Frauenpower – Symposium zu Geschlechterrollen in der neuen Dramatik und Neues von Rebekka Kricheldorf bei den Autorentheatertagen im Deutschen Theater

"Die lange Nacht der Autoren" - Ausschnitt eines Screenshots der Autorentheatertage Berlin 2013 auf Facebook, 2013-06-20. © WELTEXPRESS

Vom 3. bis 15. Juni fanden 51 Veranstaltungen im Deutschen Theater statt, darunter 23 kostenlose Beiprogramme. Von den fünfzehn Stücken im Gastspielprogramm der Autorentheatertage wurden zehn von Frauen verfasst, und auch zwei der drei neuen Stücke, die Sigrid Löffler ausgewählt hat, wurden von Frauen geschrieben. „Die Frauen übernehmen langsam aber sicher die führende Rolle in der Gegenwartsdramatik“, konstatierte Intendant Ulrich Khuon und erwog: „Jetzt müsste man das Festival eigentlich in Autorinnentheatertage umbenennen.“

So weit ist es – noch – nicht gekommen, und auch die Gespräche mit einzelnen Autorinnen wurden immer noch als Autorengespräche angekündigt, aber es gab ein Symposium mit dem Titel „10:5 + 2:1 + SUPER 1“, der auf die weiblichen Anteile verweist. Die SUPER 1 steht für die österreichische Publizistin, Kulturkorrespondentin und Literaturkritikerin Sigrid Löffler.

Trotz des schönen Wetters waren am Sonntag Vormittag zahlreiche Besucherinnen und auch einige Besucher erschienen, um vier Stunden mit Vorträgen, Performances und Diskussionen zum Thema „Geschlechterrollen in der neuen Dramatik“ zu erleben. Die Veranstaltung, moderiert von Sonja Anders, Chefdramaturgin am DT, war eine Kooperation der Autorentheatertage mit dem Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Doris Polesch, Professorin für Theaterwissenschaft an der FU, gab eine visuelle Einführung mit einem fotografischen Kommentar zur Sicherheit der Familie, wobei die Künstlerin Gillian Wearing in kunstvollen Masken als ihr Vater, Großvater ebenso wie als ihre Mutter und Großmutter und auch in unterschiedlichen Erscheinungsformen ihrer eigenen Person posiert.

Aus aktuellem Anlass wurde auch die Einführung des generischen Femininums in der Grundordnung der Universität Leipzig thematisiert. Dort soll für alle Beschäftigten die weibliche Bezeichnung gelten. Diese interne Regelung an einer einzigen Universität löste einen Sturm der Entrüstung in der überregionalen Presse aus. Dass die Professoren in Jena nun Professorinnen genannt werden sollen, führte zu wütenden Protesten und hämischen Kommentaren, als seien die heiligsten Werte des Abendlandes in Gefahr.

Während Doris Polesch den Beschluss der Universität Jena, der sprachlicher Vereinfachung dienen soll und Frauen in der Sprache sichtbar macht, positiv wertete, bemerkte Sigrid Löffler dazu, dies sei nur schick und koste nichts.

In einem kurzen, geistreich pointierten Referat erklärte Sigrid Löffler bezüglich der gesellschaftlichen Integration von Frauen, es seien zweifellos Fortschritte zu verzeichnen, auch wenn es sich meistens um zwei Schritte vor und einen Schritt zurück, wenn nicht gar um nur einen Schritt vor und zwei Schritte zurück handle. Löffler verteilte Seitenhiebe auf die Frauenvermarktung von Heidi Klum, stellte Präsentation und Zielsetzung der Femen in Frage, bemängelte die fehlende Frauenpolitik der Bundeskanzlerin und rügte die Bezeichnung „Alphamädchen“ in Bezug auf die jungen Autorinnen bei den Autorentheatertagen.

Allerdings war in der Ankündigung des Symposiums die, seit einigen Jahren in Mode gekommene, auf Zoologie und Jugendwahn verweisende, Wortschöpfung lediglich in einer Fragestellung verwendet worden, die auf die Möglich- oder Unmöglichkeit verwies, zunehmend weibliches Schreiben in der neuen Dramatik zu entdecken. Von der Presse jedoch war das Unwort begierig aufgegriffen worden.

Was weibliches Schreiben eigentlich sei, wurde im Symposium nicht geklärt. Dazu müssten wohl auch die Kriterien des männlichen Schreibens definiert werden. Außerdem ging es in der Veranstaltung nicht um erneute Festschreibung überkommener Geschlechterrollen, sondern um deren Veränderung oder Auflösung.  Hierzu hielt die Theaterwissenschaftlerin Jenny Schrödl einen Vortrag, in dem sie auch auf das Phänomen männlicher Nacktheit einging, das seit der Jahrtausendwende in vielen Inszenierungen zu erleben ist.

Aus der Perspektive einer Schauspielerin plauderte Vanessa Stern, die kurzfristig für die erkrankte Melanie Hinz eingesprungen war. Vanessa Stern, fünf Jahre als Schauspielerin am Schauspiel Köln engagiert, arbeitet seit 2007 als freie Performerin in Berlin. Sie gab Einblicke in ihre Produktion „Das Kapital der Tränen“, die 2012 in den Sophiensaelen Premiere hatte. Darin gesammelt sind all die Heulszenen, die in klassischen Frauenrollen gestaltet werden müssen. Gemeinsam mit ebenfalls einschlägig erfahrenen Kolleginnen hat Vanessa Stern dieses Tränenkapital an öffentliche Orte getragen, auf Straßen, in Restaurants oder Supermärkten herzzerreißend geheult und damit verblüffende Reaktionen hervorgerufen.

Außerdem berichtete Vanessa Stern über ihre Erfahrungen mit einem Regisseur, der sie in einer Ibsen-Inszenierung zu seltsamen und demütigenden Verrenkungen veranlasst hatte.

Die Interpretation der Stücke von Dramatikerinnen oder Dramatikern übernehmen, häufig sehr eigenmächtig, die RegisseurInnen. Diese Machtposition ist noch immer vorrangig von Männern besetzt. Beim Gastspielprogramm der diesjährigen Autorentheatertage waren zehn Stücke von Regisseuren und fünf von Regisseurinnen inszeniert.

Nicht glücklich mit seinem Auftritt war offenbar der DT-Schauspieler Helmut Mooshammer. Bei der Programm-Präsentation der Autorentheatertage 2012, im Rahmen eines Früh-Stücks, hatte Mooshammer, brillant und mit viel Erfolg, kleine Ausschnitte aus Elfriedes Jelineks Stück „Faust 1-3 / FaustIn and out“ sowie einige E-Mails der Nobelpreisträgerin zu Gehör gebracht.

Im Symposium hätte Helmut Mooshammer in Kostüm und Maske als Elfriede Jelinek auftreten sollen, erschien jedoch ohne Verkleidung. Er brachte die Jelinek-Perücke auf einem Holzkopf mit und zwei Fotos, auf denen Mooshammer, wie er meinte, eher dem Vater in „Wickie und die starken Männer“ als der Dichterin gleiche, erklärte seinen Unmut darüber, dass er in der Presse als „Quoten-Mann“ bezeichnet worden war und polemisierte gegen den Feminisierungs-Beschluss der Universität Leipzig.

Das scheinbare Erscheinen der menschenscheuen Jelinek wäre vermutlich ein bemerkenswertes Ereignis gewesen, und Elfriede Jelineks Text „Frauenraum“, den Helmut Mooshammer verlas, hätte, eingebettet in eine Queer-Inszenierung, einen Bezug zum Symposium gehabt.

Zum Abschluss gab es eine Podiumsdiskussion mit den Autorinnen von drei zu den Autorentheatern eingeladenen Gastspielen: Anne Habermehl, Azar Mortazavi und Laura Naumann. Alle drei haben starke Frauengestalten ins Zentrum ihrer neuen Stücke gestellt.

Anne Habermehl und Azar Mortazavi bezeichneten dies als eher zufällig und erklärten, sie dächten über eine spezielle Frauenrollengestaltung nicht nach und könnten in unserer Gesellschaft auch keine nennenswerten Benachteiligungen für Frauen entdecken. Laura Naumann setzte dagegen, dass sie sehr wohl über die Gestaltung von Frauenrollen nachdenke, nachdem sie von einer Schauspielerin gebeten worden sei, nicht nur für Männer gute Rollen zu schreiben und gab zu bedenken, dass in einem Land, in dem erst kürzlich eine große Zahl von Zwangsprostituierten entdeckt wurde, über die Situation von Frauen nachgedacht werden müsse.

Andererseits kann es, gerade im Hinblick auf die Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen, für Autorinnen auch ebenso reizvoll wie notwendig sein, sich in einen Mann hineinzudenken oder männliche Rollenklischees zu entlarven.

Letzteres hat Rebekka Kricheldorf in ihrer schwarzen Parabel „Testosteron“ getan, die, als Gastspiel des Staatstheaters Kassel, in den Kammerspielen zu erleben war.

Rebekka Kricheldorf, 2010 mit dem Kasseler Förderpreis für Komische Literatur ausgezeichnet und 2011 mit zwei Stücken bei den Autorentheatertagen in Berlin vertreten, hat inzwischen auch ein Auftragsstück für das Deutsche Theater geschrieben, „Alltag und Ekstase“, das im Januar 2014 in den Kammerspielen uraufgeführt wird.

Nach ihrer Schneeweißchen- und- Rosenrot-Persiflage „Rosa und Blanca“, hat Rebekka Kricheldorf sich nun des Grimmschen Märchens „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ angenommen. Entstanden ist ein Stück über Männer und ihre Werte, über das Gute und das Böse und weitere Fragen der Ethik und der Moral.

Im Mittelpunkt stehen zwei Brüder: Ingo und Raul Klemmer. Ingo ist ein erfolgreicher Arzt und verantwortungsvoller Gutmensch, edel aber nicht tapfer, sondern zerfressen von Ängsten. Er ist der gute Sohn des Patriarchen Dr. Fabian Klemmer und wohnt mit ihm zusammen im guten Viertel der Stadt. Das Haus ist ausgestattet mit unzähligen Überwachungskameras und abgeschottet gegen die Außenwelt. Die Einrichtung zeugt von Wohlstand und Traditionsbewusstsein. Über den Fernsehschirm laufen beunruhigende Nachrichten über Unruhen und Gewalttaten im schlechten Viertel.

Bühnenbildnerin Ulrike Obermüller, auch für die Kostüme zuständig, hat einen hinreißend scheußlichen Wohnraum, mit viel Leder und Edelholz, geschaffen und ihn mit einem protzigen Goldrahmen umgeben.

Der böse Raul, von Vater und Bruder verstoßen, war bei der Fremdenlegion und lebt nun als Auftragskiller im schlechten Viertel. Raul fürchtet sich vor nichts, weil er, aufgrund einer Empathiestörung, nichts empfinden kann.

Turbulent wird es, als „Das gefallene Mädchen“ Silvana, dessen Ausstieg aus der Prostitution Patriarch Klemmer und Sohn Ingo mit ihrem Spendenprojekt ermöglicht haben, auf der Flucht vor seinem Zuhälter bei den guten Klemmers auftaucht. Bald darauf erscheint auch Slatko, der Zuhälter, der sein Eigentum zurückfordert.

Die Sicherheit des Klemmerschen Hauses erweist sich als trügerisch, denn Eindringlinge kommen ungehindert durch die Schränke herein. Zwischen den Klemmers und Slatko entspinnt sich eine Debatte über ethische Werte, und schließlich entführt Slatko Ingos Verlobte, „Die Seelsorgerin“ Dr. Ingeborg Rieger, die nicht Pastorin, sondern Psychotherapeutin ist.

Selbstverständlich ist der furchtsame Ingo nicht fähig, Ingeborg zurückzuholen. Ihm bleibt also nichts anderes übrig, als seinen verhassten Bruder um Hilfe zu bitten. Raul macht sich ins, ihm bis dahin unbekannte, ganz schlechte Viertel auf und kehrt siegreich mit der verstörten Ingeborg zurück.

Nach diesem Einbruch des bedrohlich Unbekannten, erscheint den Guten ihr bisheriges Leben auf einmal langweilig. Der Patriarch entschwindet mit Silvana und Ingeborg folgt Raul ins schlechte Viertel. Dabei lernt Raul das Fürchten, denn auf einmal empfindet er Liebe.

Am Ende ist aber Alles wieder gut. Die Bösen sind tot, die Guten wieder daheim und Ingeborg und Ingo heiraten mit dem Segen des Patriarchen. Ganz aus der Welt ist das Böse jedoch nicht, denn das Kind, das Ingeborg erwartet, könnte von Raul sein.

Rebekka Kricheldorf hat das Stück in gebundener Sprache geschrieben, die das Märchenhafte herausstellt. In der temporeichen Inszenierung von Schirin Khodadadian jongliert das Kasseler Ensemble brillant mit Worten, agiert kontrastreich im Wechsel von steifer Förmlichkeit und Rasanz und lässt, bei allem Amüsement, den gesellschaftskritischen Kern in Rebekka Kricheldorfs Satire auf modernes Spießertum deutlich werden.

Vorheriger ArtikelUnesco: Syriens Welterbestätten bedroht
Nächster ArtikelMan of Steel (USA, 2013) – Alte Story, neuer Glanz