Finnlands Eisbrecher-Stars – Ohne die Kraftprotze geht im Winter nichts

Eisbrecher OTSO vor Finnland

Nicht nur renommierte Kreuzfahrt-Reedereien gehören zu den Kunden der Werften, die mittlerweile die weltgrößten Passagierschiffe bauen.

Keine Größenrekorde werden im traditionellen Standbein, dem Bau von Eisbrechern, aufgestellt. Was bisher von den Werften wie Kvaerner Masa Yards, vormals Wärtsilä, in Helsinki oder Aker Finnyards in Rauma abgeliefert wurde, hat andere Dimensionen. Von den stärksten Diesel-Eisbrechern der Welt über Nuklear-Eisbrecher bis hin zu Flusseisbrechern für russische Rechnung – sie alle zeichnen sich aus durch eine ausgefeilte Technologie und Robustheit. Das subarktische Klima Finnlands und die alljährliche Vereisung seiner Küsten diktieren dem Land eisige Gesetze. So müssen von Mitte November bis Ende Mai neun Eisbrecher der Finish Maritime Administration (FMA) die Fahrwege zu den 23 im Winter zugänglichen Handelshäfen offenhalten. Die Statistik vermeldet dazu jährlich rund 11.000 Schiffsbewegungen mit 30 Mio. Tonnen Gütern. Dieses Ladungsaufkommen entspricht rund einem Drittel des finnischen Außenhandelsvolumens. 85 Prozent des Im- und Exports werden über See abgewickelt. Ein klares Signal dafür, daß eine leistungsfähige Eisbrecherflotte lebenswichtig ist für das nordische Land.

Mehrzweckschiffe

Unangefochten die absoluten Schwergewichte unter den gepanzerten Kraftprotzen sind seit Mitte der 70er Jahre „Urho“ und „Sisu“ mit je 16,2 MW Leistung. Je nach Wind- und Eisbedingungen können mehrere Schiffe zu einem Konvoi formiert oder müssen einzeln in die Häfen eskortiert werden. Dabei fallen natürlich hohe Kosten an. Insgesamt rechnet die FMA jährlich mit rund 80 Mio. Euro.

Herkömmliche Eisbrecher liegen im Sommer beschäftigungslos an der Leine. Das geht ins Geld. Daher hat sich die FMA gemeinsam mit den Werften eine andere Konzeption überlegt: neue Fahrzeuge nur noch als Mehrzweckschiffe zu bauen. Während sie im Winter die einheimischen Schiffahrtswege offenhalten, werden sie den Sommer über an Offshore-Unternehmen verchartert und weltweit eingesetzt. Ihre besondere Rumpfkonstruktion dämpft die in freier See sonst heftigen Rollbewegungen eines Eisbrechers. Mit einer dann installierten Zusatzausrüstung können untermeerisch Pipelines verlegt, seismische Untersuchungen vorgenommen oder Bohrinseln geschleppt werden. Dabei kommt es durchaus vor, daß ein finnischer Eisbrecher schon mal vor der brasilianischen Küste unter brütender Äquatorsonne auftaucht.

Diese Doppelfunktion bringt allerdings Geld in die finnische Staatskasse.

Anfang der neunziger Jahre sind die beiden Multipurpose-Schiffe „Fennica“ und „Nordica“ in Dienst gestellt worden. Mit je 15 MW zwar nicht ganz so stark wie ihre konventionellen Vorgänger, aber sie verfügen neben einem geradezu futuristischem Design über eine weit ausgefeiltere Technik. Der Erfolg gab den Konstrukteuren recht.

Kommunikation, Kooperation

Die 1998 gebaute „Botnica“ ist mit 96,70 Meter Länge und 24 Meter Breite etwas kleiner als ihre beiden größeren Halbschwestern, doch mit 15 MW Leistung genauso kräftig. Bewährt hat sich bei allen drei Schiffen das in Finnland entwickelte Azimut-Antriebssystem. Die beiden Propeller werden durch außenliegende Elektromoren angetrieben, die insgesamt voll drehbar sind. Dadurch wird eine extrem hohe Manövrierfähigkeit sowohl im Eis als auch bei Offshore-Arbeiten erreicht. Der im Verhältnis zum schmaleren Achterschiff breit ausladende Bug samt spezieller Unterwasserschiffsform vermindert die Reibung, erhöht die Brechfähigkeit und die Geschwindigkeit im Eis.

Der Chef der finnischen Eisbrecherflotte betonte schon vor Jahren, dass neben der hervorragenden Technik auch Kommunikation und Kooperation ein große Rolle spielen. Vor allem, was die satellitengestützte Eisprognose und Schiffsbewegungen betrifft. Hier arbeite man mit allen Ostseeanrainer-Staaten auf Satellitenbild- und Radar-gestützter Basis eng zusammen. Jedes Schiff, seine Daten und sein Kurs können ebenso wie die Eisentwicklung jederzeit auf den Bildschirmen abgerufen werden. Der ständige Datenaustausch ermöglicht ein Maximum an Effektivität im internationalen Eisdienst.

Selbst wenn in Deutschland fast schon frühsommerliche Temperaturen herrschen, sind die finnischen und schwedischen Eisbrecher noch im Einsatz – auch für deutsche Frachter oder Touristen auf den Fähren in der nördlichen Ostsee.

Was heißt „Eisklasse“?

Der Rumpf des Schiffes ist auf seiner ganzen Länge eisverstärkt, und zwar unterschiedlich stark im Bereich des Vorschiffes, des Mittelschiffes und des Hinterschiffes. Die größten Eisverstärkungen befinden sich aus naheliegenden Gründen im Vorschiffsbereich.

Im Bereich des Eisgürtels (50 cm über der Wasserlinie bis zwei Meter unter Wasser) ist die Außenhaut verstärkt, mit Plattenstärken bis zu 16 Millimeter. Zu den oberen Decks hin nimmt die Plattenstärke bis auf 6 Millimeter ab. Weitere Verstärkungen sind im Bereich des Vorstevens (Bug) angebracht: Der Wulstbug ist innen zusätzlich ausgesteift und hat eine Plattenstärke von 22 Millimeter. Direkt über ihm besteht der Steven aus einem Stahlgussteil, das zum "Zerschneiden" einer festen Eisdecke im Bereich der Wasserlinie dient. Dort sind die Außenhautplatten 19 Millimeter stark.

Auf ganzer Schiffslänge sind vom Doppelboden bis einschl. Deck 2 (ca. sieben Meter über Kiel) Zusatzspanten in einem Abstand von 35 cm eingebaut (normaler Spant-Abstand 70 Zentimeter). Das gibt dem gesamten Schiffskörper mehr Festigkeit.

Auch bei der Antriebsanlage gibt es zahlreiche Maßnahmen, um die Eistauglichkeit des Schiffes zu gewährleisten: Die erforderliche Antriebsleistung ist vorgeschrieben, Propellerwellen, Getriebe und Ruderanlage sind verstärkt. Der Propeller ist aus Edelstahl (statt Bronze) und die Flügelspitzen sind verstärkt. Das Ruder ist durch einen Eissporn bei Rückwärtsfahrt geschützt. Am Bug des Schiffes sind eine Schleppklüse und starke Poller angeordnet, damit es im Ernstfall von einem Eisbrecher geschleppt werden kann.

Übrigens: Ein eisverstärktes Schiff ist schwerer als ein vergleichbares Schiff ohne Eisklasse und verursacht höhere Baukosten.

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