Einen Doppelten, bitte! – Lange Eindeckergelenkbusse behindern den Berliner Verkehr, Doppeldecker könnten helfen

Bahnhof Kurfürstendamm in Berlin. © Foto: Andreas Hagemoser, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 24.11.2015
Doppeldecker nur noch im Zoo und als „Sight-Seeing-Buses“? Gaslaternen nur noch in Europas größtem Freilichtmuseum an der Straße des 17. Juni in Tiergarten und in wenigen, privilegierten „historischen“ Bereichen? Cui Bono – wer hat was davon? Der Abbau von Gaslaternen soll Geld sparen – angeblich. Schöngerechnet wurde das von Experten, die meist aus dem Stromgeschäft kommen oder mit ihm verbandelt sind. Da kann man auch gleich den Bock zum Gärtner machen. Die Aufstellung neuer Laternen behindert nicht nur kurzfristig zusätzlich den Verkehr, sondern kostet vor allem enorm viel Geld – Ihr Geld, Herr und Frau Steuerzahler!
Zudem zeigt das Beispiel der Berliner S-Bahn-Katastrophen, dass man heilfroh sein kann, wenn in einem Bereich wenigstens irgendwas noch funktioniert. Hätte man die BVG mit der U-Bahn nicht gehabt, wäre der Nahverkehr ganz zusammengebrochen. Auf die Straßenbeleuchtung übertragen heißt das: Wenn wir bis auf Ausnahmen nur noch elektrische Lampen haben werden oder hätten, wäre bei einem Stromausfall die ganze Stadt dunkel. Zurzeit wären bei einem Blackout New Yorker Verhältnisse ausgeschlossen – der Gaslampen sei Dank!
Und: Das Ganze betrifft und beträfe ja schließlich die Hauptstadt. Aber vielleicht ist das ja auch Absicht und die „finanziellen Gründe“ nur eine Ausrede. In New York passierte beim stadtweiten Ausfall des Stroms vor allem zweierlei: Die Kriminalität stieg – auch durch Plünderungen – ins Unermessliche und die Geburtenrate immerhin deutlich. Das Kindergeld hat diese bisher nicht nach oben bringen können; aber vielleicht könnte EIN Stromausfall das Problem der aussterbenden Deutschen lösen und die Renten für immer sichern? Die kriminellen Folgen eines Blackouts wären ja mangels Bewaffnung vielleicht begrenzt”¦ Trotzdem: Das kann natürlich nicht sein.
Was den Betrieb der Gaslaternen, die teilweise in Berlin erfunden wurden, so teuer machen soll? Ersatzteile, so war zu hören gewesen, gebe es teils nur noch in Indien. Ja, das ist wirklich schlimm. Indien ist ja als Hochpreisland bekannt! Ist es nicht auch G7-Mitglied? Seitdem Bewag und Gasag zerstört wurden und Vattenfall & Co. so tun, als hätten sie das Sagen, gab es schon viele Veränderungen zum Schlechten. Ein weiterer Abbau der Gaslaternen wäre aber wohl unumkehrbar und trifft Berlin ins Mark.
Bei einem weltweiten Bestand in der Größenordnung von etwa 90.000 Laternen stellte Berlin mit ca. 44.000 Straßenlampen die Hälfte und ist die Gaslaternenstadt der Welt überhaupt. Noch.
Touristen kommen auch wegen der Doppeldecker und des Gaslichts
Berlin lockt Touristenströme an, die Hotelbranche boomt, Partys werden gefeiert. Wer denkt darüber nach, warum das so ist? Staatliche und örtliche Stellen sind gern mal dabei, wenn es darum geht, sich mit fremden Lorbeeren zu schmücken. Läuft der Fremdenverkehr gut, liegt es ganz bestimmt nur und ganz allein an dem „Marketing“ öffentlicher und halböffentlicher Stellen und Agenturen. Denn wer sonst streicht die Verdienste ein? Der Einzelne kann ja nicht so vermessen sein und die Verantwortung für das Wachstum der Besucherzahlen beanspruchen. Bäume und Häuser dagegen schweigen.
Nur die Gaslaternen singen in ruhigen Nächten leis ihr ungehörtes Lied, könnten Geschichten erzählen von vergangener Größe der Städte, die heute Groß-Berlin ausmachen: Charlottenburg, Köpenick, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf, um nicht alle zu nennen. (Damit sich kein Bürger benachteiligt fühlt in alphabetischer Reihenfolge genannt.) Im Mittelalter, das vor allem Spandau und Köpenick erlebten, gab es zwar Hauptmänner, aber noch keine Gaslaternen. Doch schon im Königreich Preußen wurden sie eingeführt, lange bevor es elektrischen Strom (dort) überhaupt gab.
Die später reichste Stadt Preußens, die königliche Residenzstadt Charlottenburg, führte in den 1860er Jahren die ersten Gaslaternen ein. Bei unter 20.000 Einwohnern zunächst weniger als 200 Stück vor allem an der Berliner Straße, heute: Otto-Suhr-Allee. Am selben Ort schien übrigens das erste Mal im Berliner Raum elektrisches Licht: Ganz privat in der Prachtvilla des Herrn von Siemens. In der Stadt Charlottenburg, nicht etwa in Berlin.
Viele Unternehmen trugen zur Hochzeit und Weiterentwicklung des Gaslichts bei, Stichwort: Glühstrumpf. Mit dabei viele jüdische Firmen. Dieses ganze historische Erbe soll jetzt leichtsinnigerweise hergeschenkt werden. Die Gaslaternen, deren Aufstellung nichts kostet, da es sie schon gibt, sollen zu Hunderten und Tausenden (weiter) abgebaut, zerstört, verschrottet werden (was Geld kostet) und durch neue Elektrolaternen ersetzt. Das belastet den Berliner Etat, der sowieso schon jenseits von gut und böse ist. Noch mehr Schulden zu machen, kann sich eigentlich keine Stadt mehr leisten. Aber mit der Ausrede „Modernisierung“ und zweifelhafter Betriebskosteneinsparung werden Dinge verändert und zerstört, die prima in Ordnung sind, während es an allen Ecken und Enden fehlt. Von gesundheitlichen Folgen mal nicht zu sprechen, denn brennendes Gas ist ein natürlicher Anblick, während Leuchtstofflampenlicht Elektrosmog und bioenergetischen Stress erzeugt und auch für die Augen schlecht ist.
Und die Folgekosten? Zur Zeit kommen die Touristen ist Scharen, Fahrradverleihe, Stadtrundfahrten und andere Angebote in Fremdsprachen haben Konjunktur. Warum fühlen sie sich in Berlin so wohl? „Wegen der Berliner Luft!“ Bestimmt. Zum Glück kann die der Senat nicht austauschen, sonst würde das wohl auch für viel Steuer-Geld geschehen. Da wird aber in die falsche Richtung gesteuert. Der ach so beliebte Prenzlauer Berg, der wunderbare Friedrichshain, die Gegend mit den Cafés und Restaurants rund um den Savignyplatz, die Nebenstraßen der Wilmersdorfer Straße – was wären sie ohne Gasbeleuchtung? Nichts. Naja, nicht nichts, aber sehr entwertet! Alles verlöre an Attraktivität. Alles erschiene in einem anderen Licht.
Omnibus für alle, Oberdeck für wenige
Ähnlich die Situation bei den Bussen. Busfahren kann man auf der ganzen Welt, dafür muss man nicht nach Berlin kommen. Auch Gelenkbusse sind keine Seltenheit. Wobei kein Mensch weiß, warum die „Gelenk“busse heißen, lang und ungelenkig wie sie sind. Selbst dort, wo drei Doppeldecker an eine Haltestelle passen, wie an Adenauerplatz und Kurfürstendamm, ist oft nicht genug Platz für die Gelenkbusse, die dann aufeinander warten müssen. Am Adenauerplatz oder von der Joachimstaler Straße können sie manchmal nicht in die Kreuzung einfahren. Ein Einsteigevorgang kann seine Zeit dauern. In jüngster Zeit werden die Busse sowieso immer voller, da die Einwohnerzahl Berlins steigt. Von den Flüchtlingen ganz zu schweigen. Das Foto dokumentiert beispielhaft so eine Blockade: Während der ungelenkige Gelenkbus der Linie 109 Richtung Flughafen Tegel am U-Bahnhof Ku’damm hält, müssen Fahrer und Fahrgäste des X10ers warten, weil die Busse zu lang sind. Obendrein ist hinter dem X10 auf der Busspur kein Platz, so dass noch nicht mal mehr ein Taxi auf die Kreuzung am Kranzlereck passt. Führe aber doch noch ein Wagen auf die Spur – auch so ein Unart der jüngsten Zeit– wäre die Kreuzung blockiert.
Resultat: Spritverluste, Zeitverlust, Launenverlust. Geldverlust; auch bei den Verkehrsbetrieben. Verspätungen. Garantieansprüche. (Die einzigen, die vielleicht von der Lage profitieren, sind die Taxifahrer, die entnervte und ungeduldige Passagiere aufnehmen und örtlich noch mehr Stau bilden.)
Und:Attraktivitätsverluste, weil Eindecker lang und langweilig sind und nur ein eingeschränktes Sichtfeld bieten. Bei Kindern wie Erwachsenen, besonders bei Berlinbesuchern ist die erste Reihe im Doppeldecker sehr beliebt. Oft hört man jauchzende Freudenschreie, wenn eine Familie die Treppe erklimmt und feststellt, dass vorne frei ist. Hongkonger und Londoner Postkarten waren voll von Bildern von grünen und roten Doppeldeckern, als ob sie zur Stadt dazugehörten. Keiner konnte sich vorstellen, dass sie eines Tages nicht mehr da wären. Auch Hongkong und London waren bzw. sind Touristenmagnete. Obwohl das nicht messbar ist, ist es naheliegend, dass Besucher auch wegen der Doppeldecker kommen. Sie machen wie vieles andere das Flair der Stadt aus. So wie Scooter und Fahrradrikschas Neu-Delhi oder die bunt geschmückten Sammeltaxis die Philippinen.
Berlin ohne Doppeldecker und das milde Licht der Gasflammen ist wie Weihnachtsmarkt ohne Musik, ohne Schnee und ohne Glühwein. Wer will da noch hin?
Deshalb der flammende Appell: Berliner! Kauft mehr Doppeldecker! Rettet die Gaslaternen! Jetzt oder nie!
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