Hamburg pur: ohne Reeperbahn, Soul Kitchen und das angeblich angelsächsische Flair „Hamburger Ansichten. Maler sehen ihre Stadt“ in der Hamburger Kunsthalle

Max Liebermann (1847 - 1935), Terrasse im Restaurant Jacob , 1902/03, Öl auf Leinwand, 70 x 100 cm

Diese Phänomene, die Vielzahl von Hamburgbildern, noch dazu von so berühmten Malern, werden erst auf den zweiten Blick klar. Denn das heutige Hamburg verdankt seine Häufung der Stadtansichten um 1900 dem Mann, der damals die Kunsthalle Hamburg zu einer führenden Einrichtung der Moderne in Deutschland gemacht hatte: Museumsdirektor Alfred Lichtwark ( 1852-1914). Wenn also die heutige Kunsthalle eine solche Schau von eigenen Werken, von Leihgaben begleitet, zusammenstellen kann, ehrt sie damit auch den Wegbereiter damaliger zeitgenössischer Kunst in Hamburg, der nicht nur schon 1889 „die Sammlung von Bildern aus Hamburg“ begründet hatte, sondern auch dazu beitrug, daß wohlhabende Hanseaten diese Kunst der Zeit goutierten und sie zum Aufbau einer eigenen Sammlung bei Malern bestellten, darunter ebenfalls viele Stadtansichten, wie das Ehepaar Paul und Martha Rauert, die dafür sorgten, daß insbesondere die Brückekünstler wie Ernst-Ludwig-Kirchner, Karl Schmitt-Rottluff und auch Emil Nolde nun mit Hamburgbildern in der Ausstellung glänzen.

Wir haben uns festgesessen auf der Terrasse des Restaurants Jacob, etwas weiter draußen, in Nienstedten, wo Max Liebermann 1902 den Blick auf die Elbe nur andeutet, aber dafür der Bequemlichkeit und Schönheit der Landschaft Raum und Licht gibt. Das leergegessenen Teller sind wohl schon abgeräumt, am vorderen Tisch, wo eine wohl behütete Dame, wohl eher die Gouvernante denn die Frau Mama, sich dem brav sitzenden Mädchen zuneigt, während das andere Kind bebrillt zuguckt. Es ist eine lichte baumbestandene Allee, in der die Tische angeordnet sind, die zeigen, wie beliebt dieses Ausflugslokal ist, das malerische Sinnbild dessen ist, was Impressionismus vermitteln will: das Spiel mit dem Licht, das durch die Baumwipfel als Sonnenflecken auf den Boden fallen und der ordentlichen Szenerie etwas Aufgelöstes, Freies und Unwirkliches geben, genauso wie sich einer fühlt, der endlich einen ruhigen Platz gefunden hat und es sich gut gehen lassen kann.

Zeremonieller hat Friedrich Kallmorgen seinen Elbblick von der nämlichen Terrasse 1903 gemalt. Beide Gemälde hängen einander im Eck gegenüber, was dem Besucher die reizvolle Gelegenheit gibt, die Lokalitäten zu vergleichen. Denn Kallmorgen – ein heute vergessener, aber damals angesehen Maler Süddeutschlands, der der Hamburger Ansichten wegen extra sein Domizil verlagerte, aber nicht so viel Glück hatte, seine Bilder bei Lichtwark unterzubringen wie Max Liebermann, der mehrere Bilder rund um das Jacob malte und damals für seine Gemälde sehr gutes Geld erhielt – , Kallmorgen also nimmt nicht die baumbestandene Allee als Motiv, sondern die vordere Tischreihe, dicht an der Balustrade, so daß auf seinem Bild die Elbe mitsamt Segelschiffen sehr viel dekorativer wirkt, die weißgedeckten Tische mit den rot gepolsterten Stühlen einen höheren Grad von Eleganz ausstrahlen, wozu auch gehört, daß hier ein opulentes Mahl zu Ende ging, denn der vorderste Tisch ist leer, d.h. ohne die Gäste, deren Gläser und Flaschen, Öl und Essig noch auf dem Tisch mit den abgegessenen Tellern funkeln, während am nächsten Tisch ein behütetes Paar, sie mit weißem Spitzenkragen, er mit Zylinder, mit der Lust am Speisen im Freien zusammensitzen.

Dies sind die zwei gesitteten Bilder der Ausstellungsabteilung, die sich „Die Elbe“ nennt und ansonsten die Strandbilder genauso zeigt wie aufgewühlte See und Hafenbilder. Die Ausstellung ist nämlich nach sechs Ansichten der Stadt Hamburg und Umgebung unterteilt. Das beginnt mit der Binnenalster und der Innenstadt, die für jeden einfach für Hamburg stehen. Da geht es genauso um Architektur wie das urbane und elegante Leben in der Stadt, wobei das Wasser zentral bleibt. Das Panorama wird fortgeführt über die Außenalster, den Hafen, die schon angesprochene Elbe und die Umgebung, die sich bis zu den landwirtschaftlich genutzten Marschlandschaften zieht und zum äußerst romantischen und damals noch unberührten Oberlauf der Alster. Die Bilder bieten also sowohl herrschaftliches Hanseatentum, wie auch typisches Stadtleben und Leben in der Natur und mit dem Wasser.

Mit dem Schwerpunkt der Gemälde von Hamburg, mit denen Lichtwark gezielt deutsche, französische, aber auch nordische Künstler betraute und dies ebenfalls den Hamburger patrizischen Sammlern schmackhaft machte, verband der Museumsdirektor eine gleichermaßen didaktische Funktion. Er hoffte nämlich – und nicht zu unrecht -, daß der Wiedererkennungswert der Stadtansichten die Betrachter auch mit der neuen Malweise, sei sie impressionistisch, postimpressionistisch oder schon expressionistisch, versöhnen könne. Eine geschickte Strategie, die durchaus aufging, weil nicht nur die Betrachter- und Käuferseite angesprochen war, sondern auch die Künstler selbst. Es hatten sich 1897 Maler zum Hamburger Künstlerclub zusammengeschlossen, deren Bilder hier ebenfalls ausgestellt sind und vom Reichtum künstlerischen Schaffens dieser Zeit zeugen, auch wenn uns die Namen, erst recht über Hamburg hinaus, heute nur noch wenig sagen. Von daher ist diese Ausstellung der rund hundert Werke eben auch geeignet, die Breite der Malerbewegung in Hamburg zu dokumentieren.

Falsch wäre es, die ausgezeichnete Fotosammlung in den Kabinetten auszulassen. Sie finden dort Fotografien von Andreas Feininger, Albert Renger-Patzsch, Herbert List und anderen, die die Creme der damaligen Zeit darstellen und mit ihren Schwarzweißfotografien in unserem Gemüt genau das Hamburgbild wiedererwecken, das wir selbst seit Kindertagen von Hamburg in unsere Köpfen projiziert tragen. Insofern ist die Lust beim Betrachten durchaus im Sinne des alten Lichtwark, weil man Bekanntes wiederentdeckt und sich so über Bilder in einer Stadt bewegt, als ob man in ihr zu Hause wäre.

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Ausstellung: bis 14. Februar 2010 im Hubertus-Wald-Forum

Katalog: Hamburger Ansichten. Maler sehen die Stadt, hrsg. von Hubertus Gaßner und Ulrich Luckardt, Verlag Wienand 2009. Das war eine gute Idee, in den Umschlaginnenseiten des Katalogs einen Abdruck eines älteren Stadtplans wiederzugeben, in dem schon optisch klar wird, um was es beim Thema „Hamburg“ geht: um Wasser. Unglaublich, welche Dominanz die blauen Flächen von Außenalster über Binnenalster und Norderelbe ausstrahlen. Das findet seine Korrespondenz in den abgedruckten Bildern der Ausstellung, die der Katalog in der thematischen Unterteilung nach Stadtteilen wiedergibt. Vorneweg machen einen Essays mit der spezifischen Hamburger Situation vertraut, in der Museumsdirektor Alfred Lichtwark die entscheidende Rolle bei der Auftragsvergabe an deutsche und andere Künstler zum Thema „Hamburg“ zukam. Die ausgewählten Künstler sind alle mit privaten und beruflichen Daten vorgestellt und am Schluß kann man sogar noch auf „Literaturempfehlungen zu Hamburg“ zurückgreifen. Mit einem Wort, das ist ein Katalog für jeden Hamburger Haushalt und für jeden, den Hamburg interessiert.

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