Eine Zensur findet statt! Vorauseilender Gehorsam rächt sich – Serie: Auftaktpressekonferenz zur 61. Frankfurt Buchmesse vom 14. bis 18. Oktober (Teil 3/3)

Dai Qing Bei Ling

Nachdem dieser am Donnerstagvormittag das Arrangement verkündet hatte, daß um die angedrohte Absage aller Offiziellen Chinas zum Symposium zu verhindern, die beiden zwar nicht mehr als Gäste zum Symposium geladen sind, also ausgeladen wurden, dafür aber Raum und Zeit auf der Buchmesse selber erhalten, und Juergen Boos eindringlich die gemeinsame Veranstaltung beschwor und die Kooperationspartner China und den deutschen P.E.N. nannte, wobei das Symposium dazu da sei, miteinander zu reden und nicht über die Chinesen zu reden – „Deshalb muß man manchmal gewissen Kompromisse eingehen“ -, ist am selben Tag alles in Rutschen gekommen und auf Initiative von Herbert Wiesner, dem Generalsekretär des deutschen P.E.N. als Mitveranstalter Dai Qing erneut eingeladen worden, versehen mit einem Visum für die Bundesrepublik. Danach gab am Abend auch Bei Ling, der dem chinesischen ExilPEN angehört, bekannt, daß er zum Symposium kommen wolle.

Die Frankfurter Buchmesse hat nunmehr durch das Einknicken vor chinesischen Forderungen genau die Öffentlichkeit geschaffen, Willkür und Zensur in China erneut zu zeigen, die die Chinesen mit ihrer Boykottdrohung, sich mit Regimegegnern nicht an einen Tisch zu setzen, verhindern wollte. Auch wenn die schwierige Position der Buchmessenvertreter Ripken und Boos allen deutlich ist, die nicht nur für den schmalen Segler Symposium verantwortlich, sondern für die ungehinderte Fahrt des gesamten Flagschiffs samt Flotte der Buchmesse verantwortlich sind, ist die Grundsatzfrage einfach diese, ob sich in der Bundesrepublik Deutschland eine Gegenöffentlichkeit, die in China verboten ist, verhindern lasse. Mit Hilfe des P.E.N. und auch mit Unterstützung einer eindeutigen Haltung der Presse geht das nicht. Das ist das Erste, was Buchmesse und die Verantwortlichen aus China daraus lernen müssen, denn jetzt gilt für alle abzuwägen, wie die Konferenz, die als inhaltliche Vorbereitung auf die Buchmesse unter das Motto: „China und die Welt – Wahrnehmung und Wirklichkeit“ gestellt ist, ablaufen kann, nachdem sich herausgestellt hat, daß China in seiner Wahrnehmung, auch in Ländern, wo Meinungsfreiheit im Grundgesetz steht, wie in China agieren zu können, auf eine andere Wirklichkeit gestoßen ist.

Juergen Boos und seine Mitstreiter müssen sich noch eine andere Frage gefallen lassen, nämlich die nach dem vorauseilenden Gehorsam und der Frage nach dessen Grenzen. Kann man bei einer Veranstaltung mit Kooperationspartnern die Regeln für alle bestimmen? Das hätte die Buchmesse schon vorgeben können, so allerdings hat sie den Forderungen der Chinesen nachgegeben, damit aber sogleich Gegenwehr und Forderungen des weiteren Kooperationspartners deutsches P.E.N. provoziert, der in Deutschland für sich nicht weniger Rechte in Anspruch nimmt, als den Chinesen zugestanden wurde, nämlich seine Gäste einzuladen, die nunmehr Bei Ling und Dai Quing heißen. Wobei der Stachel im Fleisch der ist, daß der inhaftierte frühere P.E.N.-Präsident Chinas Liu Xiaobo noch immer ohne Anklage festgehalten wird und trotz aller – auch internationaler – Proteste sich daran nichts ändert. Es wird interessant zu verfolgen sein, wie Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer Eröffnungsrede darauf reagiert und was Ministerpräsident Koch zur Tibetfrage sagt, die er ansonsten im Munde führt.

Juergen Boos hat auch insofern das serviert erhalten, was er vermeiden wollte, daß der Gastlandauftritt auf der Buchmesse inhaltlich überhaupt nicht wahrgenommen wird. Schließlich sind seit Monaten alle möglichen Anstrengungen unternommen worden, chinesische Literatur auf der Messe so zu präsentieren, daß anschließend chinesische Autoren in unserem Land auch gelesen werden. Dafür unternimmt man diese Einrichtung des Gastlandes, die mal Ehrengast heißt, mal sinnvoller Gastland genannt wird, weil damit die Breite der literarischen Produktion genauso erfaßt ist wie die Gesellschaft, die diese Autoren hervorbringt. Insgesamt belegt der Ehrengast eine Ausstellungsfläche von 2.500 Quadratmetern auf dem Frankfurter Messegelände. In der Ebene 1 des Forums findet die zentrale Ausstellung mit 1.200 Quadratmeter statt. Dort werden 227 Verlagshäuser aus China rund 7.600 Bücher und Printprodukte präsentieren. Mehr als 800 Personen umfaßt die Delegation des Ehrengastes, darunter 500 Vertreter der chinesischen Verlagsbranche, die inzwischen privat betriebene Verlage erlaubt, mehr als 160 Schriftsteller und Journalisten, 150 Künstler , von denen elf das chinesische Kunsthandwerk repräsentieren, acht berühmte Architekten, fünf international bekannte Musiker, mehr als 100 Mitglieder etablierte Orchester und Musikgruppen, zwei ausgezeichnete Künstler sowie 30 Darsteller der berühmten Peking Oper.

Was das Organisationskomitee des Gastlandes China während der fünf Messetage inhaltlich veranstaltet, was dieser Artikel mit Vorstellen einiger chinesischer Autoren darstellen wollte, muß nun ein andermal mitgeteilt werden. Im Überblick kann gesagt werden, daß China mit seinen anwesenden Künstler 612 Kulturveranstaltungen durchführt, die die „Tradition & Innovation“ der chinesischen Kultur widerspiegeln sollen. Davon widmen sich 108 Veranstaltungen dem Verlagswesen in China, 345 Events beschäftigen sich mit chinesischen Autoren, 75 Open”Air Performances werden auf dem Frankfurter Messegelände zu sehen sein und 40 Veranstaltungen sind der chinesischen Kultur gewidmet. Es wird drei große Abendveranstaltungen geben, ein Konzert sowie 40 sonstige Veranstaltungen. Im Kino auf der Frankfurter Buchmesse sowie im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt zeigen 40 Filmklassiker unterschiedlicher Epochen die Geschichte Chinas.

* * *

www.buchmesse.de

Das komplette Programm der Frankfurter Buchmesse 2009 auf

www.buchmesse.de/veranstaltungskalender

www-deutsches-filmmuseum.de

Vorheriger Artikel„Poken – Party“ zeigt Netzwerke der Kommunikation und Bildung nur digital, die Buchmesse selber real – Serie: Auftaktpressekonferenz zur 61. Frankfurt Buchmesse vom 14. bis 18. Oktober (Teil 2/3)
Nächster ArtikelS-Bahn-Dilemma in Berlin: Eine Frage des Wissensmanagement