Fragwürdiges Feindbild – RB Leipzigs Aufstieg von Neid und falschen Vorwürfen begleitet

© Foto: Andreas Hagemoser, 2016

Berlin, Leipzig, Deutschland (Weltexpress). Dass Fußball-Fans, speziell in ihrer Ultra-Ausprägung, oft eine eingeschränkte Sicht auf das Geschehen rund um das runde Leder haben, dürfte sich am Mittwoch bestätigen. Da haben die Borussen aus Mönchengladbach in der Bundesliga beim Aufsteiger Rasen-Ballsport (RB) Leipzig anzutreten. 5000 Borussen-Anhänger haben auf den Anreise-Boykott verzichtet, wollen aber das Spiel mit einem 19-minütigem Schweige-Protest beginnen…

Weil RB Leipzig ein Kunstprodukt des Fußballs sei, einzig und allein aus Werbezwecken vom österreichischen Red Bull-Milliardär Mateschitz ins Leben gerufen. Und natürlich mit den Traditionsvereinen nicht zu vergleichen sei.

Ähnliches haben die Ultras des Vizemeisters Borussia Dortmund ins Feld geführt und gar einen „Heiligen Fußball-Krieg“ gegen Rote Brause Leipzig ausgerufen. Der wurde aber vom Champions League-Starter Dortmund beim Gastspiel in Sachsen beinahe sensationell 0:1 verloren.
Etwas weniger großspurig waren dann die Protestaufrufe der HSV-Anhänger vor dem RB-Auftritt beim Bundesliga-Dino. Begründet, denn Hamburg wurde im eigenen Stadion 0:4 geradezu vorgeführt.

Kein Wettbewerbsvorteil durch Mateschitz-Millionen

Das Feindbild RB Leipzig begleitet das Projekt seit der Übernahme des Startrechts 2009 vom Fünftligisten SSV Markranstädt. Unter Regie des Stuttgarter Trainers Rolf Rangnick kletterte die Mannschaft kontinuierlich nach oben und schaffte nun den angestrebten Aufstieg in ein der stärksten Ligen Europas. Konzept-Geber Rangnick hat als Trainer den Österreicher Ralph Hasenhütl geholt und bleibt der sportliche Geschäftsführer.
Die zwei Hauptvorwürfe der Fan-Gruppierungen, überwiegend medial unkritisch aufgenommen oder gar unterstützt, richten sich gegen den Hauptfinanzier Mateschitz und dessen Motive sowie gegen das Entstehen eines „Plastik-Vereins“ mit Wettbewerbsvorteilen gegen „Traditionsvereine“.

Dass Mateschitz seit je her ein ausgeprägtes Sportsponsoring betreibt – siehe Formel 1 und den Fußball-Verein Red Bull Salzburg/Eishockey München – wird außer Acht gelassen.

Und bei Leipzig derzeit eine finanzielle Abhängigkeit von Mateschitz besteht, wird von der Konkurrenz von Hamburg bis Dortmund vorwurfsvoll oder auch neidisch betrachtet.

Allerdings sind solche Abhängigkeiten von Mäzenen mit Patriarch-Allüren (die gibt es bei Red Bull nicht) oder Großfirmen gang und gäbe in der Bundesliga. Milliardär Hopp bei Hoffenheim, Fleisch-Millionär Tönnies und Gazprom bei Schalke 04, Immobilien-Milliardär Kühne beim HSV, die VW-Werke in Wolfsburg, Bayer in Leverkusen, Audi in Ingolstadt, das Großkonzernen-Konglomerat beim Rekord-Dauermeister und Profitkrösus Bayern München…

Rund 50 Millionen Euro habe RB für Neuverpflichtungen ausgeben dürfen, wird empört verkündet. Sicher kein Vorteil gegenüber Dortmund beispielsweise, wo man mehr als 100 Millionen investierte. Die Borussen sind vor einiger Zeit haarscharf an einer Pleite vorbeigeschlittert, haben die Fußball-Abteilung als AG ausgelagert und haben sich durch den Börsengang und solides Wirtschaften konsolidiert. Ein Konstrukt der Gegenwart, was wenig mit Traditionen gemein hat.

Leipzigs Aufstieg und Erfolg ist nicht durch finanzielle Wettbewerbsvorteile zu erklären, sondern dadurch, dass dort höchst effektiv und zielführend investiert wird. In junge, talentierte und hungrige Spieler. Mit einem vorbildlichen Nachwuchszentrum im Hintergrund, das jetzt München natürlich größer dimensioniert nachbaut.

So hat die U17 der Leipziger am Wochenende den HSV und die U 15 Dynamo Dresden besiegt!

100 000 Augenzeugen sind gesamtdeutscher Rekord

Ganz und gar vorbei an den Tatsachen geht das Argument der Anti-RB-Kampagnen bezüglich fehlender Traditionen. Leipzig ist die Geburtsstätte des deutschen Fußballs. Hier wurde der DFB 1900 gegründet. VfB Leipzig heißt der erste Deutsche Meister 1903. Am Cottaweg wurde in der Messestadt 1922 die erste Fußball-Großarena für mehr als 40 000 Zuschauer eröffnet.

Zu DDR-Zeiten gab es 1956 im damaligen Zentralstadion beim Derby Rotation gegen Lok Leipzig mit 100 000 Augenzeugen den noch heute gültigen Zuschauer-Rekord in einem Fußball-Pflichtspiel!

Chemie Leipzig wurde einmal DDR-Meister. Lok Leipzig, 1987 Europapokal-Finalist, war 4x DDR-Pokalgewinner.

Leipzig war und ist eine Region mit einer langen und erfolgreichen Fußball-Historie. Das half aber nach dem Mauerfall nicht bei den Versuchen, einen Verein auf der bundesdeutschen Fußball-Bühne zu etablieren. Ob VfB Leipzig, Sachsen Leipzig, Chemie Leipzig oder Lok – allesamt scheiterten. Finanzstarke Westvereine warben die besten Akteure ab. Windige Manager, überforderte Trainer, teils unseriöse Geschäftsführer aus dem Westen wollten vor allem absahnen. Ohne Rücksicht auf Traditionen oder Nachhaltigkeit. Auch war das wirtschaftliche Umfeld hier wie überall in den ostdeutschen einstigen Fußballzentren nicht gegeben.

Dass Mateschitz zusammen mit Rangnick Leipzig als Stätte für einen Neustart erkor, hängt neben der regionalen Fußball-Begeisterung (in Hamburg waren mehr Leipziger Fans zum Auswärtsspiel als von mehreren westdeutschen Klubs insgesamt) wohl auch mit dem Neubau des Fußball-Stadions für die WM 2006 zusammen. Das wurde in die Riesenschüssel des einstigen Zentralstadions projektiert und hat teilweise denkmalgeschützte Außenfronten.
Gegen Dortmund war die Arena mit 43 000 Plätzen ausverkauft und man hätte gut und gerne die doppelte Zahl an Tickets absetzen können.
Auch das bestätigt, dass Leipzig ein erfolgversprechender Standort für die Fußballbühne Bundesliga sein dürfte.

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