Greatest of all – Die Wölfinnen blicken auf das erfolgreichste Jahr der Vereinsgeschichte zurück

© VfL Wolfsburg

Zwölf Tage im Mai

Den ultimativen Gipfel bildeten jene unvergessenen zwölf Tage im Mai. Zwölf Tage, in denen man das Triple, bestehend aus Deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal-Sieg und der Champions-League-Trophäe, holte. Auch in der neuen Saison aber fanden die Grün-Weißen sehr schnell in die gewohnte Erfolgsspur zurück. Schon Anfang des Jahres standen die Wölfinnen seit dem vierten Spieltag 2012/2013 auf dem ersten Rang, waren jeweils im Viertelfinale des DFB-Pokals und der Champions League vertreten. Eine englische Woche folgte der nächsten. „Wir standen so gut da wie nie zuvor. Wir hatten die Möglichkeit, drei Titel zu holen. Aber einer musste es sein. Ich habe immer betont, dass die Meisterschaft mir am wichtigsten sei“, blickt Cheftrainer Ralf Kellermann auf die ereignisreichen Wochen zurück. Die Wölfinnen flogen zwar im laufenden DFB-Pokal gegen den wiedererstarkten und titelhungrigen Rekordmeister 1. FFC Frankfurt heraus, im Rückblick des Jahres kann aber diese Begebenheit nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Spielerinnen aus Wolfsburg waren, die im Herzen von London  das Ansehen des deutschen Vereinsfußball der Frauen enorm noch oben katapultiert haben.

Das Highlight

Gerade in diesen Tagen und letzten Wochen des Jahres zeigen etliche Transfers ausländischer Spielerinnen nach Deutschland, wie hoch die Attraktivität des Vereinsfußballs in der Bundesliga gestiegen ist. Im Vorfeld des Londoner Champions League Finale hatten die englischen Buchmacher Olympique Lyon (OL) als haushohen Favorit gehandelt. Die Wetter täuschten sich, der Titelverteidiger  verlor an der Stamford Bridge im Stadtteil Fulham gegen seinen Herausforderer VfL Wolfsburg  überraschend mit 0:1 (0:0) Toren und die Krone der europäischen Königsklasse. Enttäuscht reagierte "Europas Big Playerin" Lotta Schelin, Schwedens Nationalspielerin, seit Jahren eine dominante Größe im Lyoner Sturm, seit dem Mobcast-Cup 2012 im japanischen Saitama auch amtierende Weltpokalsiegerin der Vereinsmannschaften: „Dies war nur ein Spiel für heute, es war nicht unser Tag. Die deutsche Mannschaft hat uns gut studiert, wir hatten nicht viele Räume. Ich dachte aber nach der ersten Halbzeit, dass wir gewinnen würden.”

Favoritenstürze

Damals konnte sie noch nicht ahnen, dass Monate später zu Hause im Gerland Stadion in Lyon eine zweite deutsche Mannschaft mit Turbine Potsdam Olympique Lyon (OL) das Fürchten lernte und aus der Champions League 2013/2014  frühzeitig aus dem Wettbewerb warf. Sicher eine Aussage, die nach dem relativ einseitigen Spielverlauf in der ersten Halbzeit zu Gunsten der Französinnen plausibel schien. Nur der fünf Tage zuvor gekürte deutsche Meister hielt dagegen, störte den gewohnten Spielrhythmus der technisch perfekten Französinnen. Den tief gestaffelt stehenden Frauen des VfL Wolfsburg gelang in der guten Stube des FC Chelsea mit ihrem 1:0 (0:0) Sieg der dritte Titelgewinn in der laufenden Saison  – ein Wechselbad grandioser Favoritenstürze im Zeitraffer von nur elf Tagen. Debütant VfL Wolfsburg steht damit in den Fußstapfen von Rekordmeister 1.FFC Frankfurt, der im Zenit 2004 und vier Jahre später 2008 den so begehrten Triple gewann.

Seelenrettung

Wolfsburg gelang als Paukenschlag für das Jahr der UEFA Europameisterschaften 2013 in Schweden das Triple. Der spezifische Ausdruck Triple (aus dem Englischen für  dreifach, jedoch dort Treble) bezeichnet den dreifachen zeitnahen Erfolg in nationaler Meisterschaft, nationalem Pokal und der Krone der europäischer Königsklasse in der Champions League. Nach dem zweimaligen Titelgewinn in Folge von Olympique Lyon über die unterlegenden Spitzenteams aus Potsdam (2011) und Frankfurt (2012) retteten die Newcomerinnen aus der niedersächsischen Autostadt in der angelsächsischen Metropole die deutsche Seele in Europas Landschaft des Frauenfußballs. Die seit zwei Jahren scheinbar vorherrschende Hegemonie der Französinnen schien spürbar gestoppt. „Nach Sieg in Meisterschaft und Pokal dachte ich, dass wäre das Allergrößte. Aber es gibt noch einen allerallergrößten Erfolg“,  fabulierte nach der Siegerehrung der glücklich strahlende VfL-Geschäftsführer Thomas Röttgermann.

Um so herzlicher

Seine glamourösen Kämpferinnen aus dem niedersächsischen Urstromtal des Flusses Aller, dem Zentrum zwischen Mittellandkanal, der Autobahnstrecke von Berlin nach Hannover, Eisenbahnverbindung Berlin / Ruhrgebiet und der Industriestadt Salzgitter sowie der Welfenstadt Braunschweig präsentierten sich bei ihrem Coup in Britanniens Königreich in topfitter Manier. Waren es nicht die Nachfahren der Braunschweiger Welfenkönige  aus dem Geschlecht des Urvaters Heinrich der Löwe, die die deutsche Königsdynastie „Haus von Hannover“ begründeten und dem “House of Stuart” 1714 als deutsch-britisches “House of Hanover” und Könige von Großbritannien folgten. Zwar gratulierte vor Ort an der Stamford Brigde den „königlichen Wölfinnen“ aus dem Allerpark kein Mitglied der britischen Royals, aber Wolfsburgs mitgereister seit Anfang 2012 im Amt befindlicher Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD), gelernter Diplom-Pädagoge und ehemaliger Leiter des städtischen Jugendamtes, dafür um so herzlicher.

Im Stillen geträumt

Die “Allergrößten” – the Greatest of All – zu sein, davon hatten sie bisher nur im Stillen geträumt die jubelnden Frauen um ihrer führungsstarken „Leitwölfin“ –  der kampferprobten Südpfälzerin Nadine Keßler. Die französischen Gegnerinnen schienen sichtlich geschockt. Die gebürtige Nordfranzösin, die dreiundzwanzigjährige Nationalspielerin Amandine Henry aus Lille mit der symbolträchtigen Rückennummer Sechs brachte es auf den Punkt, als sie spontan beim vis-í -vis in der Mixed-Zone die urplötzlich entstandene  prekäre Situation der sportlich besiegten Favoritinnen beschrieb: „Jeder hat uns die Favoritenrolle zugeschoben und das hat uns nicht gut getan. Wir waren heute vor dem Tor ganz einfach zu harmlos. Noch dazu hatten wir heute einen richtig starken Gegner. Wir sind sehr enttäuscht. Wir wollten unbedingt gewinnen und haben uns schon die ganze Saison auf dieses Spiel gefreut. Ein Spiel zu dominieren heißt aber nicht automatisch, ein Spiel zu gewinnen. Wir waren vor dem Tor zu schwach und dafür haben wir bezahlen müssen.”

Regentschaft Aulas

Präsident Jean-Michel Aulas, Gründer und Manager der Cegid SA, einer börsennotierten Lyoner Softwareschmiede für Management-Software,  Wettbewerber des SAP Konzern von Dietmar Hopp, dem Mäzen der TSG 1899 Hoffenheim, charakterisierte ergänzend Lyons „Waterloo“ beim Presse-Talk in den Stadion-Katakomben:  „Es herrscht große Traurigkeit, denn es gab nicht viel Unterschied zwischen beiden Teams. Der deutsche Fußball ist auf einer Wolke. Es war ein großer Wunsch der Deutschen, einen Sieg zu machen. Das ist Fußball.’ Fußball-Finanzstratege Aulas, der während seiner Regentschaft den Verein Olympique Lyonnais als Wirtschaftsunternehmen an die Börse gebracht hatte, analysierte weiter: „Wir müssen erkennen: es war ein verdienter Sieg für den Gegner. Olympique Lyonnais war ein wenig müde von diesem Spiel. Lyons Team zeigte diesmal nicht die übliche Dynamik, vielleicht lag es auch am engen internationalen Terminkalender.“

Imagegewinn

Für Vereinspräsident Jean-Michel Aulas steht fest, dass feminine Champions League Gewinne bei Aktionären und Sponsoren emotional besser ankommen als oft vergeblicher Siegeswille seiner Männermannschaft. Zudem sind das charmante Lächeln einer Camille Abily oder einer Louisa Nécib sicher ein nicht zu unterschätzenden Imagegewinn für das Marketing des Gesamtvereines. Patrice Lair, der Trainer Olympique Lyonnais, nahm kein Blatt vor dem Mund als er feststellte:  “Wir sind sehr enttäuscht, das ist immer der Fall, wenn man verliert, auch wenn uns das nicht oft passiert. Wir haben heute nicht getan, was wir tun mussten. Wir waren nicht effektiv genug und haben nicht genug Druck erzeugt. Am Ende haben sie das Tor gemacht. Ich kann meine Spielerinnen nicht kritisieren, uns hat einfach im Schlussdrittel ein bisschen was gefehlt, wir hätten unsere Füße einfach etwas besser an den Ball bekommen müssen.“

Wenn man nicht trifft

„Einige Spielerinnen haben nicht ihre gewohnte Leistung gezeigt, aber das kann passieren. Sie haben mir über eine so lange Zeit so viel gegeben, ich kann ihnen keine Vorwürfe machen. Wir haben das Tempo erhöht, aber das reicht nicht, wenn man seine Chancen nicht verwertet. Wir sind ins Spiel zurückgekommen (in den letzten 15 Minuten der ersten Halbzeit), Amandine Henry hätte nach einer Ecke ein Tor erzielen können, deswegen habe ich mir zur Halbzeit noch keine Sorgen gemacht. Aber wenn man nicht trifft, kann man bestraft werden. Dann gab es das Handspiel und wir wurden bestraft. Wir haben alles versucht, manchmal klappt es, manchmal nicht. Wir haben nicht genug Spielerinnen in den Strafraum bekommen, das ist normalerweise eine unserer großen Stärken. Ich will keine Entschuldigungen suchen, wir haben einfach nicht so gespielt, wie wir können.“

Und wie es ausging

„Ich war für zweieinhalb Jahre ein Gott, nach dieser Niederlage bin ich vielleicht ein Idiot,“ so selbstkritisch Blair bei seiner Analyse während der Pressekonferenz vor internationalen Journalisten, auch ein großes Kontingent japanischer Medienvertreter war anwesend – übrigens ein Zeichen dafür, dass der Frauenfußball im Fernen Osten immer populärer wird. Faktisch waren die femininen Champions aus Lyon in die taktische Falle von Wolfsburgs Cheftrainer Ralf Kellermann geschlittert, der es nicht nur an diesem Tag meisterhaft verstand, die Schwachstellen des gegnerischen Spielsystems zu erkennen, dessen Stärken zu analysieren und die nach wie vor spielstärkste Vereinsmannschaft der Welt nicht zum gewohnten Spielfluss kommen zu lassen. Und wie das ausging, ist nicht nur den Fans der Grün-Weißen noch gut im Gedächtnis: 74. Minute. Handelfmeter. Martina Müller tritt an. Schießt – und trifft.

Fußballerin des Jahres

Nicht nur dass die 33-Jährige im bedeutendsten Spiel der VfL-Frauen-Geschichte die Siegtorschützin war: Das Fachmagazin kicker adelte sie zudem als Fußballerin des Jahres 2013. Auch Lena Goeßling bekam eine Zusatzauszeichnung, wurde im Oktober mit dem zweiten Platz bei der Wahl zu Europas Fußballerin des Jahres geehrt. Und das, nachdem sie gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen Nadine Keßler, Josephine Henning und Luisa Wensing sowie Neu-Wölfin Almuth Schult mit der Nationalmannschaft den Europameistertitel in Schweden gewonnen hatte. Urlaub und Erholung waren demnach kein großes Thema, ging es nur kurze Zeit später doch schon wieder ins Trainingslager an den Walchsee mit dem VfL.

Ansprüche gewachsen

Von dort aus machten die Wölfinnen einen kleinen Stopp in Calais und traten beim „Ladies First Cup“ an, bei dem die Kellermann-Elf zunächst den FC Barcelona und dann Paris Saint-Germain besiegte. Der nächste Titel. Gestärkt und gut vorbereitet folgte am 7. September der Bundesligastart 2013/2014. Der FC Bayern München stellte sich vor gut 8.000 (!) VfL-Fans am Elsterweg vor. Eine Mannschaft, die es den Wölfinnen schon in der vergangenen Spielzeit nicht einfach gemacht hatte. Einem 1:1 im Auftaktspiel folgte ebenfalls ein Unentschieden gegen Jena und damit ein nicht ganz optimaler Start. „Speziell das zweite Remis war sicherlich enttäuschend“, so Ralf Kellermann, „aber wir haben versucht, die Ruhe zu bewahren. Natürlich sind die Ansprüche an das Team und an uns gewachsen. Das ist auch normal bei den Erfolgen“

Richtige Worte

In dieser Phase seien es vor allem die Führungsspielerinnen gewesen, die einem möglicherweise entstehenden Kopfproblem entgegengewirkt hätten. Die Partie gegen Jena sei ein gutes Beispiel gewesen, erläutert Kellermann. „Das Spiel war vorbei, Nadine Keßler als Kapitänin holte die Mannschaft noch einmal zusammen. Dabei scheint sie genau die richtigen Worte gefunden zu haben.“ Bereits in der nächsten Partie gegen Aufsteiger Sindelfingen folgte die richtige Reaktion in Form eines deutlichen 8:1-Heimerfolgs. Fünf Siege aus fünf Begegnungen gegen Duisburg, Hoffenheim, Leverkusen, Essen und Freiburg schlossen sich an. Bei Titel-Konkurrent Potsdam gab es ein achtbares 1:1-Remis. Aus der Bundesliga-Hinrunde wurde somit doch noch eine Erfolgsgeschichte: Die Grün-Weißen sind aktuell Zweiter bei stattlichen 21 Punkten und haben noch keine Begegnung verloren.

Ordentliche Halbserie

Im engen Rennen um die erneute Qualifikation für die Königsklasse sind sie damit bestens positioniert. Einziger echter Wermutstropfen der Hinserie blieb das Scheitern im DFB-Pokal beim 1. FFC Frankfurt. Umso souveräner demgegenüber die erneut starken Auftritte im Europapokal. Nach Kantersiegen gegen den achtfachen estnischen Meister Pärnu JK und dem Gewinn beider Partien gegen Malmö konnte der Titelverteidiger auch in seiner zweiten Saison in der Champions League souverän überwintern. Um im Viertelfinale nun auf einen alten Bekannten aus dem Sommer zu treffen: den FC Barcelona. „Insgesamt war es damit eine sehr ordentliche Halbserie“, bilanziert Kellermann und blickt entsprechend zufrieden nach vorn.

Wunsch für 2014

„Entscheidend ist es, diesen Weg nun weiterzugehen, unser Stammpublikum weiter auszubauen und die Aufmerksamkeit in den Medien zu halten, die wir in den letzten Wochen und Monaten erreicht haben. Und es kommt mir darauf an, dass die Mannschaft sich weiterentwickelt.“ Einen großen Wunsch für 2014 formuliert der Cheftrainer an dieser Stelle gleich mit: „Wenn wir in unserem neuen VfL-Stadion im Allerpark im nächsten Jahr Champions League spielen, dann war das eine mehr als erfolgreiche Saison.“

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