Es kann auch hier geschehen oder Zionismus war eine revolutionäre Idee

Israel
Fahnen des Staates Israel. Quelle: Pixabay

Tel Aviv, Israel (Weltexpress). Zionismus war eine revolutionäre Idee. Er schlägt vor, dass das „Jüdische Volk“ einen neuen jüdischen Staat im Lande Palästina schafft.

Das zionistische Projekt war tatsächlich sehr erfolgreich. !948 war die Embryo-Nation stark genug, einen Staat zu schaffen. Israel wurde geboren.

Wenn man ein Haus baut, benötigt man ein Gerüst. Wenn der Bau fertig ist, wird das Gerüst wieder abgebaut.

Aber politische Ideen und Strukturen sterben nicht einfach. Der menschliche Geist ist faul und besorgt und klammert sich an die familiären Ideen, lange nachdem sie obsolet geworden sind. Politische und materielle Interessen werden fest begründet in der Idee und widersteht dem Wandel.

So fuhr der „Zionismus“ fort, zu existieren, nachdem er sein Ziel schon erreicht hatte. Das Gerüst wurde überflüssig, tatsächlich hinderlich.

Warum hinderlich? Denken wir zum Beispiel an Australien. Es wurde von britischen Siedlern als eine Kolonie von Großbritannien geschaffen. Die Australier wurden den Briten tief verpflichtet. Während des 2. Weltkrieges kamen sie zu uns, auf ihrem Weg für die Briten in Nordafrika zu kämpfen. Wir liebten sie sehr.

Aber Australien ist nicht Britannien. Ein anderes Klima, eine andere Geographie, ein anderer Standort, der andere politische Optionen diktiert.

Wenn wir das Welt-Judentum als eine Art Mutterland betrachten, wie Britannien für Australien, dann hätte Israel bei der Geburt die Nabelschnur durchschnitten. Eine neue Nation. Eine neue Örtlichkeit. Eine andere Nachbarschaft. Andere Optionen.

Dies geschah nie. Israel ist ein „zionistischer“ Staat, beziehungsweise die große Majorität seiner Bürger und Führer glauben es. Wer kein Zionist bleiben will, ist ein Abtrünniger, beinah ein Verräter.

Aber was verstehen die Israeli unter „Zionismus“? Patriotismus? Vaterlandsliebe? Nationalismus? Solidarität mit Juden in aller Welt? Oder etwas ganz anderes: die Idee, dass Israel nicht wirklich seinen Bürgern gehört, sondern allen Juden in aller Welt?

Diese Grundentscheidung ob bewusst oder unbewusst hat weitgehende Konsequenzen.

Israel ist offiziell und juristisch als jüdischer und demokratischer Staat definiert. Bedeutet das, dass nicht jüdische Bürger, wie die Araber, nicht wirklich dazugehören, sondern nur geduldet werden und sollten sich der vollen zivilen Rechte erfreuen? Bedeutet dies, dass Israel als solches in Wirklichkeit eine westliche Nation ist, die in den Nahen Osten (ein westlicher Name) verpflanzt wurde?

Theodor Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, wies in seinem fundamentalen Buch „Der jüdische Staat“ darauf hin, dass wir in Palästina freiwillig als Außenposten für die westliche Zivilisation gegen die Barbarei dienen. Welche Barbarei hatte er im Sinn?

Etwa 110 Jahre später drückte ein Ministerpräsident von Israel, Ehud Barak, dieselbe Idee mit anschaulichen Worten aus, als er Israel als „eine Villa im Dschungel“ beschrieb. Noch einmal ist es leicht zu erraten, welche wilden Tiere er meint.

Seit der Massen-Immigration der orientalischen jüdischen Gemeinden nach Israel (und anderen Ländern) in den frühen 1950er Jahren, sind sehr wenige jüdische Gemeinden im Osten geblieben und diese sind sehr klein und erbärmlich. Das Welt-Judentum liegt konzentriert (oder ziemlich verteilt) im Westen, besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).

Die jüdisch-israelische Verbindung ist für Israel von immenser Bedeutung. Die herrschende Position der jüdischen Gemeinde in der US-Politik garantiert die diplomatische Immunität der israelischen Regierung, was auch immer die Regierung tut und wer auch immer US-Präsident ist, und massive finanzielle militärische Unterstützung natürlich.

Falls morgen alle US-Juden vom messianischen Eifer ergriffen werden und en masse nach Israel einwandern, würde dies für den jüdischen Staat eine schreckliche Katastrophe sein.

Andrerseits hat die jüdisch-israelische Verbindung Israel tatsächlich zu einem „westlichen Außenposten“ gemacht, wie Herzl es vorausgesehen hat, und garantiert, dass der jüdische Staat auf immer mit seinen geographischen Nachbarn im Krieg sein wird.

„Frieden mit den Arabern“ ist ein Thema, das in Israel endlos diskutiert wird. Es ist die Trennungslinie zwischen „Rechts“ und „Links“

Die vorherrschende Überzeugung ist: „Frieden würde schön sein. Wir wünschen alle den Frieden. Leider ist Frieden unmöglich.“ Warum unmöglich? „Weil die Araber ihn nicht wünschen. Sie werden keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte akzeptieren. Nicht jetzt und niemals.“

Auf dieser Überzeugung gründend hat Benjamin Netanjahu seine Bedingung für Frieden formuliert: Die Araber müssen Israel als einen National–Staat des jüdischen Volkes anerkennen.

Dies ist irrsinnig. Gewiss, die „Araber“ müssen den Staat Israel anerkennen. Yasser Arafat hat dies offiziell und im Namen des palästinensischen Volkes getan am Vorabend des Oslo-Abkommens. Aber den Charakter des Staates Israel oder sein Regime zu definieren liegt allein in der Verantwortung der Bürger von Israel.

Wir erkennen China nicht als kommunistischen Staat an. Wir erkennen die US nicht als kapitalistisches Land an – noch in der Vergangenheit die US wird nicht als Weißes Protestantisches Land anerkannt. Wir erkennen Schweden nicht als ein „schwedisches Land“ an. Die ganze Sache ist lächerlich. Aber keiner wagt innerhalb Israels oder außerhalb Netanjahu das zu sagen.

Aber in einem Punkt berührt Netanjahu etwas Fundamentales. Frieden zwischen Israel und Palästina – und durch Erweiterung, mit der ganzen arabischen und muslimischen Welt – erfordert einen geistigen Wandel in Israel und in Palästina. Ein Stück Papier ist nicht genug.

Am Vorabend des 1948 Krieges, in dem der Staat Israel geboren wurde, veröffentlichte ich eine Broschüre: „Krieg oder Frieden in der semitischen Region“. Ich begann mit den Worten:

„Als unsere Väter entschieden, in Palästina eine sichere Heimstätte aufzubauen, mussten sie zwischen zwei Alternativen wählen:

„Sie konnten in West-Asien als europäische Eroberer erscheinen, die sich selbst als Brückenkopf der weißen Rasse und als Meister der Eingeborenen betrachten, wie die spanischen Konquistadoren und die angelsächsischen Kolonisten in Amerika. So machten es die Kreuzfahrer zu ihrer Zeit auch.

„Der andere Weg war, sich selbst als ein asiatisches Volk zu sehen das in seine Heimat zurückehrt…“

Ein Jahr später, fast am Ende des Krieges wurde ich schwer verwundet. Während ich im Krankenhaus lag – mehrere Tage ohne zu schlafen oder zu essen – hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, um aus meinen Erfahrungen als Frontsoldat Schlüsse zu ziehen. Mein Schluss war, dass ein arabisches palästinensisches Volk existiert, dass dieses Volk einen eigenen Staat benötigt, und dass niemals Frieden zwischen ihnen und uns herrschen wird, wenn nicht ein Staat Palästina neben unserm neuen Staat entsteht.

Das war der Anfang der „Zwei-Staaten“-Idee, wie es jetzt diskutiert wird. Sie wurde damals von allen zurück gewiesen – von den Arabern, den USA und der Sowjetunion. Und natürlich von den auf einander folgenden israelischen Regierenden. Golda Meir sagte den berühmten Satz: „So etwas, wie ein palästinensisches Volk gibt es nicht.“

Heute ist die Zwei-Staaten-Lösung ein Welt –Konsens geworden. Die meisten Israelis akzeptieren dies, wenn auch nur theoretisch. Selbst Netanjahu gibt es von Zeit zu Zeit vor. Aber aus welchen Gründen?

Viele der neuen Anhänger übernehmen dies als einen guten Weg der „Trennung“. So wie Ehud Barak („Die Villa im Dschungel“) es definierte. „Sie werden dort sein und wir werden hier sein“.

Das wird so nicht gehen. Es wird eine negative Haltung sein. Einige seiner Anhänger gehen in diese Richtung, weil sie – ganz richtig – fürchten, dass auf andere Weise Eretz Israel zu Eretz Ishmael, ein bi-nationaler Staat mit einer arabischen Mehrheit wird. In diesem Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss existiert schon eine arabische Mehrheit. Jene, die einen „Jüdischen Staat“ wünschen, sind von der Zwei-Staaten-Lösung angezogen, aber aus falschen Gründen.

Aber das Hauptargument gegen diese Art von Denken ist dies: nach einem historischen Konflikt der schon fast 140 Jahre dauert, ist dies nicht genug, um Frieden zu schaffen. Man kann nicht einen historischen Frieden erlangen durch eine Gesinnung von Krieg und Konflikt.

Als ich im Krankenhaus lag, dachte ich das erste Mal über diese Lösung nach, während der Krieg noch voll im Gange war. Ich dachte nicht an „Trennung“. Ich dachte über eine Versöhnung zwischen den beiden Völker nach einem langen, langen Konflikt, zwei Völker, die Seite an Seite in zwei freien und nationalen Staaten leben, jeder unter der eigenen Flagge, ohne eine Mauer zwischen ihnen. In der Tat malte ich mir eine offene Grenze aus mit freier Bewegung für Menschen und Waren.

Dieses Land – nenne es Palästina oder Eretz Israel – ist sehr klein. Darin zu leben mit zwei feindlich gesinnten Staaten würde ein Alptraum sein. Deshalb brauchen wir eine Art freier Genossenschaft. Man nennt es Konföderation oder Föderation; es ist eine reine Notwendigkeit. Es aufzurichten und zu erhalten, benötigt einen Geist der Versöhnung.

Nicht nur einen negativen Frieden, einen kalten Frieden, die Abwesenheit von Krieg und gegenseitige Feindschaft , sondern ein positiver Frieden, ein wirklicher Frieden, bei dem jede Seite die Grundmotive der andern Seite versteht, sein historisches Narrativ. Seine Hoffnung und seine Ängste.

Ist dies möglich?

Nun es geschieht zwischen Deutschland und Frankreich nach vielen Jahrhunderten des Konfliktes, einschließlich zweier Weltkriege.

Ja, ich glaube daran, dass es hier geschehen kann.

Nennt mich einen Optimisten – es gibt schlimmere Schimpfworte.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Uri Avnery wurde ins Deutsche von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Unter www.uri-avnery.de erfolgte laut Eigenangaben am 17.09.2016 die Erstveröffentlichung. Alle Rechte beim Autor.

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