Ende der Krise in Sicht? – Wie geht es konjunkturell weiter?

Die Überproduktionskrise spitzte sich im Jahresverlauf 2008 allmählich zu, erreichte im September/Oktober in Gestalt der Kredit- und Bankenkrise ihren Höhepunkt, ging in eine schwere Depression über, die bis Frühjahr 2009 anhielt. In dieser Phase (August 2008 bis April 2009) brachen Aufträge und Produktion um gut 30 % bzw. um knapp 25 % ein. Es folgte die Phase der Stabilisierung, die weniger das Ergebnis der Wirtschaft selbst war, sondern durch gigantische Rettungsschirme, Konjunkturprogramme und sonstige staatliche Interventionen herbeigeführt wurde.[1] Seit dem Tiefpunkt vom April 2009 stiegen Produktion bzw. Aufträge um etwa 10%.

Das für die deutsche Wirtschaft herausgestellte zyklische Muster besitzt Gültigkeit für die USA, Frankreich, Japan. Die Konjunktur Großbritanniens weicht negativ, China und Indien weichen positiv davon ab. Insgesamt gesehen scheint der Weltmarkt die Phase einer wirtschaftlichen Belebung erreicht zu haben, die sich nach dem üblichen zyklischen Muster verstärken, und der später die Phase der Prosperität folgen müsste.

Doch so einfach ist das diesmal nicht. Probleme besonderer Art haben sich aufgetürmt: Die Krise ist nicht nur die größte seit 80 Jahren, sie löste zugleich die umfassendsten Interventionen aus, die Staaten jemals vornahmen. Entwertungsprozesse des Kapitals, die üblicherweise in und nach Krisen auftreten, wurden staatlicherseits abgemildert oder gar verhindert. Hohe Staatsausgaben bei verminderten Steuereinnahmen haben die Staatsverschuldung sprunghaft wachsen lassen. Diskussionen über die Kreditwürdigkeit etlicher Staaten, darunter Griechenlands, sind deutliche Hinweise auf die ernsthafte Zuspitzung einer Staatsschuldenkrise, an deren Ende der Staatsbankrott stehen könnte.

Stolpersteine der Konjunktur

Die Notenbanken „monetarisieren” die Staatsschulden durch Anwerfen der Druckerpresse – verharmlosend als „Quantitative Easing” bezeichnet. In Großbritannien kauft die Zentralbank die von der Regierung neu ausgegebenen Staatsanleihen mit frisch gedrucktem Geld auf. Ähnliches passiert in den USA und Japan. Wie die anderen Notenbanken leiht die Europäische Zentralbank (EZB) den Geschäftsbanken beliebig viel Geld gegen Staatsanleihen als Sicherheit aus. Die Banken machen gute Geschäfte, indem sie sich zum niedrigen Leitzins von 1% Geld ausleihen, dafür höher verzinsliche Staatsanleihen kaufen, die sie erneut als Sicherheit für weiteres Notenbankgeld nutzen, um damit weitere Staatsanleihen zu kaufen. Auf diese Weise finanzieren sie mit neu gedrucktem Geld der EZB die stark steigenden Staatsdefizite. Generell gesehen geben die Zentralbanken auf direktem oder indirektem Wege dem Staat ihre selbst gedruckten Papierzettel, der damit seine kostspieligen Interventionen bezahlt oder selbst einkaufen geht.

Ist das nicht herrlich für den Staat, bezahlen ohne Geld zu haben, Aneignung von Waren, ohne dass Geld eingesetzt wird, für das eine Gegenleistung erbracht worden war. Denn die mit der Aufschrift Pfund, Dollar, Yen etc. frisch gedruckten Papierzettel sind keine verwandelten Formen eines Warenwerts. Mit Recht bezeichnet man sie gelegentlich als „legales Falschgeld”, das der Staat im Akt der „Bezahlung” den bereits zirkulierenden wirklichen Wertzeichen beimengt. Das Anwerfen einer solchen Geld-Druckmaschine ist ein riskantes Betrugsmanöver: Wird übertrieben, sind Inflation und Wechselkursverfall die Folgen. Die spektakuläre Erhöhung des Goldpreises und die erneut steigenden Rohstoffpreise signalisieren bereits wachsende Inflationsrisiken.

Der Weg hin zum Konjunkturaufschwung ist deshalb mit einer Reihe Risiken behaftet, die groß genug sind, um den Weg dorthin zu versperren oder gar dazu führen, dass die Wirtschaft einen Rückschlag erleidet.

Gegen eine nachhaltigere Erholung spricht erstens die staatlich blockierte Kapitalentwertung. Durch seine Interventionen verhinderte der Staat die Tiefe der Krise, indem er sie verschob. Nun fehlen die Kräfte eines „selbsttragenden Aufschwungs”, der aber erforderlich wäre, um die wirtschaftliche Belebung in Richtung Prosperität fortzuentwickeln.

Zweitens wird die konjunkturelle Belebung maßgeblich durch Konjunkturprogramme gestützt; sie hängt am „Tropf des Staates”, wie das Beispiel Abwrackprämie in der Autoindustrie zeigt. Ein empfindlicher Rückschlag bis hin zu einer Rückkehr der nur politisch unterbrochenen Depression bleibt möglich (Double Dip), wenn im Jahresverlauf weitere Konjunkturprogramme allmählich auslaufen.

Die Fiskalpolitik scheint drittens vor einer Wende zu stehen: Statt die Weltkonjunktur mit Staatsausgaben zu stützen, muss auf mittlere Sicht aufgrund der zugespitzten Finanzlage der Staatshaushalte tendenziell eher mit Belastungen gerechnet werden. Länder mit zweifelhafter Bonität wie Griechenland, Irland, Rumänien verordneten schon Sparpläne, vor allem Sozialkürzungen, mit restriktiver Wirkung auf die Konjunktur. Auch in anderen Ländern treten Diskussionen über die „notwendige Rückführung des Staatsdefizits” in den Vordergrund. Die Ankündigung von Finanzminister Schäuble, „wir werden die Bürger auf Kürzungen vorbereiten müssen”, rücken die Medien bereits in den Vordergrund.

Viertens stehen die Notenbanken angesichts der Inflationsrisiken, die sie durch ihre Politik des „Quantitative Easing” produzieren, unter Zugzwang, eine baldige Wende in der Geldpolitik herbeizuführen. Dies würde die Konjunktur erheblich belasten. Denn die Wende wäre das Gegenteil von dem, was die Notenbanken zur Abmilderung der Krise taten. Sie müssten das „Falschgeld” durch Kreditkürzungen etwa in Form von Wertpapierverkäufen zurückführen und die Zinsen anheben. Beides war aber nötig zur Rettung des Bankensystems und zur Finanzierung der exzessiven Staatsverschuldung. Die Linderungsmittel, die man damals gegen die Krise einsetzte, würden im Zuge ihrer Rückführung in entsprechende Belastungen umschlagen.

Entzögen die Notenbanken dem Bankensystem Liquidität, dann reaktivierten sich die Schwierigkeiten, mit denen die Banken einst zu kämpfen hatten. Die Unternehmer, die in der Krise mit öffentlich gestützten Krediten großzügig versorgt wurden, so dass sie trotz Absatzkrise liquide blieben, würden wegen der Kreditkürzungen in ernste Schwierigkeiten geraten. Die Staaten könnten nicht mehr mit frisch gedrucktem Geld der Notenbanken einkaufen gehen, sondern wären auf die Kapitalmärkte angewiesen. In einer solchen Situation würden Staaten mit verminderter Kreditwürdigkeit kaum noch Geld über den Kapitalmarkt beziehen können, so dass Staatsbankrotte wahrscheinlich wären.

Zum Dilemma der Wirtschaftspolitik

Angesichts solch schwerer Belastungen muss man sich fragen, ob die Notenbanken eine geld- und zinspolitische Wende überhaupt noch durchsetzen können. Es scheint beinahe so, als sei eine Trendwende kaum noch möglich, wenn der inflationäre Weg einmal beschritten ist. So verschiebt William Dudley, der als Chef der Federal Reserve Bank of New York über großen Einfluss innerhalb der US-Notenbank verfügt, die geldpolitische Wende fast schon auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, wenn er in einem Fernsehinterview resignativ verkündet, es könnte nicht nur sechs Monate, sondern „ein Jahr oder auch zwei Jahre” dauern, bis die Notenbank ihren Zinssatz erhöht[2]. Vielleicht müssen die Notenbanken einfach so weiter machen, selbst wenn sie die Währung durch eine galoppierende Inflation zerstören.

Man sieht, wie groß die Stolpersteine auf dem Weg hin zur Prosperität sind. Es handelt sich dabei um Trümmer einer politischen Krisenbewältigung, die aus dem Dilemma nicht herauskommt, dass sie die zur Krise zugespitzten Widersprüche und Gegensätze der kapitalistischen Ökonomie nicht wirklich beseitigen kann. Geben Regierungen und Zentralbanken die Belastungen und Risiken an die Wirtschaft zurück, die sie in der Krise übernahmen, dann wird die Wirtschaft zurückfallen in die Depression, die sie aus eigener Kraft gar nicht bewältigt hatte. Behalten sie hingegen die Belastungen und Risiken, dann konzentrieren sich weiterhin die aus der Wirtschaft kommenden Widersprüche und Gegensätze der Warenproduktion in ihren Institutionen, mit der Folge, dass der Staat in Richtung seines eigenen Bankrotts und die Währung in Richtung ihres Ruins, verbunden mit einer Hyperinflation, treiben. Das Dilemma worin Regierung und Notenbank stecken, mögen sie auf ihre jeweils besondere Weise einstweilen vertuschen, sie mögen sich noch einige Quartale hindurchwursteln mit der Illusion, schon eine vernünftige Exit-Strategie zu finden. Das hohe Wachstum in weiten Teilen Asiens mag solche Illusionen stützen. Der Gang nach Kanossa ist jedoch vorgezeichnet, erzwungen durch die Gesetze kapitalistischer Warenproduktion.

Anmerkungen:

[1] Die Phasen des bisherigen Krisenprozesses haben wir ausgeführt in unserer Broschüre „Die kapitalistische Krise und was wir ihr entgegensetzen.”

[2] Financial Times Deutschland, 15.1.2010

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