Finanzkrise sitzt fest

Doch da gibt es die Schrottpapiere in den Tresoren. Die meisten getesteten Finanzinstitute haben ihren Bestand heruntergespielt oder gleich ganz versteckt. Vertreter mehrerer Großbanken hätten den Manipulationsvorwurf gegenüber dem WSJ damit gerechtfertigt, daß sie nur die Leitlinien des Ausschusses der EU-Bankenaufsicht (Committee of European Banking Supervisors) befolgt hätten, der die Tests koordiniert hatte. Und der habe seinerzeit »unter massivem Druck von Politikern und nationalen Aufsichtsbehörden gestanden, die Tests so zu konzipieren, daß sie das europäische Bankensystem als gesund auswiesen«. Der Streßtest, der das Vertrauen der Öffentlichkeit in die kontinentalen Finanzkonzerne wieder herstellen sollte, hat nun das Gegenteil erreicht. Und ausgerechnet in diesem Monat müssen die Regierungen der Eurozone neue Schatzbriefe im Wert von über 80 Milliarden Euro verkaufen, fast doppelt soviel wie im August, um die laufenden Defizite der Etats zu decken.

Im Zentrum der akuten Ängste steht Irland. Spekulanten stoßen massenweise irische Schatzbriefe ab, deren Wert in den letzten Wochen stetig gesunken ist. Um überhaupt noch Interessenten für neue zu finden, muß Dublin nun Zinsen in Rekordhöhe von 5,98 Prozent anbieten. Der Insel droht das Los Griechenlands. Aber auch Portugal, Spanien oder Italien müssen »Renditen« anbieten, die sich den Höchstständen während der Euro-Krise nähern. Die Regierung in Athen findet auf dem Markt schon keine Käufer mehr für ihre Bonds. Hellas hängt inzwischen gänzlich am Tropf von EU und IWF.

In den Konzernmedien hierzulande ist es still um Griechenland geworden. Mit Ausnahme einiger »guter« Nachrichten – angeblich habe die Regierung dort große Fortschritte bei den rigorosen Sozialkürzungen gemacht – hört und liest man wenig. Deshalb blieb dem großen Publikum in Deutschland auch die Warnung von Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn vorenthalten. Der Chef des Münchner ifo-Instituts hatte beim jährlichen Ambrosetti-Forum in Italien klargemacht, das Griechenland es nicht schaffen werde. Es gebe drei Optionen: Die EU könnte das Land auf Dauer finanziell unterstützen. Das sei jedoch auszuschließen. Zweitens wären die notwendigen Sparmaßnahmen derart hart, daß man einen »Bürgerkrieg« riskiere. Die Sinn zufolge beste Option ist, Griechenland zu ermutigen, im Rahmen eines Schuldenerlasses aus der Euro-Zone auszutreten. Trotz der enormen prozeduralen Probleme und des zu erwartenden Zusammenbruchs des hellenischen Bankensystems wäre dies für das Land der am wenigsten schmerzhafte Weg. Dafür müßten laut Sinn deutsche und andere EU-Großbanken erhebliche Verluste hinnehmen. Letzteres dürfte der Grund sein, weshalb der Vorschlag von den hiesigen Einheitsmedien unbeachtet blieb.

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Der Artikel von Rainer Rupp wurde am 09.09.2010 in der Tageszeitung junge Welt auf Seite 1 und am 08.09.2010 unter www.jungewelt.de erstveröffentlicht.

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