Eisflitzer nehmen Kurs auf Sotschi – Und Erfolgstrainer Stephan Gneupel vertraut weiter auf manuelle Zeittafeln

Und als Einziger der Toptrainer weltweit hält er statt der modernen digitalen Rundenanzeiger für die Schützlinge an musealen Schiebekarten-Modellen fest. "Das wird auch in dieser Saison so bleiben", verriet der Erfurter. Immerhin habe er mit den roten und blauen Anzeigetafeln seinen Läuferinnen zu manchem Weltrekord den Weg gewiesen. Jahrhundert-Eisikone Gunda Niemann-Stirnemann beispielsweise oder den Sprinterinnen Franziska Schenk oder Sabine Völker…"Da spielt auch ein bisschen Aberglaube mit, das Festhalten an erfolgreichen Gewohnheiten – außerdem lohnt sich für mich ein Umstieg für die letzten paar Monate nicht mehr." Gneupel ist 64 und wird wohl nach den olympischen Rennen 2014 in Sotschi seine alten, mehrfach gelöteten und geschweißten Schlittschuhe an den Nagel hängen…

Am Wochenende sind die Gneupel-Spezialtafeln wieder gefragt, denn bei den Deutschen Einzelstrecken-Meisterschaften in Berlin wird die vorolympische Saison eingeläutet. Bei den dreitägigen Wettbwerben werden zudem die letzten freien Startplätze für den Einstieg in die internationale Weltcup-Serie eine Woche später im holländischen Eislauf-Mekka Heerenveen vergeben. Beim Weltcup wiederum und natürlich beim späten Saison-Höhepunkt der Einzelstrecken-WM Ende März in Sotschi – zugleich vorolympische Testwettkämpfe – geht um die die Tickets für die olympische Medaillenhatz im folgenden Jahr.

"Wir streben mit unseren Besten Ränge in der Weltspitze oder den Anschluss an die Weltspitze an. Die Aktiven sollen beweisen, dass sie olympiatauglich sind", erklärte Gerd Heinze, Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), vor dem ersten Start in der Hauptstadt. Mindestens drei Medaillen seien wie im Vorjahr das Ziel bei der Haupt-WM in Russland. "Und wenn möglich noch etwas draufpacken."

Beim Vorhaben des Ausbaus der Medaillenbilanz spielt Gneupel wie in zwei Jahrzehnten eine maßgebliche Rolle. Er betreut in Thüringen nicht nur die Niemann-Erbin  und Konkurrentin der fünfmaligen Olympiasiegerin Claudia Pechstein (40), Stephanie Beckert, sondern hat als Bundestrainer Langstrecke auch den DESG-Ausdauerspezialisten neuen Schwung verliehen. Mit Moritz Geisreiter aus Inzell, Alexej Baumgärtner aus Chemnitz, Patrick Beckert aus Erfurt, Bruder der Silber-Olympionikin Stephanie, und Marco Weber (Chemnitz/München) sind vier DESG-Läufer bei der zurückliegenden WM unter den besten Zehn über 10 000 m eingekommen. Der  24-jährige Geisreiter schrammte als Viert nur knapp am Podest vorbei.

"Wir haben nach dem enttäuschenden olympischen Auftritt vor zwei Jahren in Vancouver das Training für die Langstreckler umgestellt und haben den Schwerpunkt wieder wie früher  auf die Ausdauer gesetzt", sagt Gneupel. Das habe sich bewährt, zumal "die Athleten vom Typ her eh mehr ausdauerbegabt sind".
Während Geisreiter, der 2-m-Mann aus Oberbayern, unumwunden eine WM-Medaille als Ziel angibt, möchte sich Baumgärtner, Sohn von Spätaussiedlern aus Russland, vor allem erst mal "in den Top Ten der Welt etablieren".

Von Stephanie Beckert und Claudia Pechstein – jeweils 3000 m und 5000 m sowie die Staffel, Pechstein noch im Neu-Wettbwerb Massenstart  – erwartet die DESG Medaillenränge. Die 24-jährige Beckert unterstrich am Freitag als neue Meisterin mit vorzüglichen 4:02,88 min über 3000 m vor Pechstein (4:06,74) ihre aktuell gute Verfassung. Und dass immer wieder kehrende Rückenprobleme dank Reha und ärztlicher Betreuung sie derzeit nicht einschränken.

Sprinterin Jenny Wolf aus Berlin, die im Vorjahr ihren Weltrekord über 500 m und ihre Dominanz an die Konkurrenz aus Asien verlor, hat die letztjährigen Rückschläge abgehakt und macht sich als 33-Jährige doch auf den Weg nach Sotschi. Mit 37,91 s hatte sie am Freitagabend einen "sehr guten" Saisoneinstieg: "Ich glaube, schneller war ich zu diesem Zeitpunkt und bei Deutschen Meisterschaften bisher kaum." Im Verlauf des Winters möchste sie "zurück zu meiner besten Leistung und zurück auf das Medaillentreppchen." Beides ist ihr durchaus zuzutrauen.

Über 1000 m der Männer hofft der Berliner Samuel Schwarz, "dass ich an meinen ersten Weltcup-Erfolg anknüpfen kann." Das Training im Sommer sei jedenfalls erfolgreich verlaufen "und so bin ich auf jeden Fall optimistisch. Wichtigster Wettkampf sind ganz klar die Einzelstrecken-WM."

Die DESG ist in  Dresden (Short Track) und Inzell im Februar sowie Erfurt im März  Gastgeber von Weltcups. Der "Testballon" der Mehrkampf-Meisterschaften im August in Inzell sei "sportlich und von der Zuschauer-Resonanz" erfolgreich verlaufen, wie Nationalmannschafts-Teamleiter Helge Jasch meinte. Und so rechne er damit, dass dieser Sommerwettbwerb wie bei den Biathleten wegen der Wettkampf-Fülle im Winter fortgesetzt wird. Mit sicherlich Wechsel des Schauplatzes nach Erfurt bzw. Berlin.

Bei den üblichen Ehrungen vor dem neuen Eislauf-Winter wurden Moritz Geisreiter und Stephanie Beckert nach Votum der Journalisten zu "Kufenflitzern" der Vorsaison gekürt. Sabine Diehn aus Berlin wurde als beste Nachwuchstrainerin ausgezeichnet und Stephan Gneupel wurde die Ehrung als "Trainer des Jahres" zuteil.

Die manuell zu bedienden Zeittafeln – hat er versprochen – will er nach Dienstende 2014 aber nicht irgendwo im Altmüll entsorgen. Ds Eisschnelllauf-Museum im thüringischen Arnstadt hätte sicher Platz für das Unikat mit Vergangenheitswert.

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