Eine Zeitreise durch die Geschichte der Wissenschaften mit Halt in Alexandria, Bagdad, Toledo, Florenz und Paris – Serie: „Ex Oriente Lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft“ zeigt das Landesmuseum Natur und Wissenschaft Oldenburg (Teil 1/3)

Diese Metapher der Erleuchtung durch den Osten, den das Christentum gebar, setzte sich bruchlos, spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert fort in der Glorifizierung des „ex oriente lux“ als Synonym für die orientalische Wiege der menschlichen Kultur. Daß wir dabei eurozentriert, „die menschliche“ Kultur mit unserer eigenen gleichsetzen und die kulturellen Errungenschaften, Erfindungen und Wissenschaftsfortschritte, beispielsweise Chinas, Japans und Koreas außen vorlassen, ist eine der Erkenntnisse, die man heute angesichts der erstmals als globale Weltgeschichte konzipierten sechsbändigen Ausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt fast demütig einsieht.

Sicher wird es also irgendwann auch eine globale Wissenschaftsgeschichte geben, denn die gegenseitigen Einflüsse über die Erdteile hin sind bekannt – und Korea hatte nun mal den Buchdruck ein Jahrhundert früher erfunden, als unser Gutenberg -, aber das Landesmuseum Oldenburg hatte mit der Konzipierung dieser kulturhistorischen Ausstellung schon erst einmal einen Meilenstein gesetzt, der tatsächlich der großen Stiefel bedarf, will man den Anspruch an die Entwicklung von naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Astronomie, Medizin, Ingenieurskunst, Physik, Chemie, Pharmazie, Biologie und Mathematik seit den Anfängen durcheilen, ihre Implantation in Europa darstellen und das alles in ein Museum zwängen. Ein Vorhaben, das die Ausstellungsmacher geschickt auf zweierlei Art und in zwei Ebenen in den Rahmen des klassizistischen Baus des Augusteums in Oldenburg einbauten. Während einem im Parterre Raffaels Stanzen aus dem Vatikan „Die Schule von Athen“- der geschichtliche Hintergrund für die Entwicklung des Wissens von der Antike bis zur Renaissance – den Weg weisen, sind es im ersten Stock Installationen, in denen mittels Spiegeln die Bibliothek von Alexandria imaginiert wird, durch eine Unmasse von Papyri und zusammengerollten Pergamentrollen ein hinreißendes Symbol für die Ansammlung von Wissen an einem Ort und zu einer Zeit, einst durch Brand vernichtet.

Es ist also zugleich ein Längsschnitt durch die Geschichte der einzelnen Wissenschaften zu besichtigen, wie auch ein Querschnitt des Wissen einer Zeit an fünf einzelnen Orten, die für ihre Jahrhunderte propädeutisch waren: Alexandria, Bagdad, Toledo, Florenz und Paris. Bleibt man erst einmal vor der Kopie des raffaelesken Gelehrtentreffens stehen, dann kann man diesen Prinzip des Längs und Quer auch im Gemälde wiederfinden. Hier ist es Aristoteles, der mit horizontaler Gebärde seine „Ethik“ als fundamentalen Maßstab der Welt hinhält, dort steht Platon mit vertikal erhobenem Arm, seinen „Timaios“ in der anderen Hand, der die Bewegungen der sinnlichen Welt als ideelles Prinzip symbolisiert.

Damit nun genug der gelehrten Herleitungen einer Ausstellung, die dem erhobenen Anspruch durch Ausstellen der vielen technischen Apparaturen in Holz, Messing und Glas, der Schriftzeugnisse auf Pergament, Papyri und Papier, der astronomischen und medizinischen Instrumente, der Glaskolben der Alchemisten sowie den ersten Automaten einlöst. Man kann diese Ausstellung von Wundern der dinglichen Welt aber auch ganz anders betrachten, nämlich mit staunenden Augen, was wir gleich tun werden. Wir staunen über die Schönheit dieser Instrumente, über ihre Sinnfälligkeit, über ihre Präzision, über den Erfindungsreichtum und das Wissen, das Menschen so viele Jahre vor uns hatten und ohne dessen Bewahrung, Pflege und Weiterentwicklung unsere hochtechnisierte Welt einfach nicht vorhanden wäre, mitsamt ihrer Computer, der Gentechnologie, der Weltraumflüge, ach, eigentlich allem, worauf unsere Gesellschaften stolz sind. Müßten wir persönlich das alles neu erfinden, würden wir uns in der Steinzeit bewegen. Von daher vermittelt eine solche Ausstellung auch Demut vor den Vorderen, seien sie aus dem Osten oder den Zentren Europas.

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Ausstellung: bis 24. Januar 2010

Katalog: Ex oriente lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft, Begleitband zur Sonderausstellung „Ex oriente lux“ im Augusteum Oldenburg, hrsg. von Mamoun Fansa, Verlag Philipp von Zabern 2009

Ein Ziegelstein. Ein wahres Schwergewicht. Aber das Papier braucht es auch, um die vielen Exponate darzustellen, ihre Wirkungsweise zu erklären, und darüber hinaus ganze Wissenschaftsgeschichten der Einzeldisziplinen im Überblick zu bieten. Dennoch sind die einleitenden Essays das Eigentliche, weshalb man diesen Katalog auch denen, die nicht nach Oldenburg kommen können – es werden viel zu viele sein – dringend empfehlen kann. Ein Buch fürs Leben, denn man kann immer wieder darin blättern und sich auf den Weg durch die Zeitreise der Wissenschaften machen. Und wer wirklich nicht kommen konnte, der hat in „Räume der Wissenschaften“ und „Themen der Wissenschaften“ detaillierte Abbildungen und Beschreibungen der ausgestellten Gegenstände, die wirklich sehr gelungen sind, und dem Museumsbesucher, der eh nicht alles auf einmal erfassen kann, das Gefühl geben, zu Hause noch einmal in Ruhe sich vertiefen zu können. Und auf der Seite 277 sieht man die bronzene Isis Lactans, aus der Spätzeit der 26. Dynastie Ägyptens, 664-525 v. Chr., bei der man mit einem Blick feststellt, wie viele Anregungen und Vorbilder ein Max Ernst für seine Skulpturen gewann.

Internet: www.NaturundMensch.de

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