„Habe ich auch geboxt?“ – Original-Ausstellung ’Körperwelten’ in Leipzig wird verlängert

Dr. Gunther von Hagens hat neue Figuren kreiert und plastiniert aus den Körpern Verstorbener der zurück liegenden vier Jahre oder zeigt aber auch ’Klassiker’ aus der Anfangszeit – vom Start im Berliner Osten im Jahr 1999. Zu den Neukreationen gehört – mehrdeutig wie vieles in der Ausstellung – der ’Lebensretter’ aus dem Jahr 2009. Ein kniender Plastinaten-Mann wendet bei einem vor ihm Liegenden die Herzdruck-Massage an. Die Anstrengung zeigen die freigelegten Muskeln. Das ’Kopfballduell’ zweier Spieler und der ’Wellenreiter’ (jeweils von 2007) lassen Muskeln unter Anspannung erkennen. Bei der ’Pokerunde’ (2006), die in einem Bond-Film ’mitspielte’, dadurch den Bekanntheitswert der Ausstellung erhöhte und neue Zielgruppen gewann, hat sich jeder der drei Kartenspieler anderweitig bloß stellen lassen: Nerven, Gelenke oder tiefere Muskelregionen.

In der Abteilung der vorgeburtlichen Entwicklung liegt ein Klassiker, eine Schwangere mit geöffnetem Leib (1998). „Lag ich auch so in Deinem Bauch?“, fragt ein zierliches vielleicht fünfjähriges Mädchen mit wippendem Pferdeschwanz. Die Mutter bejaht. „Und, und habe ich auch geboxt?“ Die Kleine verweist auf die geballten Fäustchen des Embryos. Die Mutter: „Ja ganz schön.“ „Tat das weh?“ Bildhafte Erkenntnisse, die das kleine Mädchen vermutlich nicht so schnell vergessen wird. Frühkindliche Erlebnisse bleiben bekanntlich gut in Erinnerung bis ins hohe Alter. Übrigens – hohes Alter: Gretel S. aus Halle staunt über die befruchteten Samen von der 5. bis Anfang der 9. Schwanger-schaftswoche. „Da muss ich 84 Jahre alt werden, um das zum ersten Mal zu sehen.“, meint die grauhaarige Dame begeistert.

Die ’Phase’ davor – der Geschlechtsakt – wird mit einem Plastinaten-Paar als ’schwebender Akt’ (aus dem Jahr 2009) dargestellt. Im Liebessitz rückwärts reitend zeigt die ’stolze Königin’ wahrhaftig viel: Angespannte Muskeln und Organe. Dieser Höhepunkt ist der Höhepunkt; zumindest für Besucher (erst) ab 16 Jahren. „Der Ausweis ist auf Verlangen des Ausstellungspersonals vorzuzeigen“, steht auf dem Schild vor dem separaten ’Anatomischen Kabinett’. Vielleicht rennt Dr. von Hagen mit diesem Kabinettsstück im aufgeschlossenen Sachsen offene Türen ein. Aber man weiß ja nie – besser vorwarnen als hinterher einen Prozess am Hals haben. Zwei Männer mittleren Alters bescheinigen den plastinierten ’Wogen der Lust’ einen „guten Schnitt“. „Schau mal das Brustgewebe der Frau“, meint der eine nachdenklich. „Die Frau war noch nicht alt.“, ergänzt der andere. Zahlen im Kontext können unterhaltsam sein: „Maximal kann der Mann 200 Millionen Spermien ausstoßen. Die Frau behält beim Orgasmus 70 % mehr Spermien als ohne.“, wird informiert.

„Körperwelten“ trägt neuerdings den Untertitel „eine Herzenssache“. Mehrdeutig – denn zum einen sind Herz-Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache. Dr. Gunther von Hagens und Kuratorin Dr. Angelina Whalley wollen die Besucher deshalb mit speziellen Original-Herz-Exponaten anregen. Andererseits ist diese Ausstellung in seiner Heimatregion eben auch für von Hagens eine Herzenssache.

Die Ausstellung mit toten Exponaten ist nicht tot. Durch die künstlerische Position der Menschen-Plastinate vermittelt sie lebendig Wissen. Weise Worte großer Denker regen an. Videokunst schafft im wahrsten Sinne des Wortes Bewegung.

Die Ausstellungsmacher legen wert auf „Das Original“. Zum einen sind originale menschliche Körper plastiniert worden. Zum anderen gibt es gegenwärtig einige Nachahmer des Pioniers Gunther von Hagens.

Die hohen Brandungen der Diskussionen von Befürwortern und Kritikern dieser künstlerischen Form der Ausstellung menschlicher Körper ist abgeflacht. Selbsternannte Ethiker sind dank des großen Zuspruchs ruhiger geworden. In Leipzig – der ersten Ausstellungsstadt im Osten Deutschlands (nach Berlin 1998) – wird heute nach 75 Tagen (am 19. August 2010) der 100.000 Besucher begrüßt. Grund genug für Dr. Gunther von Hagens die Ausstellung bis zum 31. Oktober um weitere 50 Tage zu verlängern.

Service:

Nach zwei Stunden Ausstellungsbesuch. hat sich die Besucherschlange von 30 auf 50 Meter verlängert. Empfehlung: Tickets für (9 bis 15 Euro) sind im Internet unter www.koerperwelten.de oder www.ticketonline.com sowie bei allen Ticket Online Verkaufsstellen erhältlich. Das erspart lange Wartezeiten.

Ausstellungsort:

Körperwelten – Eine Herzenssache, im Kohlrabizirkus, An den Tierkliniken 42

Vom Leipziger Hauptbahnhof mit Tram 16 bis Deutsche Nationalbibliothek (ca. 10 Minuten).

Öffnungszeiten:

Verlängert bis 31. Oktober 2010!

Sonntag bis Mittwoch 9:00 Uhr bis 19:30 Uhr (letzter Einlass 18:00 Uhr)

Donnerstag bis Samstag 9:00 Uhr bis 21:00 Uhr (letzter Einlass 19:30 Uhr)

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