als “extra in stundenlanger Arbeit” gefertigte Unikate andrehen. Aus Höflichkeit muss man sie in den übervollen Koffer stopfen oder sich gar einen weiteren Koffer mitgeben lassen (“Wir haben im Keller extra ein kostbares Stück aufgehoben.”). Vorschnell packt auch Lucy ihren Koffer, um abzureisen. Doch wegen eines Schneesturms wurden alle Flüge gestrichen. Da krallte man sich vor Grauen in den Kinosessel. Kurz vor Abreise erlebte man selbst frühen Frost. Nur Tage später und – eingeschneit wie Lucy! Der junge Ladenangestellte von der Freiwilligen Feuerwehr sei sehr nett, hatte die Gastgeberin gesagt.

“New in Town” ist eine belanglose Romantikkomödie, die nicht einmal die sympathische Renee Zellweger retten kann. Es sei denn, man war selbst in einem Hinterwäldlerkaff. Dann ist es ein Horrorfilm. Noch weniger als Jesus fehlen einem Filme wie “New in Town”.

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Titel: New in Town

Land/Jahr: USA 2009

Genre: Romantikkomödie

Kinostart: 26. November 2009

Regie: Jonas Elmer

Drehbuch: Kenneth Rance, V. Jay Cox

Darsteller: Renee Zellweger, Harry Connick, Jr. , J. K. Simmons, Frances Conroy

Laufzeit: 96 Minuten

Verleih: Senator

Internet: www.newintown.senator.de

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