Einfachste Mittel, grandiose Wirkung! – Serie: „Hans Holbein d. Ä.: Die Graue Passion in ihrer Zeit“ als Landesausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart (Teil 1/2)

Hans Holbein d.Ä. (um 1465 – 1524),

Wir wollen das ganz anders machen und uns völlig auf die Graue Passion beschränken, dies aber zum Anlaß nehmen, diese Passion auch inhaltlich zu erläutern. Was gab es früher, einschließlich der byzantinischen Kunst? Es gab Christus- und Marienerzählungen, es gab die Kreuzwegstationen bis hin zur Kreuzigung, die einzeln oder im Kontext an die Wände oder auf Holztafeln, dann Leinwände gemalt wurden. Im späteren Mittelalter hatte sich aber in Deutschland eine neue Glaubenshaltung durchgesetzt, die hierzulande den Bezug des einzelnen zu seinem Gott in den Mittelpunkt stellte, ein Gott, der nicht nur den strahlenden Himmel- und Erdenherrscher auf seinem Thron darstellt, sondern den gequälten, der für das Seelenheil der Menschheit gemordeten Jesus Christus, was sich zum Schmerzensmann fügte.

So entstand allerorten die Beschäftigung mit der Passion Christi, sowohl in Bildern, wie aber vor allem in Mysterienspielen, die dramatisch zur Kreuzigung führten, dann aber genau so bewegt den Fortgang brachten. All das, was für uns heute dazu gehört, die Abnahme vom Kreuz, die Grablegung, die Auferstehung waren nun erst entstehende Ausdifferenzierungen der Geschichte und gleichzeitig emotionale Höhepunkte dieser Spiele, wie sie in Oberammergau beispielsweise überlebt haben. Für den Maler war es also wichtig, die hohe Gefühlsqualität des Geschehens in die Bilder zu bannen. Dies hat Hans Holbein d.Ä. versucht und dies ist ihm gelungen.

Dabei setzt er erst einmal nicht auf die Farbe, seit jeher Ausdruck von Gefühlen, sondern geht den umgekehrten Weg, indem er die Farbe eliminiert und in alles in eine Grau-in Grau-Malerei hüllt, die wir von van Eyck und Rogier van der Weyden meist als gemalte Bildhauerwerke kennen, niemals aber für einen ganzen Altar, was deshalb einzigartig in der europäischen Altarmalerei dasteht. Stellen Sie sich also einen Altar mit zwei Flügeln vor. Auf der Außenseite, der Werktagsseite in geschlossenem Zustand, befinden sich links und rechts insgesamt sechs Tafeln, die von oben nach unten in Zweierfolge die Passion zu erzählen beginnen. Sofort fällt auf, daß Christus herausragt. Er hat, kaum wird er drangsaliert, nicht mehr sein grauen Gewand an, sondern es ist die Menschenhaut, die ihn hervorstechen läßt. Aber es ist auch sein gefaßtes, fast stoisches Gesicht, das verblüfft. Hier ist einer, der weiß, was mit ihm geschehen wird und der das akzeptiert.

Wenn Jesus hier auch wie ein Schauspieler wirkt, dann hat das eben mit den Passionsspielen zu tun. Denn die Szenen, in der Reihenfolge von links nach rechts und oben nach unten: Christus am Ölberg – Sie erinnern sich an die Anrufung des Vaters und den Kelch, den er vorübergehen lassen möchte – ,die Gefangenennahme durch den Verrat des Judas und seines Judaskusses, Christus vor Hannas, der jüdische Hohepriester, der ihn verhört und an Kaiphas weitergibt, was hier nicht im Bild zu sehen ist, wohl aber die Geißelung, die Dornenkrönung und die Situation, die als Ecce Homo benannt ist, weil Staathalter Pilatus keine Schuld bei Jesus sieht und ihm dem Volk als Menschen präsentiert, nicht als Gott und nicht als Unmensch.

Wie diese Abfolge auf den Tafeln dargestellt ist, zeigt eine äußerste Bewegtheit, die durch das Grau und die Figuren aber gemäßigt und wie in einer Momentaufnahme erstarrt scheint. Das kommt einem wie ein in Einzelaufnahmen festgehaltener Film vor, das heißt aber auch, daß zwischen den sechs Bildern eine Spannung entsteht und die Dynamik des Geschehens sich auch in unseren Köpfen abspielt, weil wir die Zwischenräume, also die Leisten beleben. Hat man sich erst einmal in die Personen hineingesehen, so sieht man dieselben Köpfe immer wieder, am Beispiel des Malchus exerzieren das der Katalog und das Hörbuch wunderbar nach. Fortsetzung folgt.

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Info:

Ausstellung bis 20. März 2011

Katalog: Hans Holbein D.Ä., Die Graue Passion in ihrer Zeit, hrsg. von Elsbeth Wiemann, Verlag HatjeCantz 2010

Wie verhält es sich mit dem Vergleich von Ausstellung und Katalog? Zwar lassen sie sich im eigentlichen nicht vergleichen, denn Anschauung, das Anschauen von Originalen im Museum läuft auf einer anderen ästhetischen Schiene ab und findet in anderen Gehirnregionen statt als das Lesen und Betrachten von Bildern in Katalogen. Und dennoch hat man immer wieder das Gefühl, hier bessert der Katalog, der ja auf Erläuterungen und das Durchdringen der Kunst mit Kennerschaft angelegt ist, eine Ausstellung auf und immer wieder passiert es auch, daß man erst durch den Katalog mitbekommen hat, welche Kleinodien sich in Allerweltsausstellungen verbergen. Dieses dicke, umfangreiche und schöngedruckte Begleitbuch zur Hans Holbein Ausstellung, von dem möchten wir sagen: Es ist genauso gut wie die Ausstellung und das ist viel!

Es beginnt mit einer Einführung in das Leben und das Werk des älteren Hans Holbein, dem sein Zweitgeborener Hans d.J. die Schau gestohlen hat, so wie sein Bruder Sigmund nie an den Bruder Hans d.Ä. herankam, ja ihn gerichtlich zwingen mußte, ihm die Hilfsdienste zu bezahlen. Unsereiner wäre froh, er könnte so malen wie dieser Sigmund und auch des Jüngeren Bruder Ambrosius gefällt. Letztlich kennt man aber als Maler und als Mensch nur Hans Holbein d.J., nicht nur weil er die Großen der Zeit porträtierte, mit denen er befreundet war, also nicht nur Maler war, sondern als Renaissancemensch politisch-gesellschaftlich mitten im Lebenstand. Hier nun erfährt man, daß nicht mal das Geburtsdatum von Hand d.Ä. bekannt ist und immerhin die Spanne von 1460-70 umfaßt, was eben auch bedeutet, vor oder schon in Augsburg geboren, was Lebensmittelpunkt wird. Aber was Frühwerk, was Meisterschaft, was Spätwerk, was von ihm eigenhändig, von der Werkstatt, die er umfangreich besaß, von den Söhnen, was vom Bruder gemalt wurde, davon wissen wir wenig und auch das beliebte Rätseln der Händescheidung, wer also den Pinsel oder den Stift führte, führt dann nicht weiter, wenn es eben nicht um Originalität und den eigenen Strich, sondern um die perfekte Imitation einer gemeinsamen Linie geht.

Erstaunlich dann auch Gegenüberstellungen mit Rogier van der Weyden auf Seite 18/19, wo man sofort die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede in den Porträts sieht. Dabei ist das nur der Anfang, denn der Katalog hat natürlich die Graue Passion zum Hauptinhalt. Alles, was Sie wissen wollen, eben auch die aufwendige Restaurierung wird erläutert und der eigentliche Katalog, der auf Seite 163 beginnt, zeigt bis S. 427 fast immer in Ganzseitenabdrucken die vielen Vergleichsbeispiele, die in der Ausstellung glänzen. Hier werden sie auch für den Laien oder den halben Kunstkenner zusätzlich durch die Worte in den Kontext der Ausstellung gebracht.

Kunst zum Hören: Hans Holbein d.Ä., Die Graue Passion, HatjeCantz Verlag 2010

Wir mögen diese Reihe, die einem mit dem Bild vor Augen im Ohr das Geschaute erläutert, sowieso. Weil nicht nur die Gehirnforschung sagt, das doppelt besser hält, sondern weil der kunsthistorische Blick eben Dinge sieht, die man mit ungeschultem Auge leicht übersieht oder deren Bedeutung man nicht erkennt. Aber diesmal hat sich der Verlag selbst übertroffen. Das ist eine besonders gelungene Fassung, was vielleicht auch daran liegt, daß die Thematik der Passion trotz der vielen Vergleichsbeispiele eine gemeinsame bleibt und von daher die CD mit ihren 23 Hörbeispielen, die auf 39 Seiten zu sehen sind, eine abgerundete Komposition ergeben. Es muß nicht an den ersten Bildern, das sind eben die Passion, aller erläutert und erklärt werden, sondern vieles, was auch für die Passion gilt, kommt dann erst bei Schongauer, Dürer oder Einzeldarstellungen aus der Passion dran. Sehr gelungen und sehr zu empfehlen.

www.staatsgalerie.de

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