Emil Nolde – Die Grotesken

Emil Nolde, Tolles Weib, Gemälde 1919 © Nolde Stiftung Seebüll

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Löblicherweise engagieren sich große Unternehmen zum eigenen und des Publikums Nutzen immer wieder in der Kunst- und Kulturförderung. Im Rhein-Main-Gebiet sind dies nicht nur die Banken, sondern z.B. auch Boehringer-Ingelheim, die seit nun fast schon 60 Jahren mit den „Internationalen Tagen Ingelheim“ mit sehenswerten Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen, von japanischen Farbholzschnitten über Picasso oder das Wiener Biedermeier oder eben zu Emil Nolde in diesem Jahr.

Da das traditionelle Ausstellungsforum, das Alte Rathaus in Ingelheim derzeit wegen Umbau und Renovierung nicht zur Verfügung steht, suchte man Unterstützung in der Nachbarschaft und fand sie im Landesmuseum Wiesbaden, das so – ganz außerhalb seiner Planungen – zu einer höchst sehenswerten Ausstellung kam.

Das Frankfurter Städelmuseum hatte 2014 in seiner großen Noldeschau die ganze Bandbreite des Werkes dieses Künstlers aufgezeigt, weit über die allseits bekannten Landschaften und Blumenbilder hinaus. Die Wiesbadener Ausstellung konzentriert sich nun auf eine spezielle Schaffenslinie, die der Künstler über Jahre hinweg immer wieder verfolgt hat: Die Darstellung des Grotesken und Fantastischen.

Dies beginnt noch eher harmlos mit einer Serie von Postkarten, indem er aus Gebirgsmassiven geisterhafte Physiognomien herausarbeitet. Die Karten erinnern stark an Märchenillustrationen und verkaufen sich (vielleicht deshalb) so erfolgreich, dass Nolde mit dem Erlös versuchen kann, seinen Beruf aufzugeben und eine künstlerische Ausbildung aufzunehmen. Aber auch in Gemälden wird noch vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend ein Hang zu burlesken und fantastischen Kompositionen deutlich, der seinen Höhepunkt nach Ende des Krieges erreicht. Jetzt wendet sich Nolde von der menschlichen Figur ab und gestaltet realitätsfremde, oftmals maskenhafte Figurinen. Auch bei vielen seiner Aquarelle lässt Nolde sich von den auf dem feuchten Papier verlaufenden Farben zu skurrilen Bildthemen inspirieren. In einer Reihe von Gemälden, die alle 1923 gemalt werden, entzieht sich Nolde einer klaren Interpretation und Lesbarkeit des Dargestellten. Zwischen 1931 und 1935 malt er mit den „Phantasien“ eine Reihe großformatiger Aquarelle, die die sogenannten „Ungemalten Bilder“ vorbereiten, die vor allem während der Zeit des Berufsverbotes heimlich entstehen. In diesen findet Nolde häufig fantastische und groteske Bildkompositionen, die erst nach 1945 Gemälden als Grundlage dienen.

Die Ausstellung umfasst 114 Werke (20 Gemälde sowie ca. 90 Werke auf Papier), die alle von der Nolde-Stiftung Seebüll bereitgestellt wurden, darunter 15 bisher noch nie und einige schon sehr lange nicht mehr gezeigte. Nach der Präsentation im Museum Wiesbaden wird diese Ausstellung vom 23. Juli bis zum 15. Oktober 2017 im Buchheim Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See gezeigt.

Die Nolde-Ausstellung im Frankfurter Städel hatte seinerzeit sehr deutlich die Verstrickung des Künstlers in den Nationalsozialismus dokumentiert. Die Wiesbadener Ausstellung verschweigt dies nicht, geht aber nicht intensiver auf den Sachverhalt ein. Dabei plagt sich der Besucher gerade dieser Ausstellung mit der Frage, wie naiv oder verblendet Nolde gewesen sein muss, wenn er ernsthaft glaubte, ein Mann mit seiner expressionistischen Vergangenheit, sogar seiner Mitgliedschaft in Künstlervereinigungen wie der Brücke könne tatsächlich von Blut- und Boden-Fans wie Hiltler als „deutscher Künstler“ anerkannt werden?

Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. Juli, ein Katalog ist zum Preis von 29,80€ erhältlich.

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