Hermann Weiß oder Die Geschichte eines Geigenbauers – Zum Buch „Vater unser. Eine Sintifamilie erzählt“ von Anita Awosusi

Anita Awosusi: Vater unser. Eine Sintifamilie erzählt. © Verlag Regionalkultur

Berlin, Deutschland (Weltexpress). „Vater unser. Eine Sintifamilie erzählt“ von der Autorin Anita Awosusi, herausgegeben mit Unterstützung des Stadtarchivs Karlsruhe und verlegt von Regionalkultur sei laut Widmung „für unseren Vater und alle betroffenen Familienmitglieder“ und als Erinnerung „an alle diejenigen Sinti und Roma …, deren Verfolgungsgeschichte niemals aufgeschrieben werden konnte.“

Gleich im nächsten Satz weist Awosusi darauf hin, dass „500.00 Männer, Frauen und Kinder … europaweit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer“ fielen.

Alle Abbildungen des Buches, darauf weist der Verlag hin, würden „aus dem Privatbesitz der Autorin“ und „aus dem Buch ‚Abfahrt Karlsruhe. 19.5.1940 – Die Deportation der Karlsruher Sinti und Roma‘ von Michail Krausnick“ stammen.

Aus der Feder des Literaturwissenschaftlers und Soziologen Krausnick, der Autor zahlreicher Essays, Satiren, Gedichten, Hör- und Drehbücher ist, kommt auch das Vorwort zur „Doppelbiographie“, denn es geht um Anita Awosusi und ihren Vater Hermann Weiß, in dem er gesteht, dass nicht er mit seinem Optimismus, „sondern Herman Weiß mit seinen Befürchtungen recht behielt. Der neue rechtsradikale Terror machte ihm schwer zu schaffen“, hält Krausnick fest und teilt mit, dass Weiß „so manches mal … zu seinen Töchtern“ gesagt habe: „Dabei habe ich es dem Krausnick doch vor zwanzig Jahren schon gesagt!“

Vor 20 Jahren war „vor den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Hoyerswerda, lange vor den NSU-Morden und der menschenfeindlichen Hetze von Pegida“, weiß Krausnick zu berichten bevor Awosusi mit den Kapiteln „Vater unser“, „Im Fuchsloch“, „Die Schule“, „Neue Heimat“, „Im Lager“, „Das Häusle“, „Die Überlebenden sind die Ausnahme“, „Von Hermanns Heirat und seinen fünf Geigen“, „Unruhige Nächte“, „Mamas Geschichte“, „Abschied von den Eltern“ und „Nachwort“ zu erzählen beginnt.

Ein zweites Nachwort zur biographischen Erzählung wurde von Isidora Randjelovic verfaßt. Darin erklärt sie, dass „der Rassismus gegen Sintezza und Romnja sowie gegen andere rassistisch diskriminierte Kollektive … bundes- und europaweit“ eskalieren würde. Sie notiert zudem, dass „der mehrheitliche Umgang deutscher Behörden und Medien mit dem NSU-Skandal, die wachsende Formierung selbsternannter ‚bürgernäher‘ rassistischer Parteien, der immer weiter erstarkende antimuslimische Diskurs, die Verschärfung der Asyl- und Migrationsgesetzgebung, die strukturelle restriktive Behandlung von geflüchteten Menschen bis hin zu direkten Angriffen oder Brandsätzen auf Unterkünfte von Geflüchteten und vieles mehr“ auf Zustände verweisen würde, „in denen die europäische und die deutsche Geschichte der Gewalt und Unterdrückung unter dem diskursiven Schleier einer humanistischen Gesellschaft erneut zu ihren bitteren Höhepunkten“ anschwelle.

Hinweise zu weiterführender Literatur und eine Danksagung beendet das 95 Seiten starke Buch über weit mehr als die Geschichte eines Geigenbauers.

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Anita Awosusi, Vater unser, Eine Sintifamilie erzählt, 95 Seiten, Verlag Regionalkultur, 2016, ISBN: 978-3-89735-969-7

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