Guimarães, Nordportugal – Kulturhauptstadt 2012 Saudade und Boa vida em Portugal – Schöner Leben in Portugal

Die Reise dorthin beginnt in Porto. An der belebten Uferpromenade des Douro herrscht unter strahlend blauem Himmel buntes, reges Treiben. Souvenirhändler bieten traditionell bestickte Tischtücher und Taschen feil. Touristen und Einheimische flanieren entlang der kleinen Restaurants und Geschäfte. Direkt unterhalb der berühmten, mehrstöckigen Eisenbrücke über den Douro, von Gustave Eiffel gebaut, fügt sich das Restaurant D.Tonho in die Reihe buntbemalter Häuser der Altstadt unterhalb des bischhöflichen Palais. Eduardo, der freundlich lächelnde Besitzer, serviert mit flinken Händen köstlichen Vorspeisen, gefolgt von würzig gegrilltem „Bacalau“( Kabeljau) an Broccoli mit Kartoffeln. Virtuos und behend kredenzt er einen gut gekühlten „Quinta da Aveleda“ Weißwein.

Bei einem guten Glas Ruby-Portwein (Es gibt ein offizielles Portweinglas!) fällt der Blick auf den glitzernden Douro, der die nordiberische Halbinsel zu zwei Dritteln durchzieht. „Er glänzt wie Gold, deshalb heißt er Douro“, erklärt Meneses, der eigentlich Manuel heißt, wie viele Portugiesen.
 
Möwen ziehen ihre eleganten Bahnen über und unter der Brücke und verkünden mit lautem Schreien die Nähe des Atlantiks. Antike Rabelo-Ruderboote liegen vor Anker und wiegen samt ihrer Ladung Portweinfässer rhythmisch im Takt der Wellen des Douro. Ab und zu tuckert ein Fischerboot vorbei oder zwei große Touristenboote liefern sich ein Wettrennen mit mächtigen Wellen im Gefolge. Auf der anderen Uferseite des großen Stroms, in Vila Nova de Gaia, sieht man die Seilbahn zum Kloster hinauf- und hinuntergleiten – über den Dächern der berühmten Portweinkellereien wie Taylor’s und Sandeman.

Porto, die ehemals sehr reiche Handelsstadt, ist auf Hügeln gebaut. Der Reichtum hat attraktive Spuren hinterlassen, so zum Beispiel in der neoklassischen Börse: allein in einem sogenannten „arabischen“ Zimmer wurden 13 kg Gold in Decken und Wänden verarbeitet. Das neobarocke, charmante Prominenten-Hotel Infante Sagres, in dem der König von Norwegen und andere Pop-Prominente weilten mit seinem Feinschmecker-Restaurant „Book“, einer ehemaligen Bücherei; das Rathaus und der Unesco-Welterbe-Distrikt; LELLO – eine Buchhandlung, deren Interieur an die Zauberschule aus Harry Potter-Filmen erinnert: fehlt nur noch, dass die kunstvoll geschwungene, ausladende Treppe zwischen den mit Holzschnitzereien reich geschmückten Decken und Wänden  ebenso frei herumschwingt wie im Film. Überall in Portugal präsent sind die  kunstvollen Azulejos, bunt, oft blau-bemalte, glasifizierte Keramikfliesen. Wahre Meisterwerke von diesen Prachtexemplaren sind am Bahnhof S. Bento zu bewundern. In großen, dramatischen Wandbildern wird die gesamte Geschichte Portugals und seine Schlachten präsentiert; der Clerigo-Turm – von hier aus hat man einen wunderschönen Blick über die Stadt. Café Majestic – ein Muss! Und überall die Patisserien mit der Spezialiät „Pastéis de Belem“ – Puddingfüllung. Die Portugiesen mögen es süß.

Galerien, Mode, Kunst, Design, Outlet-Factory finden sich in der Miguel Bombarda Strasse genauso wie Restaurants, Buch- und Musikläden.

Einen bezaubernden Blick auf Porto, den Douro und seine Brücken bei Nacht bietet sich beim Abendessen vom Anwesen der berühmten Portweinkellerei Taylor’s, hoch oben am anderen Ufer des Douro gelegen, in Vila Nova de Gaia. Taylor’s blickt auf eine 300-jährige Traditionsgeschichte zurück. Nicht nur Staatsgästen und Geschäftsleuten werden zuvor bei Führungen durch die Weinkeller die Weihen der höheren Portweinherstellung erläutert. Entlang des Douro-Stroms befinden sich exzellente Weinanbaulagen. Die Weine wurden früher von den Engländern, die hier herrschten, zwecks Haltbarmachung mit Brandy versetzt, damit sie den Transport über das Meer überstehen. „Ruby, Tawny, Vintage – Millionen von Euro werden hier gelagert“, erklärt Suzanna im Angesicht von einem 100.000 Liter-Tank, den sie liebevoll „Swimming-Pool“ nennt. 23.000 Liter-Fässer sind üblich. „Taylor’s will weg vom Image der alten englischen Damen, die vor dem Kamin sitzen und ihren „Port“ trinken“. „White on the Rocks” und „Port-Tonic” sind die modernen Varianten. 13 Millionen Flaschen produzieren sie hier jährlich bei einer Lagerung, die bis zu 10-18 Jahren dauern kann. „Vintage Port ist ein ganz besonderer Portwein, der nach Öffnen der Flasche binnen 48 Stunden getrunken werden muss“, plaudert sie aus dem Nähkästchen. Es gibt sogar Bio-Portwein oder auch koscheren Portwein, der von Rabbis zertifiziert wird. Bei der Führung weist sie auf die von innen schwarz verkohlt wirkenden Dächer: das sind die Ausdunstungen des Portweins während der Lagerung. „Durch diese kleine Öffnung mussten sich früher junge Männer durchzwängen, um die riesigen Fässer von innen zu reinigen. Nach zwei Stunden Arbeit waren sie dann blau von den Dämpfen – was für ein schöner Job!“, schwärmt sie.

Beim Abendessen in geschmackvoll dekoriertem Ambiente mit Panoramablick bietet sich die Gelegenheit, Portwein und Douro-Wein in allen Geschmacksvarianten zu den Gerichten zu kosten. Für den gehobeneren Geldbeutel: Das angegliederte Luxushotel „The Yeatman“ in Porto ist seit Kurzem Mitglied der angesehenen Relais & Château Collection. Das Konzept „Wein-Erlebnis“ widmet jedem der 60 Weinpartner aus elf Weinregionen Portugals ein Schlafzimmer im Hotel und ist auch im Spa bei der verjüngenden Caudalie Vinotherapie ® spürbar. Der Weinkeller bietet eine exklusive Auswahl aus 25.000 Flaschen Wein und gilt als die beste Weinauswahl Portugals. Die Küche überzeugt durch die Verwendung regionaler Zutaten und eine zeitgenössische Interpretation traditioneller portugiesischer Gerichte. Mehr auf den Websites www.taylor.pt und www.the-yeatman-hotel.com.

Der Weg nach Guimarães führt über Serpentinen der 1000 Meter hohen Weinberge entlang des Douro mit seinen prächtigen Quintas. Das sind Weingüter mit Übernachtungsmöglichkeiten. Diese Region mit ihren Steinterrassen noch aus der Römerzeit ist Weltkulturerbe der Unesco. Ruhigst gelegen und sehr geschmackvoll eingerichtet bieten diese hochpreisigen Unterkünfte mit bezauberndem Ausblick auf die Weinlagen und den Douro nicht nur Quartier für alte englische Ladies, die hier „ihrem“ Port nachspüren.

Hinter einer langen Platanenallee taucht die Quinta de Pacheca auf, ein weiträumiges, weißgestrichenes Weingut. Die sympathische, warmherzige Catharina, jüngstes Geschwister des Familienbetriebes erklärt uns den Önotourismus. Im August ist wegen Hitze geschlossen. Ab April empfangen sie Gruppen von 60-100 Touristen, die sie entweder nur herumführen und verköstigen oder die auch in den geschmackvollen Zimmern nächtigen – ihre Mutter ist Innenarchitektin. Von überall einen weitläufigen Blick auf das langgestreckte Douro-Tal. Sie zeigt uns den Anbau, in dem die Weintrauben mit den Füßen gestampft werden. 14 Arbeiter haken sich unter und stampfen den Wein drei Stunden lang in einer Reihe zu Klängen von Akkordeonmusik. Im Gastraum weist sie auf die Roben der Weinbau-Bruderschaft im Glasschrank – eine alte Tradition. Tanja kredenzt zur Weinverköstigung würzigen Käse: queijo da Ilka (queso de isla). http://www.wonderfulland.com/pacheca

Die Quinta „Vintage House“ mit Blick auf die steilen Terrassenhänge mit ihren akkurat angelegten Weinlagen kann ihren englischen Ursprung nicht verhehlen. Das edle Interieur erzählt von diesen alten Zeiten aus dem 18. Jahrhundert. In den Badezimmern überall kostbare Azulejos! In der hauseigenen Weinakademie werden Touristen fortgebildet. Im englischen Garten, dekoriert mit Palmen aus Marokko, serviert Annarita zum Vogelkonzert in göttlicher Stille Karottensüppchen, Kabeljau in hauchdünnem Blätterteigmantel an Walnüssen und Spinat. Sommelier Joaquim Cruz schenkt distinguiert und freundlich „Douro Vinho branco (Weißwein) ein. Zum Waldfrucht-Eis-Dessert im Paradiesgarten gibt es einen Port „Solar da Rede Ruby“ in der Sonne mit Blick auf den glitzernden, träge vorbeifließenden Douro. http://www.csvintagehouse.com

Azulejos-Bildensembles, die Geschichten vom Weinbau erzählen, auch am idyllisch ruhigen Mini-Bahnhof von Pinhao (Pinie) nahebei. Ein Bimmelbähnchen verbindet zweimal am Tag das Paradies mit dem Rest der Welt.

Einige Serpentinen weiter und einige Höhenkilometer höher kredenzt Anna in der Quinta do Panascal auf der Veranda mit Blick auf den Douro-Zufluss Tavura – voller Stolz –  die neueste Kreation des Hauses: den Apperitivo Fonseca-Siroco , ein Vinho branco extra secco. „On the Rocks – mit Zitrone – die Konkurrenz schläft nicht!“, so das Motto des Konzepts. Einige Fonseca-Portweins jeglicher Couleur und Jahrgänge weiter: so werden Connaisseure ausgebildet! Weisser, roter (tawny und ruby) und vintage! „Bin 27“-Port wird zu Käse und Schokoladenkeksen gereicht! Ein 1997 Vintage-Port kostet 300 Euro pro Flasche! Das Weingut hat das höchste Gütesiegel Klasse A verliehen bekommen.  Saudé – was so viel wie Prost auf Portugiesisch heißt! Auch in dieser Önotourismus-Quinta – mit Ökoanbau als Zusatzexperiment – gibt es geschmackvolle, hochpreisige Zimmer mit Blick aufs Paradies. Beim Weinstampfen hier wird nach zwei Stunden „Liberdad“ gerufen und dann darf noch einmal zwei Stunden gestampft werden! www.fonseca.pt

Höher und höher führen die Serpentinen durch die Steinterrassen des Unesco-Weltkulturerbes zur Quinta Nova de N. Senhora do Carmo, einem restaurierten Weingut aus dem 18. Jahrhundert. „Von hier aus gibt es gut ausgebaute Wanderwege durch die Weinberge“, erläutert Paola, die Managerin das Konzept der Quinta bei einem weißen Port on the rocks. Im November sei die beste Zeit, um zu kommen. Im Sommer sei es zu heiß: „Neun Monate hält man es aus, drei Monate im Jahr sind die Hölle“ – so ungefähr charakterisieren die Einwohner die unerträgliche Hitzewelle im Sommer. www.quintanova.com

Guimarães, ehemals erste Hauptstadt und somit die „Wiege der Nation“  ist auch bequem in 40 Minuten von Porto aus über die Autobahn zu erreichen. „Die Altstadt wurde aus Granit und Holz gebaut!“, erzählt Vitor Marques der Stadtführer, beim Gang zur Burg. Überall sehen wir die typisch eckigen Pappmaché-Herzen in den Schaufenstern. „Ein Schüler hat in einem Wettbewerb zur Kulturhauptstadt mit seiner Herzens-Idee gewonnen!“ An einem Bäckerladen hält Vitor an und zeigt den kunstvoll dekorierten, geschichtsträchtigen Spezial-Kürbiskuchen der Nonnen des hiesigen Klosters Santa Clara: „Toucinho do Ce’u“. Wie gesagt, die Portugiesen mögen es süß, sehr süß! Weitere Delikatessen lauern in der Vitrine!

Das Castelo, die romanische Burg aus dem X. Jhdt. wurde zur Abwehr von Normannen gebaut und nie bewohnt. Mehr an Interieur bietet der normannisch-burgundische Palast der Herzöge von Brabant aus 1420 gleich am Fuß der Burg. „Hier im Prunksaal tagen auch Politiker“, weiß Vitor zu berichten. Im Schlafgemach der unglücklichen Königin rührt er uns mit ihrem traurigen Schicksal.

Von der Burg und Palast führt die Rua de St. Maria zum Largo da Oliveira, dem Ölbaumplatz, wo die stattliche Pousada Nossa Sra. da Oliveira zum Übernachten direkt in der Altstadt einlädt. www.pousadas.pt (Pousadas sind eine Kette von Luxus-, Traditions- oder historischen Hotels in Portugal). Gleich am Ölbaumplatz ist gut Speisen im „Sabores da Oliveira“.

Das Programm der Kulturhauptstadt erklärt uns Rui Catarino von der Festivaldirektion. Ein Stiftungsetat von 111 Mio. Euro habe zur Verfügung gestanden, davon wurden 70 Mio. Euro für Umbaumaßnahmen verwendet. Guimarães sei Schauplatz vielfacher Begegnungen von Schöpfern und Kreationen – Musik, Film, Fotografie, Bildende Kunst, Architektur, Literatur, Theater, Tanz und Straßenkunst. Produktionen, die aus ganz Europa in diese Stadt kommen, träten mit denjenigen in Beziehung, die ihre Bewohner imaginiert und hervorgebracht hätten. G. Braunstein von den Berliner Philharmonikern sei für eine längere Zeit in der Stadt gewesen, Stars wie Ute Lemper (28. Juli) und Wim Wenders seien geladen, Jean Luc Godard werde kommen – um nur einige der „Zugpferde“ zu nennen. In umgebauten Textilfabrikanlagen warten Künstler jeglicher Couleur mit ihren Ausstellungen auf. Ein Projekt mit dem Namen „Tu casa es mi casa“ habe die gesamte Bevölkerung miteinbezogen. In 30 ihrer Häuser seien 60 Konzerte gegeben worden – die Einheimischen seien sehr stolz auf ihre Stadt! Die traditionellen Kunsthandwerker der Stadt mischen sich mit der Moderne! Mit einer Millionen Besuchern werde gerechnet!

Insgesamt gäbe es vier Teile mit acht Programmen, mit deren Ausführung ein Team befasst sei: Performance, Cinema, Audio-Visuals, public space, community, music, cross times und city programming. In der „Zeit der Schöpfung bis zum 23. Juni“ träten Gruppen wie „Las Furas del Baus“ open air auf. Happenings überall auf öffentlichen Plätzen. In der  „Zeit des Fühlens“ vom vom 24. Juni bis 21. September starte die Open Air Saison mit Theater und Parties. Die „Zeit der Wiedergeburt“ vom 22.september bis 21. Dezember  werden „Erinnerungen gepflückt und Zeit gesät, die kommen wird“ –  die Stadt werde wieder ihren Einwohnern übergeben.
http://www.guimaraes2012.pt

Nach diesem umwerfenden Einblick in das Programm der Kulturhauptstadt gibt es in der Altstadt im Restaurant “Histórico by Papaboa“ (http://www.papaboa.pt/historico) außer deftigem portugiesischem Essen und Vinho verde noch „Fado“-Gesänge: Jeden Donnerstag treten dort Fado-Sänger auf. Besonders berührend, wenn das ganze Lokal bekannte Weisen mitsingt – das geht ans Herz. Pedro Magina, ein ehemaliger Fabrikarbeiter bei Leica, kann als Pensionär endlich seiner Leidenschaft nachgehen, zu hören auf Youtube und www.maginapedro.com. In fließendem Deutsch erklärt er die 12-seitige portugiesische Fado-Gitarre und erzählt aus seinem Arbeiter- und Künstlerleben. Saudade – das ist diese besondere Art von Weltschmerz und Traurigkeit, die sofort überspringt. Selbst in der Kirche gehen die heiligen portugiesischen Gesänge sofort ans Herz, auch ohne dass man die Worte versteht. Eine deutsche Künstlerin, Isabelle Federkeil: „In der Uni Guimarães habe ich Kunst studiert  und bin verliebt in die Stadt!“ Das Kulturherz klopft besonders laut in Guimarães!

Weiterführende Websites:

www.visitporto.travel
www.cm-porto.pt
www.douroazul.com (Flusskreuzfahrten)
www.visitportoandnorth.travel
www.guimaraesturismo.com

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