Eine verschworene Gemeinschaft – Schuld und Sühne im Berlinale-Film „El Club“

Szene aus El Club, Regie Pablo Larraí­n. © Fabula

Mit unglaublicher Leichtigkeit nähert sich der Regisseur dem brisanten Thema. „El Club“ ist ein höchst bemerkenswerter Film über die dunklen Seiten der katholischen Kirche.

Windhunde, vier Männer und eine, als Aufseherin agierende Nonne, in einem halb verlassenen Ort an der windigen Küste von Chile. Als ein Neuankömmling das Haus der verbannten Priestergruppe betritt, wird die scheinbare Idylle getrübt. Misstrauisch beäugen die kauzigen Bewohner den Pater – sie sollen ein weiteres Mitglied in ihren Club der Verbannten aufnehmen. Während ein junger, heruntergekommener Mann vor dem Haus lautstark und explizit die sexuellen Taten schreit, die der neu angekommene Pater an dem kleinen Junge verübt hatte, fällt plötzlich ein Schuss. Pater Matias hat Selbstmord begangen.

Nun fängt der Ärger für die schrulligen Hausbewohner erst richtig an. Der gutaussehender Priester Garcia (in sehr feinen Nuancen gespielt von Marcelo Alonso) , der sich auch als Psychologe vorstellt, wird von der „Neuen Kirche“ geschickt, um Licht in das Dunkle zu bringen. Es wird klar, dass es sich um einen Ort der Reue handelt, an den die Geistlichen unter der Obhut der Kirche verbannt wurden. Der Selbstmord soll aufgeklärt werden. Nun entspinnt sich ein Netz von Verleumdungen, Verschleierungen und Verdrängungen. In den Befragungen durch den jüngeren Pater verstehen es die Verbannten geschickt, ihre eigenen Verfehlungen zu beschönigen und zu verdrehen. Es zeigt sich – sie sind sich keinerlei persönlicher Schuld bewusst und entziehen sich der Auseinandersetzung, durch Lügen, Manipulationen oder Verweigerung. Glaubt man anfänglich noch hoffnungsvoll, dass der Aufklärer einen integren Antrieb besitzt, zeigt sich im Verlauf der Geschichte, dass es hier weder Gut noch Böse gibt, nur Grauzonen und Verschleierungstaktiken.

Dem Regisseur ist eine verstörende Gesellschafts- und Kirchenkritik gelungen. Der Film ist durchdrungen von einem alles beherrschenden Dämmerlicht. Nur mühsam durchbricht ab und an ein nebliger Sonnenstrahl am Strande des Meeres das Zwielicht. Lange und langsame Einstellungen auf die Gesichter der Protagonisten und einfache Alltagssequenzen tragen die Geschichte. Wenn wir die sonderbare Männergruppen (alle sehr authentisch und schrullig gespielt)  dabei beobachten, wie sie auf die Verhöre durch den Priester Garcia reagieren, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. So sagt Pablo Larrain im anschließenden Gespräch zu dem Film auch: „Humor kann eine starke Waffe sein.“ Lacht man anfänglich noch über die abstrusen Verhaltensweisen der kauzigen Priester, schleicht sich unmerklich eine erschreckende Verstörung ein. Jeder der Männer hat pädophile Neigungen oder pädophile Handlungen begangen  und all das verübt mit Hilfe der Autorität der Kirche – und ohne ein Anzeichen von Bewusstheit darüber oder Reue. Dabei vermeidet Larrain einen allzu wertenden Blick und zeigt die Priester in ihrem abgeschiedenen Alltagsleben mit Windhunden, beten und strengen kirchlichen Regeln. Das Opfer schreit seine tiefen Verletzungen heraus, die Priester bleiben selbstgerecht und – unberührt. Die Verstörung des geschändeten Jungen Sandokan, der jetzt ein Mann ist (erschütternd gespielt von Roberto Farias),  wird auch deutlich in seiner heutigen sexuellen Verwirrung und Zerstörung seiner psychischen Gesundheit. Er kann nicht gefühlsmäßig erfassen, wie kirchlicher Schutz und priesterlicher Missbrauch zusammengehen können.  Hatte ihm doch ein Priester als Kind versichert: „Wenn du meinen Samen schluckst, kommst du in den Himmel.“ Solche intimen und deutlichen Einblicke in autoritäre  Missbrauchsformen legt Pablo Larrain schonungslos frei. Schon dafür ist ihm zu danken. Als die Aufklärung der Missbräuche an ihre Grenzen gerät, wird ein Sündenbock gebraucht. In einer nächtliche Szene ermorden die scheinheilige Schwester (Antonia Zegers) und einige der Priester sämtliche Windhunde des Dorfes, samt der geliebten eigenen. Die Schuld wird auf ein Missbrauchsopfer geschoben. So wird das damalige Opfer erneut zum doppelten Opfer. Ein nicht unübliches Verfahren bei autoritären Missbrauchstaten, sei es in der Gesellschaft, sei es in der Kirche.  Doch der „Aufklärer“ der Kirche, Pater Garcia, scheinbar Teil des Komplotts,  ist schlauer als die verschworene Gemeinschaft, auch er benutzt letztendlich mitleidslos den Missbrauchten, schafft es aber, im Sinne der Kirche, einen Deckel darauf zu tuen und auch zu vertuschen und schickt die Büßer, die nicht büßen wollen, auf einen weiteren Opfergang.  Die Priester singen derweil lammfromm gemeinsam ein Kirchlied.
 
Ohne auch nur ein einziges Mal den moralischen Zeigefinger zu erheben, schafft der Regisseur auf eine leichte, wenn auch mehr und mehr bedrückende Weise das schwierige Thema zu erzählen. In einem schonungslosen Blick legt er Verfehlungen und Vertuschungen der katholischen Kirche frei. Hierbei macht er es dem Zuschauer nicht leicht, denn es gibt weder Gut noch Böse und ein offenen Ende. Doch gerade darin mag auch die Stärke und Kraft des kunstvoll schwebendem Film und auf feine Weise beobachteten Filmes liegen. Die nicht erfolgreiche Identifikation mit einem der Darstellenden, stellt den Zuschauer vor eine Herausforderung und regt zur eigenen Reflexion über derartige Missstände, Heucheleien und Vertuschungen an. Das Spiel ist verstörend und beklemmend, zeigt aber um so deutlicher die Scheinheiligkeit und Verleugnung von persönlicher Schuld und die verblendete Legitimation durch irgendeine höhere Instanz oder Autorität der Kirche. Das Opfer muss sich, zusätzlich zu seinen erlittene Qualen, erklären, die Täter entziehen sich oft – in Selbstgerechtigkeit. Es ist ein universelles Thema, das in vielen Ländern eine politische und persönliche hohe Brisanz hat und an die, gerade in Deutschland in jüngster Zeit aufgedeckten und verschleierten, unzähligen Missbrauchsfälle in autoritären Systemen, sei es in Kirche, Pädagogik oder Privaten erinnert.

Das authentische Spiel der Darstellenden, der mit einfachen Mitteln und zurückgenommen gedrehte Film, ein symbolisch zu verstehende Grauschleier über dem Werk, die Widersprüchlichkeit der Figuren, langsame Einstellungen und überraschende Wendungen und die dunklen Geheimnisse machen die Geschichte zu einem höchst beklemmenden Ereignis. Pablo Larrain zeigt sich als Meister der Zwischentöne und beherzter Kritiker der katholischen Kirche. Ein wichtiger und höchst sehenswerter Film, ob der künstlerischen Leistung als auch der Bedeutung des dargestellten Themas und ein höchstverdienter Preisträger des Silbernen Bären. Dem Regisseur gelingt es das schwierige Thema auf eine leise und leichte Weise zu erzählen und gleichermaßen eine äußerst verstörende Wirkung zu erzielen. Das ist schon eine Meisterleistung.  

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Originaltitel: El Club
Land: Chile
Jahr: 2015
Dauer: 98 Minuten
Regie: Pablo Larraí­n
Buch: Daniel Villalobos, Guillermo Calderón, Pablo Larraí­n
Kamera: Sergio Armstrong
Schnitt: Sebastián Sepúlveda
Darsteller: Roberto Farí­as (Sandokán) ,Antonia Zegers (Schwester Mónica), Alfredo Castro (Priester Vidal), Alejandro Goic (Priester Ortega), Alejandro Sieveking (Priester Ramí­rez), Jaime Vadell, (Priester Silva), Marcelo Alonso (Priester Garcí­a), Francisco Reyes (Priester Alfonso), José Soza (Priester Matí­as)

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