Else Weil, die Claire in Rheinsberg – Ausstellung für eine engagierte Lebenspartnerin von Kurt Tucholsky im nach ihm benannten Museum in Rheinsberg

Eines der wenigen Fotos von Else Weil

Im Sommer 1911 schreibt der junge Kurt Tucholsky die kleine Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“. Als die Liebesgeschichte von Claire und Wölfchen ein Jahr später erscheint, macht sie Tucholsky auf einen Schlag berühmt. Der freizügige Ton dieses modernen, beinahe rebellischen Paares, das seine Liebe offen auslebt, war neu für das kaiserliche Deutschland. Da hatte ein junges Paar sexuelle Freude aneinander, ohne verlobt oder verheiratet zu sein und ohne sich um die herrschenden Moralnormen der wilhelminischen Epoche zu kümmern. Tucholsky hat die Geschichte nicht erfunden, für die Claire hatte er ein Vorbild. Claire war real und hieß Else Weil. Mit ihr verbrachte er das Wochenende in Rheinsberg und war mit ihr in erster Ehe von 1920 bis 1924 verheiratet. Dieser Frau ist jetzt eine Ausstellung gewidmet. Sie wurde am 13. November im Tucholsky-Museum in Rheinsberg eröffnet.

Ärztin und Jüdin Else Weil

„Wir haben einer Frau, die viele Jahrzehnte immer im Schatten stand, wieder Gesicht und Gestalt gegeben“, sagt Dr. Peter Böthig, langjähriger Leiter des schon 1993 gegründeten Tucholsky-Museums. Im Unterschied zur zweiten Ehefrau, Mary Gerold Tucholsky, die nach dem 2. Weltkrieg das von den Nazis verbotene Werk Tucholskys wieder im Marbacher Archiv zusammentrug, war über die erste Ehefrau fast nichts bekannt. Das änderte sich als Peter Böthig im Gästebuch seines Museums einen Eintrag von Gabriele Weil fand, der Nichte von Else Weil, die in London lebt. Sie konnte von ihrer Tante 20 Fotos und 50 Dokumente zur Verfügung stellen. Nun begannen weitere Recherchen zu diesem Lebensschicksal einer deutsch-jüdischen Frau in 40 Archiven und Nachlässen, bei der auch schon frühzeitig die Kuratorin der Ausstellung Alexandra Brach beteiligt war. Wie die Medizinstudentin Claire im erfolgreichen Buch steht auch die reale Else Weil für Emanzipation als Frau, Ärztin und Jüdin. Sie gehörte zu den ersten Frauen, die in Preußen Medizin studierten. Ein Zeugnis der ärztlichen Vorprüfung, das Physikum, bescheinigt ihr die Note gut. Weitere Dokumente belegen ihren Werdegang im städtischen Krankenhaus Charlottenburg Westend, die erfolgreiche Promotionsprüfung 1918 und ihre Unterschrift unter den Hippokratischen Eid im Jahr 1918, gefunden im Archiv der Humboldt-Uni Berlin.

Buchausgabe Nr. 1 für Claire

Besonders stolz sind die Ausstellungsmacher auf ein kleines Büchlein, versehen mit der roten Ziffer 1, das in einer kleinen Glasvitrine präsentiert wird. Sie haben die Rarität in einem Münchner Antiquariat entdeckt und mit Hilfe von vielen Sponsoren im Land Brandenburg für 10.000 Euro erworben. Im Jahr 1913 lässt Tucholsky 30 Exemplare einer limitierten ledergebundenen Luxusausgabe von „Rheinsberg“ anfertigen. Die Nummer 1 widmet er der Claire. Wegen seiner angeblichen Frivolität lehnten zahlreiche Verlage das Manuskript ab. Tucholsky verkaufte die Rechte für 125 Mark und konnte zumindest am heftigen und unerwarteten kommerziellen Erfolg nicht teilhaben. Allerdings wurde noch zu seinen Lebzeiten eine Auflage von 100.000 Exemplaren erreicht, heute geht sie in die Millionen. Ganz in der Nähe dieses Buches ist eine lilaseidene Schatulle platziert mit den Initialen C.P., die für Claire Pimpusch stehen, den Namen für die literarische Figur im Buch „Rheinsberg“. Darin soll Tucholsky die Briefe seiner Claire aufbewahrt haben. Obwohl der Name Pimpusch, den Tucholsky dem Roman von Heinrich Mann „Im Schlaraffenland“ entlehnte, wenig schmeichelhaft war, wurde es der Spitzname von Else Weil. Sie hatte Humor und besetzte diesen Namen positiv mit ihrer Ausstrahlung.

Nazis entzogen ärztliche Zulassung

Der Humor ging die selbstbewussten Elsa in ihrer recht kurzen Ehezeit angesichts der Untreue von Tucholsky verloren. „Als ich über die Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, ließ ich mich scheiden“, ist aus einem ihrer Briefe überliefert. Auch nach der Scheidung brach der Kontakt zwischen beiden nicht ab. Allerdings nahm Else Weil-Tucholsky vor der Machtübernahme der Nazis wieder ihren Mädchennamen Weil an. Sie wollte sich nicht durch die Nähe zu ihrem geschiedenen Ehemann in Gefahr bringen. Noch im Jahr 1933 verlor sie ihre Anstellungen an einer Medizinischen Klinik in Berlin und dann entzogen die Nazis Else Weil die ärztliche Zulassung, später die Approbation.

Emigration und Tod in Auschwitz

Ein ganzes Kapitel der Ausstellung ist ihren Stationen auf der Flucht aus Deutschland und ihrer Emigration in Frankreich gewidmet. Ihr Tod in Auschwitz bliebe für ihre Nichte in London immer noch eine offene Wunde, berichtet Dr. Böthig, der mit der 80jährigen Gabriele Weil Kontakt hält. Und immer stelle sie sich die Frage, warum Else es nicht geschafft habe, den Nazis zu entkommen. Eine Antwort sei, so Dr. Böthig: Nur diejenigen, die sich versteckt haben, die haben überlebt und Else Weil habe sich nicht versteckt. Die Ausstellung kann auch die letzten Tage der Else Weil dokumentieren: Am 9. September 1942 verlässt sie mit dem Transport Nr. 30 das Lager Drancy im Nordosten von Paris in Richtung Auschwitz. Auf der Liste der 1017 Deportierten steht an 49. Stelle der Name von Else Weil, geboren am 19. 6. 1889. Von den Insassen dieses Transportes überlebte niemand.

Fragmente eines Lebensweges

Trotz der umfangreichen Recherchen bleiben im Werdegang der Else Weil noch Lücken. Deshalb trägt die Ausstellung die Unterzeile „Fragmente eines deutsch-jüdischen Lebensweges“. Dennoch entsteht vor den Augen des Betrachters das Bild einer selbstbewussten, attraktiven, geistreichen und humorvollen Frau mit bezaubernder Ausstrahlung. „Es ist sicher ganz im Sinne von Tucholsky“, so lautet das Resümee von Dr. Böthig, „im Jahr seines 75. Todestages, für ihn jene Frau zu würdigen, die als Ärztin und Jüdin einige Jahre an seiner Seite den Aufbruch in ein neues Zeitalter verkörpert und mit ihrem grausamen Tod an die Opfer des Völkermordes erinnert.“

Gleichklang von Selbstbewahrung und Selbsthingabe

Die Ausstellung über Else Weil kann noch bis zum Februar 2011 täglich außer montags in Rheinsberg besucht werden. Dann ist sie voraussichtlich in Gral Müritz zu sehen, dem Ort, wohin Else Weil und Kurt Tucholsky im Jahr 1920 ihre Hochzeitsreise führte. Eine weitere Anfrage kam aus Hamburg. In einem Antwortbrief an einen Rezensenten formulierte Tucholsky, worum es ihm in seiner Erzählung „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ hauptsächlich ging, um „den Gleichklang von Selbstbewahrung und Selbsthingabe.“ Durchaus könnte dies auch eine Lebensmaxime von Else Weil sein, der Claire, die uns die Rheinsberger Ausstellung sehr nahe bringt.

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Literatur:

Sunhild Pflug: Dr.med. Else Weil, Auf den Spuren von Kurt Tucholskys Claire aus „Rheinsberg“ Jüdische Miniaturen, Hentrich&Hentrich, 1. Auflage 2008

Michael Hepp: Kurt Tucholsky – Biographische Annäherungen, rowohlt 1999

Roland Links, Herausgeber, Kurt Tucholsky, Briefe Auswahl 1913 bis 1935, Verlag Volk und Welt Berlin 1983 

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