Hahnenkämpfe in der Kirche – Überraschende Impressionen in Arizona

Der 250 m hohe Spider Rock im Indianerschutzgebiet Canyon de Chelly

„Dies war der Spielplatz in meiner Kindheit“, erzählt Joe, der  Navajoguide seinen Gästen. Sie sitzen auf der Pritsche eines umgebauten Armeelastwagens, mit dem er sie als Chauffeur durch den Canyon de Chelly im amerikanischen Arizona kutschiert. Es ist ein frischer Frühlingstag. Hellgrün leuchtet das Laub der Baumwollpappeln vor einem tiefblauen Himmel. Ein kühler Wind fegt Sandkörner die Schlucht entlang. Die Mützen tief über die Stirn gezogen, die Jacken zugeknöpft, geht es zu einer Fahrt in die Vergangenheit.

Um diese Jahreszeit ist das Flussbett fast ganz ausgetrocknet. Nur an wenigen Stellen tritt Grundwasser zutage. Kleine Farmen säumen den Weg. Navajos bebauen den Talboden an höher gelegenen Stellen mit Bohnen, Mais und Kürbissen, ihren traditionellen Nahrungsmitteln. Ziegen und Pferde weiden neben achteckigen Hogans, Erdhäusern aus Wachholderholz und Lehm. Nur mit Genehmigung des Indianerstammes – gegen Gebühr – oder innerhalb einer geführten Gruppe ist es möglich, den sogenannten Schicksalscanyon zu besuchen. An den Felsnischen dieser 400 m tiefen Sandsteinschlucht siedelten die Anasazi vor über tausend Jahren. Viele Jahrhunderte lebte man hier in Frieden. Doch zu Zeiten der Landnahme des Westens durch die Weißen wurden die Navajos wider Willen aus ihrer Heimatschlucht vertrieben, hinüber nach Albuquerque in New Mexiko.

Rast an der White House Ruin, einem der sehr gut erhaltenen Pueblo, Überreste einer ehemaligen Wohnstätte, die wie eine Bienenwabe in den Felsen hängt. „Betreten verboten“, wird der Besucher angewiesen. Auf  einfachen Ständen bieten Einheimische kunstvoll gefertigten Indianerschmuck zum Verkauf. Schwindelerregend steigt die überhängende Felswand dahinter empor. Später wird der obere Teil der Schlucht zu Fuß erkundet. Die Wanderung führt zu einem Aussichtspunkt, der den Blick freigibt: zum Spider Rock, dem Spinnenfelsen. Auch dies ist ein heiliges Gestein der Navajos. Ein kurzes Regenschauer zieht vorüber. Doch gleich darauf erstrahlt die rote Felsennadel wieder in der späten Nachmittagssonne.

Filmstädte und Kandelaberkakteen

Auf dem Balkon schleicht der Bankräuber um die Hausecke. Geduckt, das Halstuch bis knapp unter die Augen hochgezogen, den Revolver in der Hand. Wir sind in „Old Tucson“ im Süden des Staates Arizona. Jeden Tag um die gleiche Zeit findet dieses Spektakel mit Schauspielern statt. Holzgebäude im Stil der Pionierzeit säumen die staubigen Straßen,  Andenkenläden verlocken Besucher zum Bummeln. Gefragt sind vor allem die typischen Souvenirs der Region: Ledergürtel, Cowboyhüte, bestickte Hemden oder Indianerschmuck. Auf diesem Gelände wurden vor den Wildwestkulissen verschiedene Filme gedreht wie: „Unsere kleine Farm“ und ähnliche Serien. Die Beliebtheit solcher Streifen ist ungebrochen. Wer schwelgt nicht gerne in dieser Romantik von feuerroten Sonnenuntergängen und Lagerfeuer in sternklaren Nächten an der Seite eines hochgewachsenen Cowboys. Negative Aspekte, wie Betrug an den Indianern oder Raubbau an der Natur, treten vor der Identifikation mit dem Sieg des Guten über das Böse in den Hintergrund.

Hübsche Damen, meistens Studentinnen, die ihr Taschengeld aufbessern, flanieren in schwingenden Röcken vor den Geschäften, mit kokett vorgehaltenem Fächer, der schmückende Kontrast zu dem vom rauen Leben geprägten männlichen Gegenpart. Melancholisch klingende Stimmen singen zu einer säuselnden Gitarrenbegleitung Balladen von Gefahren in der Wildnis und verschmähter Liebe. In Wirklichkeit fährt man stundenlang über den Highway, bis die ersten roten Felsen am Horizont auftauchen. Zum Glück ist es noch schöner, als die bekannten Bilder der Reklame uns ständig vorgaukeln.
 Unweit der Filmstadt erstrecken sich die kaktusbewehrten Hügel des Saguaro National Monument. Bis 15 Meter hoch ragen die stacheligen Säulen empor. In erstaunlicher Weise haben sich diese tonnenschweren Pflanzen an die Herausforderungen des Standorts angepasst, um ein halbes Jahr ohne Niederschläge zu überstehen. Im Frühjahr zeigt sich ein Schauspiel besonderer Art. An den langen stacheligen Pflanzen wachsen Knospen, und bald darauf strecken sich die prächtigen, weißen Blüten der Sonne entgegen. Langsam reifen rote Kaktusfeigen, pralle, von einer Stachelhaut überzogene Früchte, vitaminhaltig, süß und saftig.

Rituale im Regenhaus, Skurilles in der Kirche

Die Papago Indianer aus der gleichnamigen Reservation leben während der heißen Jahreszeit in gut durchlüfteten Strauchhütten. Lebende Zäune aus Mesquite- und Ocotillosträuchern, die im Frühjahr in allen Farben blühen, umgeben die Viehpferche. Tatsächlich ernährt sich der Stamm noch von wilden Pflanzen, den Wurzeln der Agave, Nüssen und Kaktusfrüchten. Im Juni oder Juli ziehen sie mit langen Stangen in die Kakteenhaine zur Ernte. In traditionellen Verfahren werden die Früchte zu Konfitüre verarbeitet, zu Wein oder sogar zu Schnaps vergoren. Der Medizinmann beaufsichtigt während eines dreitägigen Rituals im sogenannten „Regenhaus“ die Destillation des Saftes. Tänze und Gesänge begleiten den Vorgang. Ähnlich der Zeremonie des Tabakrauchens wird der alkoholisierte Saft von Papagomännern eingesegnet und feierlich getrunken, wobei man gleichzeitig die Götter anruft und um Segen für den Stamm bittet.

Der Einfluss der Spanier reichte bis hinauf in den Norden an die Grenze Oregons und im Nordosten bis nach Colorado. Jesuiten und Franziskaner christianisierten Indianerstämme im heutigen Mexiko und in den Südweststaaten der USA. Der katholische Glaube wird immer noch von heidnischen Gebräuchen beeinflusst. Selbst die sehr gut erhaltene, schon 1692 begonnene, schneeweiße Missionskirche San Xavier del Bac bei Tucson, die schönste des ganzen Südwestens inmitten der Papago Reservation, ist dann Schauplatz von Tänzen und Hahnenkämpfen. Aber viele indianische Zeremonien werden verständnisvoll von amerikanischen Behörden toleriert. So besuchen Medizinmänner ihre Stammesgenossen in städtischen Krankenhäusern, um dort Zeremonien am Bettrand abzuhalten, die zur Heilung beitragen sollen. In vielen Reservaten ist der Glaube an Magie Bestandteil des Alltags. Schamanen gestalten Motive aus verschieden farbigem Natursand auf dem Erdboden, dekorieren das Kunstwerk mit der Mumie eines Vogels – und kurz nach Fertigstellung wird die Darstellung wieder zerstört – im Glauben dass der große Geist die Botschaft bereits erhalten hat und dem Kranken zur Heilung verhelfen wird. So werden Traditionen wieder gepflegt, bzw. mit neuem Leben gefüllt. In entlegenen Tälern wohnen noch einige Familien im Hogan. Der Eingang ist immer im Osten. Ein Neugeborenes wird am ersten Morgen seines jungen Lebens hier nackt der aufgehenden Sonne entgegengehalten und dabei von den Kräften des Universums getauft. Allerdings erblicken die meisten Indianerbabys heute im Krankenhaus das Licht der Welt.

Sandsteinbögen und Badlands

Aus der Vogelperspektive treten die Kontraste zwischen rotem Fels und tiefblauem Wasser besonders deutlich zutage. Bockend und unruhig kreist das kleine Flugzeug über dem Lake Powell und seinen Halbinseln. Die Eigenspannung des Gesteins hat seit Jahrhunderten gleichmäßige, bogenförmige Nischen herausgesprengt. Solche Halbhöhlen nutzten Indianerstämme, ihre Pueblos hineinzubauen, wie sie im Canyon de Chelly zu sehen sind. Immer noch nicht ganz geklärt ist die Tatsache, warum sie im 14. Jahrhundert unserer Zeitrechnung  von den Bewohnern verlassen wurden. Einer der Gründe könnte die Jahrzehnte andauernde Dürre gewesen sein, die Wissenschaftler an Bohrkernen uralter Bäume nachgewiesen haben. Am Ende eines Seitenarms des Sees ragt ein großer Bogen in den stahlblauen Himmel. Er gleicht einer riesigen Naturbrücke, die das Wasser überquert: es ist die Rainbowbridge, Heiligtum der Navajos. Der Legende nach standen sich auf den jeweiligen Ufern befeindete Stämme gegenüber. Ein Gewitter brach herein, es goss in Strömen und von der Seite schienen Sonnenstrahlen durch die fallenden Tropfen. Bald überzog ein schillernder Regenbogen den Himmel. Manitou veranlasste die beiden Häuptlinge von ihrer jeweiligen Seite auf den Bogen zu steigen, der im selben Moment zu Stein wurde. Beim Zusammentreffen auf dem Scheitelpunkt schlossen sich auch die Hände der Krieger miteinander und man gelobte Frieden.

Am Weg zum nächsten Naturwunder liegt die Hubbel Trading Post im Osten Arizonas. Sie ist die älteste erhaltene Handelsstation des Westens aus dem letzten Jahrhundert mit einer einmaligen Sammlung historisch und künstlerisch bedeutender Artifakte wie Navajoteppichen und Indianerschmuck im Stile der Hopi und Zuni. Rundherum nur Felsplateaus, wenig Grün. Staub ist in der Luft, grelles Licht liegt über den Halbwüste. Unweit davon liegt der Petrified Forest National Park, inmitten einer Region, die man Painted Desert, die gemalte Wüste nennt. Der Wind fegt über zitternde Grasbüschel und gespenstisches Licht fällt auf die 200 Millionen Jahre alten Bäume aus dem Zeitalter der Kohlewälder. Es sind mehrheitlich Schachtelhalmbäume aus grauer Vorzeit, die vor Zeitaltern unter heißer Vulkanasche erstickt wurden und versteinerten. Ihre Jahresringe sind jetzt im dunkelroten Achat gezeichnet. Angesichts dieser urzeitlichen Giganten fühlt man sich unendlich klein, jedoch auch geborgen  zwischen roten Zeugen einer längst vergangenen Zeit.

Informationen:

Die Deutsche Lufthansa fliegt täglich nonstopp nach Los Angeles, www.dlh.com  Allgemeine Informationen über Arizona gibt es beim Arizona Office of Tourism,, c/o Kaus Media Services, Tel.: 0511 / 8998900; arizona@kaus.net, www.arizonaguide.com . Verschiedene Programme für Selbstfahrer in Südwest-USA bietet z. B. bei CRD International GmbH, so eine 16-tägige Rundreise ab/bis Los Angeles inkl. Mietwagen, Langstreckenflüge etc. bereits ab Euro 1079, www.crd.de und zum Beispiel eine 16-tägige Rundreise www.crd.de/pkw/reisebeschreibung.php?id=100811, E-Mail: info@crd.de

Reiseliteratur:

Kurt Ohlhoff, USA – Der Westen im Komet Verlag. Über 500 brillante Fotografien auf 640 Seiten. Dieser spektakuläre Bildband beschreibt den Westen der USA in seiner ganzen landschaftlichen, ethnischen und kulturellen Vielfalt. Jeder Staat wird mit seiner Geografie, Geologie, Geschichte, Wirtschaft, Politik, Fauna und Flora vorgestellt. Über 500 exzellente Fotografien machen den Band zum Genuss auch fürs Auge, gebunden mit SU, ca. 500 farb. Abb., 640 Seiten, Format 24 x 29,7, ISBN: 978-3-89836-871-1, EUR 39,95; http://www.komet-verlag.de

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