Einer der größten Gewinner der Krise – die Türkei

Aber noch immer ist die Türkei politisch sehr gespalten. Dieser Tage stehen fast 200 Top-Offiziere, darunter drei Kommandeure im Ruhestand, vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, eine Verschwörung sowie den Sturz der gegenwärtigen Regierung Erdogan vorbereitet zu haben. Doch die Anleger haben inzwischen die ungewohnte Stabilität der Einparteienherrschaft belohnt und man geht davon aus, dass Tayyip Erdogan im kommenden Sommer eine dritte Amtszeit antreten wird, so dass damit die Fortsetzung des zumindest gegenwärtigen Standards gewährleistet zu sein scheint. Untermauert wird diese Stabilität mit dem wirtschaftlichen Potenzial des Landes und seiner relativ jungen Bevölkerung von 75 Millionen relativ billigen Arbeitskräften.

Allerdings gibt es auch Anlass zu Bedenken, denn am vergangen späten Donnerstag hat die türkische Zentralbank die Leitzinsen um 50 Basispunkte auf ein neues Rekordtief von 6.5 Prozent gesenkt. Das gilt als Indiz dafür, dass sich zwar das Wachstum im Land blendend entwickelt hat, aber steht für Befürchtungen, dass sich die Wirtschaft nun überheizt werden könnte.

So schreibt „The Wall Street Journal“, die Politiker in Ankara würden damit „zocken, spekulative Investoren mit den gesenkten Zinsen abzuschrecken, um anstatt dessen den inländischen Verbraucher-Konsum anzuheizen. Der starke Zustrom von `heißem Geld` habe eine zentrale Schwäche in der türkischen Wirtschaft verursacht“ und somit werde zu Recht befürchtet, die Wirtschaft könne sich überhitzen.

Sicherlich wurde das Wachstumsmodell Türkei durch eine immense Verbraucher-Nachfrage angetrieben. Hier muss jedoch beachtet werden, dass das Land stark auf Importe angewiesen ist, sich auf die Teilfertigung von ausländischen Waren spezialisiert hat und über wenige Energieressourcen verfügt. Neueste Zahlen zeigen, dass die Importe zur Zeit bei 35 Prozent liegen, während sich das Exportwachstum auf 8.8 Prozent verringerte, was wiederum zu einem Leistungsbilanzdefizit von 360 Milliarden USD im Zeitraum von Januar bis Oktober 2010 führte. Im Vergleich zu dem gleichen Zeitraum im Vorjahr bedeutet dies eine riesengroße Ausdehnung von 288 Prozent. Experten sagen, je schneller die Türkei expandiere, umso schneller erweitere sich das Defizit und umso anfälliger würde die Wirtschaft für Schocks, falls sich einmal die Stimmung der Anleger verändere. Vor allem würde diese Lücke durch die Tatsache entstehen, weil hier viele spekulative Investitionen getätigt würden, sogenanntes „heißes Geld“ fließt, das sich aber ganz schnell wieder verflüchtigen könne, wenn die Zinsen gesenkt werden, um sich in anderen Ländern wie den USA, Großbritannien oder der Euro-Zone höhere Erträge zu suchen.

Rating-Agenturen sagen, dass das Leistungsbilanzdefizit der Grund dafür gewesen sei, die Leitzinsen zu senken, während Regierungs-Minister mit steigender Regelmäßigkeit davor warnen, durch den Zufluss von „heißem Geld“ könne die Wirtschaft untergraben werden. Übersehen werde dabei allerdings, so das Wall Street Journal, dass die Inflation auf einem historisch niedrigen Stand sei und die Glaubwürdigkeit der Politik beständig steige, die ein schnelles Wachstum und einen Rückgang der Staatsverschuldung eingeleitet habe. Außerdem sei das „Rohmaterial“ vorhanden: die strategische Lage zwischen Asien und Europa, ein demokratisches System sowie eine Jahrhunderte alte Tradition als Handels-Drehscheibe geben der Türkei ein großes wirtschaftliches Potenzial an die Hand.

Auch wenn es mögliche Fallstricke gebe wie beispielsweise die umstrittene Zinssenkung, am Donnerstag, könnten die Entscheidungsträger der Türkei mit einem Wiedererstarken des Wachstums und der Fortführung der politischen Glaubwürdigkeit sich über die Bedenken einer überhitzten Wirtschaft hinwegsetzen, um mit ihrer Erfolgsgeschichte fortzufahren.

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