Es war einmal in Amerika – Public Enemies

Nach einem sorgfältig geplanten Gefängnisausbruch wird der berüchtigte Bankräuber John Dillinger (Johnny Depp) im Amerika der frühen Dreißiger zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt. Verfolgt vom sich stoisch verhaltenden Agenten des von J. Edgar Hoover (Billy Crudup) frisch gegründeten FBI, Melvin Purvis (Christian Bale), werden Dillinger und sein Komplize Baby Face Nelson (Stephen Graham) immer mehr in die Enge getrieben. Dillingers Liebe zu der jungen Billie Frechette (Marion Cotillard) macht ihn zunehmend leichtsinnig. Die Verschlossenheit Dillingers vermag Mann jedoch nicht zu durchdringen. Nach Billies Verhaftung und einem verlustreichen Bankraub sieht sich Dillinger von anderen Unterweltgrößen verdrängt. Mittels Erpressung gelingt es Purvis eine Bekannte des Bankräubers zum Verrat zu bewegen. Begleitet von jener “Lady in Red” wird Dillinger nach einem Kinobesuch vom FBI erschossen. “The world is Yours” steht nicht über ihm auf der Kinoreklame. Dafür der Titel des gezeigten Krimis. Nachdem es Al Capone und Bonnie und Clyde schon oft dorthin schafften, findet sich 75 Jahre später auch John Dillingers Name dort wieder. Kontur erhält John Dillinger durch das konzentrierte Spiel Johnny Depps. Nachdem der Darsteller als Piratentravestie vom “Fluch der Karibik” heimgesucht wurde, besetzt Michael Mann Depp wieder in einer ernsthaften Rolle.

Die klassischen Gangsterepen starben mit den klassischen Gangstern. Orson Wells “Touch of Evil” ist der letzte Riese des in den letzten Zügen liegenden Genres. Der Verbrecher ist darin gleichzeitig Polizist und die Polizei erscheint in “Public Enemies” als ebenso brutal wie die Unterweltmänner. Doch statt ein konsequentes Bild der beiderseitigen Amoral zu zeichnen  lässt Mann den uramerikanischen Helden Melvin Purvis als Gegner der “Public Enemies” auf beiden Seiten des Gesetzes um so heller erstrahlen. Purvis lernt man bei erfolgreicher Arbeit kennen. Da erschießt er den  flüchtigen Pretty Boy Floyd (Tatum Channing). Fast mitleidig blickt er auf den sterbenden kindergesichtigen Verbrecher. Purvis, ein menschlicher Gesetzeshüter, der tut, was ein Mann tun muss. Dass in Purvis, der sich 1960 erschoss, mit der Dienstwaffe, mit welcher er Dillinger verhaftet hatte, etwas gärt, lässt sich hinter Christian Bales eisiger Miene nur erahnen. Ursprünglich sollte Purvis die Hauptfigur von “Public Enemies” sein. Doch dass der erfolgreichste Staatsfeindjäger ein Jahr nach Dillingers Tod den Dienst quittierte und später Werbung für Cornflakes machte, passt nicht in ein Verbrecherepos. Der umstrittenen FBI-Chef J. Edgar Hoover schrumpft zum verbissenen Schattenmännchen.

Von der Depression, die eine der Hauptursachen für die Korruptions- und Kriminalitätswelle war, zeigt “Public Enemies” praktisch nichts. Manns USA der Dreißiger erinnern an die Roaring Twenties. Von Rassismus keine Spur, Jazz und illegaler Alkohol sorgen für Stimmung. Der erste Bankraub der Dillinger-Band läuft wie ein Kinderspiel: Edle Ganoven fahren im schicken Wagen vor, machen leichte Beute und die hübsche Schalterdame seufzt ihnen nach. Kein Passant wird verletzt und die Kunden dürfen ihr Erspartes behalten. Manns “Public Enemies” werden zu Helden der Öffentlichkeit. Dass der “gute Bankräuber” ein Konstrukt ist, da der Geldverlust der Banken auch die Kunden traf, durchleuchtet “Public Enemies” nicht. Der zweite gezeigte Überfall geht schief. Auch darin knüpft “Public Enemies” an Krimikonventionen an. Ihnen widersetzt sich Michael Mann gerade dort, wo es der Handlung am meisten schadet. Marion Cotillard ist als Billie so fehlbesetzt, das Dillingers Liebe zu ihr konstruiert erscheint. Leelee Sobieski als Begleiterin Polly und Branca Katic bleiben länger im Gedächtnis. Letzte ist jene legendäre “Lady in Red”, die statt des namensgebenden roten Kleides Orange trägt. Diese Schlußszenen macht klar, dass “Public Enemies” eine elegantanzusehende, aber seelenlose Zelluloidstrecke ist. Großes Gangsterkino will “Public Enemies” sein, der mehr an eine nachgespielte Dokumentation erinnert, die Lebensepisoden zeigt und nichts ergründet. “Public Enemy”, “Gun Crazy”, “Scarface”, “White Heat” – die besten Genrefilme waren inspiriert von realen Lebensläufen, keine Filmbiografien. Hätte “Public Enemies” sich daran gehalten, wäre das Große Ding vielleicht wieder gedreht worden.

Titel: Public Enemies
Start: 6. August 2009
Regie: Michael Mann
Drehbuch: Ronan Bennett, Michael Mann, Ann Biderman
Darsteller: Johnny Depp, Christian Bale, Marion Cotillard,
Verleih: Universal

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