Hallelujah, die Welt ist gegen uns!

Ich frage mich, warum sie noch nicht die ruchloseste Verschwörung entdeckt haben: diejenige, die von der antisemitischen Bande ausgeführt wird, die die Regierung Israels übernommen hat und sie benützt, um den jüdischen Staat zu zerstören.

Beweis? Nichts leichter als das. Man muss nur die Zeitungen lesen.

Zum Beispiel der Außenminister. Wer außer einem diabolischen Antisemiten könnte ausgerechnet Avigdor Lieberman für diesen Posten ernannt haben? Der Job eines Außenministers ist, Freundschaften zu schließen und die Welt zu überzeugen, dass bei uns alles OK ist. Lieberman arbeitet hart und geschickt daran, dass Israel ausnahmslos von allen gehasst wird.

Oder der Innenminister. Er arbeitet von morgens bis abends, um die Verteidiger der Menschenrechte zu schockieren und um den schlimmsten Feinden Israels Munition zu liefern. Kürzlich verhinderte er, dass zwei Säuglinge nach Israel kommen, weil der Vater schwul ist. Er verhinderte, dass Frauen zu ihren Männern nach Israel kommen können. Er deportiert Kinder von Gastarbeitern, die den Staat aufbauen.

Oder der Stabschef. Er überzeugte die Regierung, die UN-Kommission wegen der Untersuchung der „Cast Lead“-Operation zu boykottieren, um so sicher zu gehen, dass es keine Reaktion auf die Anklagen gegen die IDF gibt. Und seit der Veröffentlichung ihres Berichtes hat er versucht, eine weltweite Diffamierungskampagne gegen den jüdisch-zionistischen Richter Richard Goldstone zu orchestrieren.

Nun hat die IDF ihre Entscheidung angekündigt, die Flotille, die symbolisch Versorgungsgüter in den belagerten Gazastreifen zu bringen plant, zu blockieren. Es wird sicher Fernseh-Live-Übertragungen geben, bei der die ganze Welt den kleinen Schiffen folgt und so ihre Aufmerksamkeit auf die bösartige Blockade zieht, die seit Jahren gegen 1,5 Millionen Menschen im Gazastreifen durchgeführt wird. Der Traum jedes Israel-Hassers.

Diese Verschwörung erreichte ihren Höhepunkt in dieser Woche, als Professor Noam Chomsky die Einreise in die Westbank verweigert wurde.

Für diese Affäre gibt es keine glaubwürdige Erklärung außer einem gemeinen antisemitischen Komplott.

Anfangs dachte ich, dass dies nur die übliche Mischung von Ignoranz und Torheit sei. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dies so nicht sein kann. Selbst in unserer gegenwärtigen Regierung kann die Dummheit nicht solche Proportionen annehmen.

Zusammengefasst geschah folgendes: der 81-jährige Professor kam auf seinem Weg von Amman an der Allenby-Brücke über dem Jordan an. Er wollte in der Universität Birzeit in der Nähe von Ramallah zwei Vorträge über die US-Politik halten. Natürlich wussten die israelischen Behörden im voraus über sein Kommen Bescheid. Ein junger Grenzbeamter stellte ihm ein paar Fragen, kontaktierte seine Vorgesetzen im Innenministerium, kehrte zurück und stellte noch ein paar Fragen, kontaktierte noch einmal seine Vorgesetzen und stempelte in seinen Pass dann die Worte: „Einreise verweigert“.

Und welche Fragen wurden ihm gestellt? Warum er nicht an einer israelischen Universität Vorträge halte. Und warum er keinen israelischen Pass habe.

Der Professor kehrte nach Amman zurück und vermittelte seine Vorträge über Video. Der Vorfall wurde in aller Welt verbreitet, besonders in den USA. Das Innenministerium entschuldigte sich halbherzig und behauptete, es sei nicht zuständig gewesen, es habe in der Verantwortlichkeit des militärischen Koordinators für die (besetzten) Gebiete gelegen.

Das ist natürlich eine verlogene Ausrede, da in jüngster Zeit das Ministerium selbst einigen Leuten, die Sympathie für die Palästinenser zeigten, die Einreise verweigert hat, einschließlich des populären spanischen Clowns.

Eine persönliche Erinnerung: vor zwölf Jahren hatte ich in London eine hitzige öffentliche Debatte mit Edward Said, dem verstorbenen palästinensischen Professor. Nebenbei erwähnte er, dass sein Freund Noam Chomsky gerade dabei sei, in einer örtlichen Universität einen Vortrag zu halten.

Ich eilte dorthin und sah rund um das Gebäude eine dichte Menge junger Leute. Mit großer Schwierigkeit bahnte ich mir einen Weg bis zur Treppe, die zum Hörsaal führte, doch wurde ich von den Platzanweisern angehalten. Ich bat vergeblich und sagte, ich wäre ein Freund des Referenten und ich wäre extra den weiten Weg von Israel gekommen, um ihn zu hören. Sie sagten mir, dass man nicht einmal mehr eine Nadel dazwischen fallen lassen könne. So groß war seine Popularität selbst damals schon.

Noam Chomsky ist vielleicht der gefragteste Intellektuelle der Welt. Sein Ruf geht weit über sein akademisches Fach, die Linguistik, hinaus, in dem er als Genie angesehen wird. Er ist der Guru von Millionen in aller Welt. Die Weltmedien behandeln ihn als akademische Berühmtheit.

Wenn dem so ist, was hat dann den Innenminister und/oder den Verteidigungsminister veranlasst, diesen Mann vier Stunden lang festzuhalten und dann zurückzuschicken? Eine verheerende Torheit? Böswilligkeit? Rachsüchtigkeit? Alles das oder vielleicht etwas anderes?

Diese Affäre hat viele verschiedene Auswirkungen.

Zunächst ist es vor allem eine Provokation gegen die palästinensische Behörde, mit der Binyamin Netanyahu direkte Friedensverhandlungen zu führen wünscht – so sagt er wenigstens. Er spuckt ihr damit ins Gesicht.

Chomsky kam als Gast von Mustafa Barghouti, einem palästinensischen Führer, der Gewaltlosigkeit und Menschenrechte befürwortet. Er kam, um an einer palästinensischen Universität Vorträge zu halten.

Was geht das Israel an? Welch eine Chuzpe ist es, die palästinensischen Studenten daran zu hindern, einen Referenten ihrer Wahl zu hören?

Und was sagt uns dies über Netanyahus Reden über „Zwei Staaten für zwei Völker“? Was für ein palästinensischer Staat soll das sein, wenn Israel entscheiden kann, wer einreisen darf und wer nicht? Besonders angesichts der Forderung Israels, alle Grenzübergänge im neuen Staat zu kontrollieren!

Zweitens. In der ganzen Welt ist eine Kampagne in vollem Gang, alle israelischen Universitäten zu boykottieren. Nicht nur das selbst ernannte „Universitätsinstitut“ in der Siedlung Ariel und nicht nur die Bar-Ilan-Universität, die half, es aufzubauen. Alle.

Mehrere Verbände von Akademikern in Großbritannien und anderen Länden haben Resolutionen angenommen, um diesen Boykott auszuführen; andere Gruppen sind dagegen. Die Auseinander-setzung hält an.

Die Gegner des Boykotts hissen die Flagge der akademischen Freiheit. Wohin geraten wir, wenn wir Forscher und Denker wegen ihrer Staatszugehörigkeit oder ihrer Meinung boykottieren? Der italienische Schriftsteller Umberto Eco hat seinen Kollegen einen emotionalen Brief gegen den Boykott geschrieben. Auch ich bin dagegen.

Und jetzt kommt die Regierung Israels und zieht uns den Teppich unter den Füßen weg. Keiner behauptet, Chomsky unterstütze Terrorismus oder komme als Spion. Seine Einreise wurde nur wegen seiner Ansichten verweigert. Dies heißt, dass akademische Freiheit nur dann gut ist, wenn es denen dient, die Israel loben und preisen, aber ist nicht mehr wert als eine Knoblauchzehe (wie man im Hebräischen sagt), wenn sie von jemandem genützt wird, der gegen die Politik der israelischen Regierung ist.

Das ist eine direkte Unterstützung für die Boykotteure. Um so mehr als keine einzige israelische Universität oder Gruppe von Akademikern ihre Stimme protestierend dagegen erhoben hat.

Die Behauptung, Chomsky sei ein Feind Israels, ist lächerlich.

Er trägt einen ausgesprochen hebräischen Vornamen, genau wie seine Tochter Aviva, die ihn begleitete.

Ich traf ihn zum 1. Mal in den 60ern, als ich ihn in seinem voll gepfropften Zimmerchen im Massachusetts Institut of Technologie (MIT), einer der anerkanntesten akademischen Institutionen in den USA und der Welt, besuchte.

Er sprach mit Nostalgie über den Kibbutz (Hazorea der linken Hashomer Hazair Bewegung) , wo er in seiner Jugend ein Jahr lang lebte. Wir tauschten unsere Meinungen aus und kamen zur Schlussfolgerung, dass die Idee der zwei Staaten die einzige praktische Lösung sei.

Sein Vorname wurde ihm von seinen Eltern gegeben , die beide in Russland geboren wurden und in ihrer Jugend in die USA auswanderten. Die Muttersprache von beiden war Jiddish, aber sie pflegten zu Hause die hebräische Kultur, und Noam sprach von früher Kindheit an hebräisch. In der geistigen Welt seiner Jugend waren Sozialismus und Anarchismus mit Zionismus vermischt. Seine Doktorarbeit behandelte die hebräische Sprache.

Seit damals verfolgte ich seine Äußerungen. Niemals fand ich eine Opposition zur Existenz Israels. Was ich dort fand, war scharfe Kritik an der Politik der israelischen Regierung – dieselbe Kritik, die von den israelischen Friedenskräften erhoben wird. Aber er ist weit kritischer gegenüber den auf einander folgenden US-Regierungen, deren Politik er als die Mutter aller Übel ansieht.

Als die beiden Professoren John Mearsheimer und Stephen Walt ihr revolutionäres Exposé veröffentlichten, das behauptete, Israel kontrolliere durch die Israel-Lobby die US-Politik, hat Chomsky ihnen widersprochen und behauptet, das Gegenteil sei wahr: es sei die USA, die Israel wegen seiner imperialistischen Absichten ausnütze, die den wahren Interessen Israels entgegen stünden.

Was mich betrifft, so glaub ich, dass beide Thesen richtig sind. Chomskys Behauptung mag durch das gegenwärtige amerikanische Veto gegen die Fatah-Hamas-Versöhnung veranschaulicht werden als auch die amerikanische Intervention, die den Gefangenenaustausch gegen Gilad Shalit verhindert.

Warum also war – um Gottes willen – diesem Mann die Einreise versagt worden?

Ich habe eine Theorie, die alles erklären mag.

Viele Jahrhunderte lang wurden Juden im christlichen Europa verfolgt. Antisemitismus machte ihr Leben zur Hölle. Sie wurden Opfer von Pogromen, Massenvertreibungen, sie waren in Ghettos eingesperrt, durch Edikte und Gesetze unterdrückt und diskriminiert. Im Laufe der Zeit entwickelten sie geistige und praktische Verteidigungsmechanismen, Methoden zum Überleben und Wege der Flucht.

Seit dem Holocaust hat die Situation sich radikal verändert. In den USA leben Juden jetzt wie in einem Paradies – ohne Parallele seit dem Goldenen Zeitalter im muslimischen Spanien. Als der Staat Israel entstand, zog er weltweite Bewunderung und Sympathie auf sich.

Das war wunderbar, aber unter der Oberfläche des nationalen Bewusstseins – wenn man verallgemeinern darf – stellte sich ein Gefühl der Beklommenheit, der Desorientierung ein. Der altbewährte Verteidigungsmechanismus, der den Juden ein Gefühl der Orientierung und Bereitschaft für lauernde Gefahren gab, brach zusammen. Sie fühlten, dass irgend etwas nicht in Ordnung sei, dass die wohl bekannten Wegzeichen keine Gültigkeit mehr hatten. Wenn die Nicht-Juden die Juden lobten oder gar sich mit ihnen verbündeten, dann ist das verdächtig. Klar, dahinter verbirgt sich etwas Unheimliches. Die Dinge sind nicht mehr so, wie wir gewöhnt sind. Das ist beängstigend.

Seitdem arbeiten wir fieberhaft, um die Situation zurückzuholen. Ohne dass es uns bewusst wird, tun wir alles, um wieder verhasst zu werden, um uns auf dem uns bekannten Grund und Boden zu Hause zu fühlen.

Wenn es eine Verschwörung gibt, dann ist es eine Verschwörung von uns selbst gegen uns selbst. Wir werden nicht ruhen, bis die Welt wieder antisemitisch ist. Dann wissen wir, wie wir uns verhalten müssen.

So wie das fröhliche Lied geht: „Die ganze Welt ist gegen uns, aber zum Teufel ”¦“

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Der Beitrag wurde unter www.uri-avnery.de am 22.05.2010 erstveröffentlicht. Alle Rechte beim Autor.

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