Gotteslob und Liebesschmerz – Vokalmusik Salomone Rossis im Bahnhof Rolandseck

Profeti della Quinta © Susanna Drescher

Prägend für Rossis Schaffen ist seine Verwurzelung im jüdischen Glauben. Dazu sein Anspruch, die Synagogenmusik seiner Zeit zu reformieren und die biblischen Psalmen erstmals polyphon zu vertonen. Damals sicherlich schon dasselbe intensive Klangerlebnis wie heute, wenn in hebräischem Wortlaut das überschwängliche Gotteslob des 100. Psalms erschallt.

Eindringliche Psalmen-Polyphonie

Als Meister ihres Fachs öffnen die fünf Vokalsolisten die Schatztruhe des Abends. Unter ihnen zwei Countertenöre (Doron Schleifer, David Feldman), zwei Tenöre (Lior Leibovici, Dan Dunkelblum) und ein Bass (Elam Rotem). Allesamt verfügen sie über ein ungewöhnlich breit gefächertes Spektrum des musikalischen Ausdrucks. Mit Ursprung im nordisraelischen Galiläa, verfeinerten sie ihre Kunst in Basel an der Schola Basiliensis, der legendären Talentschmiede Alter Musik in der Schweiz.

Unglaublich anrührend ihre Interpretation von Psalm 80, in der sie göttlichen Trost geradezu herbei flehen. Und einfühlsam das jähe Hinüberwechseln von Trauer zur Freude in Psalm 126, wenn Gott die Gefangenen Zions erlösen wird und der tränenreichen Saat eine freudenvolle Ernte folgen lässt. Liegt die Eindringlichkeit dieses Musikerlebnisses nicht  gerade in der Ungewöhnlichkeit dieses Männerstimmen-Klangkörpers begründet, der teils noch durch Theorbe (Ori Harmelin) und Cembalo (Elam Rotem) unterstützt wird?

Musikalischer Liebestaumel

Wie sich schnell herausstellt, liegen in der Schatzkiste des Abends das Heilige und das Profane eng beieinander. Eine Eigentümlichkeit Rossis, der sich nicht scheute, auch die Renaissance-Liebeslyrik von Ottavio Rinuccini, Giambattista Marino oder Livio Celiano aufzugreifen und sie musikalisch zu überhöhen. Hier wird geliebt und gelitten im Überschwang der Begeisterung oder unter den Qualen des Abschiedsschmerzes – himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.

Liebestaumel bis hin zum Gedanken der Selbstaufopferung. So in dem Lied von Giambattista Guarini, in dem die „innigen Seufzer“ die Schmerzgrenze schon fast überschreiten. Begleitet von der Theorbe verleiht Countertenor Doron Schleifer dieser Gefühlslage hingebungsvoll Ausdruck in einer unglaublichen emotionalen Einfühlsamkeit und stimmlichen Virtuosität. Einer der Höhepunkte des Abends.

Abend wie im Rausch

Denen zuzuordnen sind auch die beiden Passagen aus dem Hohen Lied, in denen Bibeltradition und Liebesüberschwang sich miteinander vereinigen. Diesmal entstammt die Musik ausnahmsweise nicht der Feder von Salomone Rossi. Vielmehr hat es sich der Leiter der Gesangsgruppe, der Bassist Elam Rotem, zur Aufgabe gemacht, kompositorisch dessen musikalischem Vorbild nachzufolgen.

Mit dem Erfolg, dass die beiden alttestamentlichen Liebestexte in ihrer neuen Vertonung Rossis Werk perfekt ergänzen: vierstimmig der Lobpreis des Jünglings (Hohelied 4, 1-7) oder in der Besetzung zweier Countertenöre  die Reflexion des Mädchens (Hohelied 1, 5-7). Ein Abend wie im Rausch, bei dem sich das Publikum, trotz der stimmlichen Beanspruchung der Interpreten, noch eine Zugabe erklatschte.

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