Griechenland am Rande des Staatsbankrotts: Wie Papandreou den „nationalen Überlebenskampf“ organisiert

Schröder wollte mit seinen Sparmaßnahmen die Konkurrenzfähigkeit des in Deutschland tätigen Kapitals verbessern, als ein Mittel zur weiteren Stärkung der Nation.

Papandreou sieht ebenfalls in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit seines Landes das Schlüsselproblem, nur die Situation ist extrem zugespitzt: Die hinter der griechischen Nation verborgene kapitalistische Ordnung droht im Falle eines Staatsbankrotts zusammenzubrechen. „Wir wollen nicht die Lehman Brothers Europas sein” (2). Das griechische National-Kapital soll nicht zusammenbrechen wie ein Einzelkapital.

Wäre die Rettung Griechenlands nur ein militärisches Problem, brauchte sich Papandreou nicht zu sorgen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri gingen insgesamt 4 % der weltweiten Rüstungsexporte in den vergangenen fünf Jahren nach Griechenland. Hier nimmt das Land den fünften Platz ein; der wichtigste Abnehmer deutscher Kriegswaffen ist Griechenland. (3) Etwa 5 % des Staatsbudgets entfallen auf Militärausgaben. Daran gemessen nimmt Griechenland im militärischen Wettbewerb der Nationen einen Spitzen-Platz ein.

Griechenland am Rande der Zahlungsunfähigkeit

Die Rettung Griechenlands ist vor allem ein ökonomisches Problem, das mehrere Facetten besitzt. Zunächst geht es um die Linderung der akuten Finanznot. Im April und Mai werden Schuldtitel von über 20 Milliarden Euro fällig. Würden diese Verbindlichkeiten nicht durch die Emission neuer Staatsanleihen getilgt, wäre der griechische Staat zahlungsunfähig. Papandreou kann keine Gelddruckmaschine anwerfen, weil sich die EZB seinem direkten Zugriff entzieht. Er verfügt nicht über die Atempause, die andere hoch verschuldete Länder wie USA, Großbritannien oder Japan besitzen, indem sie ihre Notenbanken zum Kauf von Staatsanleihen verpflichten. Papandreou ist unbedingt auf die Kaufbereitschaft der Anleger des Kapitalmarkts angewiesen. Aber das Misstrauen dort ist derart groß, dass die anstehende Emission griechischer Anleihen zu scheitern droht.

Zur „Geiselhaft der Finanzmärkte”

Das Misstrauen lässt sich direkt an der Differenz zwischen den Renditen der noch als relativ sicher geltenden deutschen Anleihen und den griechischen Anleihen ablesen. Je nach aktueller Risikoeinstufung schwanken diese Differenzen derzeit um etwa 3%-Punkte. Sollte die anstehende Emission überhaupt zustande kommen, dann nur mit einem vergleichbaren Zinsaufschlag, so dass der griechische Haushalt zusätzlich belastet würde.

Wenn Papandreou dies als eine „Geiselhaft der Finanzmärkte” betrachtet, dann macht er ein bloßes Symptom zur Ursache. Denn ohne kapitalistische Krise, ohne die kostspieligen Staatsinterventionen gäbe es solche Spekulationen gar nicht erst. Würden Geld und Kredit beseitigt, wären den Spekulanten alle Aktionsmöglichkeiten genommen. Statt die kapitalistischen Voraussetzungen für Spekulationen auszuräumen, will Papandreou sie und damit die Spekulanten retten. Ein Heuchler ist er.

Die Spekulanten stützen sich in ihrer Risikobewertung auf objektive Gegebenheiten der Staatsverschuldung. Sie beuten diese miserablen Verhältnisse lediglich aus, ohne sie durch ihre Aktionen geschaffen zu haben. Deshalb ändert die Eindämmung von Spekulationen nichts am Verschuldungsproblem.

Die Dinge stehen nicht viel anders, wenn wir die Credit Default Swaps (CDS) hinzunehmen, die wie eine Versicherung wirken und deren Preis mit dem Risikoaufschlag der ihr zugrunde liegenden Staatsanleihe schwankt. Im Extremfall, wenn also der griechische Staat seine Anleihen nicht mehr bedienen kann, erhält der CDS-Besitzer den Nominalwert der wertlos gewordenen Anleihe vom Sicherungsgeber erstattet, egal ob er die Anleihe besitzt oder nicht. In den CDS wird das Ausfallrisiko in Gestalt eines handelbaren Wertpapiers verselbständigt, welches immer als ein Risikomoment in jeder Anleihe steckt. Durch diese Verselbständigung tritt lediglich das Interesse der Besitzer von CDS stärker hervor: Statt die griechische Schuldenkrise zu verharmlosen oder davon abzulenken, wie es die griechischen Politiker samt ihrer Statistikabteilungen taten, konzentrieren sich die CDS-Besitzer darauf, heben sie das Pleiterisiko hervor, um die Risikoprämie, also den Preis der entsprechenden CDS zu stärken.

Zum Streit innerhalb der EU

Wollte Papandreou den Staatsbankrott verhindern, durfte die Kreditquelle nicht versiegen. Der Kapitalmarkt stand ihm nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, zur Gelddruckmaschine der EZB hatte er keinen direkten Zugang. Der öffentliche Kredit anderer Staaten war die einzige noch verlässliche Kreditquelle. Hier nun tobte ein Streit, der an der Oberfläche nationalistische Formen annahm, dem Inhalt nach ökonomisch war. Die Meinungen waren geteilt wie die dahinter stehenden Interessen. Die Gegner von Staatshilfen stützten sich juristisch auf die „No-bail-out-Klausel” aus Artikel 125 des Vertrags zur Währungsunion, worin die Haftung anderer Mitgliedsstaaten für Schulden eines Euro-Staates ausdrücklich ausgeschlossen wird.

„Wenn die Klausel verletzt wird, dann gibt es kein Halten mehr, warnte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. Weitere Kandidaten für Hilfen stünden vor der Tür. Helfen wir, ergänzte der Vorsitzende des Sachverständigenrats Wolfgang Franz, „dann müssen die Steuerzahler anderer Länder dafür aufkommen, dass Griechenland bewusst und jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat.” (4) Der freche Grieche soll für sein Leben in Saus und Braus büßen, heizte die Presse weiter an. Die Statue der Aphrodite, die einen „Stinkefinger” zeigt, dazu der Text „Betrüger in der Euro-Familie” waren ein deutscher Höhepunkt, worauf das Hakenkreuz an der Siegessäule („Finanznazitum bedroht Europa”) als ein griechischer Höhepunkt folgte.

„Die EU muss Griechenland retten, um einen Dominoeffekt zu verhindern”, sonst würden auch andere Staaten bald insolvent, meinten Hans Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts und Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Sie dachten dabei an die Staatsanleihen, die deutsche Banken und Versicherungen von Europas größten Risikoländern in ihren Depots haben. Griechenland mit seinen 300 Milliarden Euro Schulden ließe sich vielleicht noch verkraften, nicht aber, wenn die griechische Pleite spanische, portugiesische, italienische etc. Pleiten nach sich zöge.

Papandreou im Schuldenpoker

Solche möglichen Kettenreaktionen stärkten die Verhandlungsmacht Papandreous, die Kreditquellen anderer Länder für den griechischen Staat zu öffnen. Dies galt umso mehr, als die Stabilität der gesamten Eurozone davon abhing. Papandreous Reisen nach Luxemburg, Paris, Berlin und Washington standen ganz im Zeichen des Schuldenpokers. Zur Vorbereitung ließ er den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, nach Athen kommen. Die offen zur Schau gestellte herzliche Begegnung mit US-Präsident Obama diente den Euro-Staaten als Warnung, dass Griechenland auch anderweitige Hilfe in Anspruch nehmen könnte. Finanzhilfen bot der IWF an. Hätte Papandreou diese Hilfe in Anspruch genommen, würden die USA über den IWF unmittelbaren Einfluss auf die Euro-Zone erhalten. Mit dem Vorstoß zur Gründung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) wollte man diesen möglichen US-Einfluss zunächst verhindern. Ein Plan der Finanzminister der 16 Euro-Staaten brachte für den Fall einer griechischen Staatspleite bilaterale Hilfen ins Spiel. Schließlich verständigten sich die Regierungschefs auf einen Notfallplan, der als „Ultima Ratio” trotz aller Bedenken Finanzhilfen vom IWF und bilaterale Kredite vorsieht.

Ob der Schuldenpoker damit beendet ist, bleibt abzuwarten. Denn nicht nur Griechenland befindet sich im Strudel der öffentlichen Defizite. Seit einigen Wochen kursiert an den Finanzmärkten der Schimpfname „Pi(i)gs” für die vier oder fünf schwächsten Glieder der Währungsunion; das hässliche Akronym setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Portugal, Irland, (Italien), Griechenland und Spanien zusammen. Gerade erst hat die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit Portugals herabgestuft. Nun laufen Spekulationen in die Richtung, dass Portugal der nächste Krisenfall werden und ebenfalls auf den Bankrott zusteuern könnte.

Sparprogramme und Widerstand: “Krieg gegen den Krieg der Kapitalisten”

Die Vertrauenskrise, die 2008 Banken und Unternehmen betraf, richtet sich heute gegen Staaten. Wurde damals der private Kredit erschüttert, so hat die Vertrauenskrise nun den öffentlichen Kredit erreicht. Einen übergeordneten Retter gibt es jetzt nicht mehr. Ein Staatsbankrott kann allein dadurch abgewendet werden, indem andere Länder helfen. Aber je mehr sie dies tun, desto stärker werden sie selbst in den Strudel der Krise hineingezogen. Der Schuldenpoker um die griechische Staatsschuld zeigt, wie begrenzt inzwischen die internationale Solidarität der Staaten untereinander ist und mit welcher Geschwindigkeit die ökonomischen Gegensätze in nationale umschlagen.

Die politischen Akteure der Krise operieren allesamt auf kapitalistischem Boden. Einfache Lösungsmöglichkeiten, die über den Kapitalismus hinausweisen, kommen ihnen nicht nur nicht in den Sinn, sie tun alles, um dies zu verhindern. Einmal diesen Weg eingeschlagen, entstehen Notwendigkeiten, die aus dem kapitalistischen Lauf der Dinge hervorgehen. Griechenland bietet auch hierfür ein Muster.

Denn was hätte Papandreou anderes tun können, auf kapitalistischer Grundlage, als das, was er getan hat. Er musste den Staatsbankrott abwenden, der zu einem Zusammenbruch des griechischen Bankensystems, zu einer Erstarrung des gesamten kommerziellen Lebens und zu einer Handlungsunfähigkeit des Staates geführt hätte. Die gesamte kapitalistische Ordnung wäre ins Wanken geraten.

Und indem er alles daran setzte, genau diesen Staatsbankrott zu verhindern, musste er die verschiedenen Kapitalinteressen bedienen, von denen die Finanzen des Staates abhängen.

Zu aller erst galt es, die Finanzmärkte, also die verschiedenen in- und ausländischen Kreditgeber von der Kreditwürdigkeit des Staates zu überzeugen. Dies verlangte zu allererst eine drastische Senkung der ausufernden Neuverschuldung des Staates. Ebenso musste Papandreou den nach langem Tauziehen nun doch hilfsbereiten Staaten eine langfristige Lösung der griechischen Krise signalisieren. Diese Lösung konnte nicht darin liegen, das in Griechenland in Industrie- und Handel wirkende Kapital zu belasten. Vielmehr musste umgekehrt die Konkurrenzfähigkeit des griechischen Kapitals in der internationalen Konkurrenz gestärkt werden, um auf diese Weise durch eine beschleunigte Akkumulation die Steuerkraft zu erhöhen. So etwas ist nur möglich durch Effektivierung der Staatsverwaltung und vor allem durch eine drastische Herabsetzung der Löhne. All diese Anforderungen erfüllen seine Sparprogramme.

Das Haushaltsdefizit soll von 12,7% des Bruttoinlandsprodukts in 2009 auf 8,7% in 2010 und später auf unter 3% gedrückt werden. Der sich hinter solchen nackten Zahlen verbergende Angriff auf die breiten griechischen Massen ist so gewaltig, dass ihn Papandreou frühzeitig in einen „nationalen Überlebenskampf” ummünzte. „Das Volk ist um der Heimat willen zu Opfern, zu Lohnverzicht bereit”, rief er martialisch aus. (5) Zusätzlich zu den bereits im Januar beschlossenen Sozialeinschnitten im Volumen von 10 Milliarden Euro sollen weitere 4,8 Milliarden eingespart werden. Den 730.000 Staatsbediensteten kürzt die Regierung das 13. Monatsgehalt und das zu Weihnachten fällige 14. Gehalt jeweils um 30%. Die Zulagen – oftmals höher als das Grundgehalt – sinken um 12%. Solche Kürzungen haben Signalcharakter für entsprechende Lohnsenkungen in der Privatwirtschaft. Zudem werden die Renten eingefroren. Die realen Löhne und Sozialeinkommen sinken noch stärker, weil die Regierung zugleich eine Erhöhung preistreibender indirekter Steuern beschloss: Anhebung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21%, Steuern auf Benzin, Autos, Zigaretten und Alkohol.

Die griechischen Arbeiter und Erwerbslosen ließen sich von den nationalen Phrasen, unter denen Papandreou den Klassenkampf organisiert, nicht beeindrucken. Sie stellten sich mehr und mehr gegen die kapitalistische Nation. Massendemonstrationen und Massenstreiks, die bereits Ende 2008 einen ersten Höhepunkt hatten, danach immer wieder aufflammten, verstärkten sich angesichts solcher unverschämter Regierungsangriffe. Sie machten deutlich, dass der Generalangriff von Kapital und Staat zu einer Generalabrechnung mit dem ganzen kapitalistischen System führen muss. Zeitweise versetzten sie Griechenland in einen Ausnahmezustand. Auf Spruchbändern riefen sie zum “Krieg gegen den Krieg der Kapitalisten” auf.

Nicht nur Papandreou wirft den Untertanen den Fehdehandschuh hin. Regierungen anderer Länder bereiten vergleichbare „nationale Überlebenskämpfe” vor. (6) Die große Krise mit ihren großen Staatsinterventionen hat überall vergleichbare Haushaltslöcher gerissen, die durch „Klassenkampf von oben” gestopft werden sollen.

Die griechischen Ereignisse weisen uns die Zukunft.

Anmerkungen:

(1) Interview mit Papandreou in der FAZ vom 5.3.2010

(2)Das tut richtig weh, Frankfurter Rundschau vom 4.3.2010

(3) riechenland ist mit einem Anteil von 14% derzeit wichtigster Abnehmer deutscher Kriegswaffen. Allein der Großauftrag bei dem Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann für 170 Leopard-2A6-Kampfpanzer hat einen Gesamtwert von 1,7 Milliarden Euro. Dazu kommen Bestellungen über mehrere U-Boote mit einem Einzelwert von mehr als 400 Millionen Euro. (Waffenschmiede Deutschland, in Financial Times Deutschland vom 16.3.2010)

(4) FAZ vom 11.2.2010

(5) Tagesspiegel vom 2.3.2010

(6) Eine drastische Verschärfung der Klassenkämpfe beobachten wir nicht nur in den baltischen Ländern, in Ungarn und Griechenland, sondern auch in Portugal. Hier haben die Gewerkschaften „harten Widerstand” gegen den Sparplan der Regierung angekündigt. Bereits Mitte März legten streikende Arbeiter die Müllabfuhr, den öffentlichen Verkehr, Krankenhäuser und Schulen lahm. Auch in Portugal wird die Sparpolitik von einem sozialistischen Regierungschef, von Jose Socrates, organisiert, der vom Arbeitgeberchef Antonio Saraiva mit den Worten unterstützt wird: „Wir müssen Opfer bringen”. Damit meint er die Lohnabhängigen und Erwerbslosen Portugals, denen unter dem „Wir” die Lohnkürzungen als nationale Aufgabe schmackhaft gemacht werden sollen.

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