Eine spritzige Petitesse von Johann Nestroy und Jacques Offenbach – „Häuptling Abendwind oder das gräuliche Festmahl“ an der Volksoper Wien

In der Mitte: Carlo Hartmann (Häuptling Abendwind), Ensemble

In unserer zweibändigen Nestroy-Ausgabe haben wir das Stück nicht gefunden, aber die Uraufführung fand am 16. Mai 1857 in Paris und die Erstaufführung in Österreich am 1. Februar 1962 in Wien statt und nun erstmals die Premiere am 25. Oktober an der Volksoper Wien. Einen Jux wollt er sich machen, der immer noch neue Intendant Robert Meyer, der inszeniert und einen der Häuptlinge auf der Bühne gibt, einen übrigens, den man glatt mit Gaddafi verwechseln könnte, was gewollt ist. Robert Meyer hat dies Stück so etwa dreißigmal als Solo auf der Theaterbühne gegeben und hat für die Volksoper ein ganz bestimmtes Arrangement getroffen: Statt der ursprünglichen 25 Musiker hat er ein kleines Orchester mit Tarnhauben aus Südseegras auf die linke Hälfte der Bühne gesetzt, die von Béla Fischer, der Offenbachs Musik stutzte, angeführt werden. Rechts hat Peter Notz die dazupassende Landschaft imaginiert. Da reicht schon eine Palme, Strand und Horizont. Auch eine Hängematte, vor allem aber das schon beim Eintreten hörbare Vogelgekreische. Ach, da trocknet auch noch Wäsche auf der Leine, denn ’Häuptling` ist ein großes Wort, was meint, daß da einer auf einer Insel herrscht, auf der es aber nichts mehr auszubeuten gibt, ja nicht mal mehr etwas zu essen, gerade noch so ein paar dünne Tunichtguts der Großluluerer sind dem dicken Herrscher als Sklaven geblieben, die nicht mal zum Aufessen taugen. Phantasiewesen, die wie alle anderen von Doris Engl mal im Südseekostüm mal überzeitlich angezogen wurden.

Auf der Nachbarinsel haben die europäischen Banausen schon Einzug gehalten, die man, wo man konnte, verspeiste, und der hier Bayrisch sprechende Biberhahn, Häuptling der Papatutu (Robert Meyer) kommt zum Staatsbesuch zum Wienerisch sprechenden Abendwind (Carlo Hartmann), um das gemeinsame Vorgehen der Südseeler festzulegen gegen diese Fremden, die nur zum Aufessen nützen. Also suchen die Großluluerer nach einem und sie werden fündig. Denn Häuptlingstochter Atala – Elisabeth Schwarz in Spiel, Weanerisch und Gesang einfach herzig – hatte nämlich einen Fremden, dessen Schiff gekentert war und der als einziger überlebte, begrüßt und sich ein wenig mit ihm angefreundet und ahnt schon Schlimmes, als der Vater diesen mit dem Koch wegschickt. Dann findet sie im Festmahl dessen Uhr und noch so manches.

Währenddessen erzählt Biberhahn dem erst gebannt zuhörenden, dann schlotterndem Abendwind, daß er seinen nach Europa geschickten Sohn zurückerwarte und das Schiff noch ausstehe. Was tun? Gut macht das die Inszenierung, daß bei den inneren Reden der beiden Häuptlinge, die ihre durchaus gemeinen Absichten und Gehirnwindungen offenlegen, das Licht auf der Bühne abgeschaltet wird, blitzschnell auch wieder eingeschaltet, so schnell wie eben Gedanken sind. Denn da gibt es viel zu denken zwischen den beiden, haben doch diese Herren Kannibalen die Damen des jeweils anderen verspeist, gehen jedoch beide davon aus, daß der andere das nicht mitbekommen habe. Also wirklich wie im richtigen Leben, wenn man damit die Befriedigung anderer leiblichen Genüsse meint. Aber auch die lauthals von sich gegebenen Gefühle der beiden sind handfest: „Na, a bisserl ein’ Fortschritt, da halt` ich mich nicht auf dagegen, aber wie’s mir z’ dick kommen mit der Zivilisation, schmeiß` ich s` alle ins Meer.“, rülpst Abendwind beim Festmahl – der gekochte, gebratene und gesottene Fremde – während Biberhahn doziert: „Vor Jahren, wie die ersten gekommen sind, hab` ich anders gedacht; jetzt aber hab` ich einen Haß, einen Pick auf alles Gebildete, ich merze ihn aus, den Fortschritt! – Kultur, Fortschritt, Zivilisation, alles merz` ich aus.“

So schlimm kommt’s aber erst mal nicht. Denn es stellt sich die Bauernschläue des angeblich Fremden (Christian Drescher) als die des vermißten Häuptlingssohns Arthur heraus, der dem Koch ein Ohr abschwatzte und diesen bewog, statt seiner den Lieblingsbär des Häuptlings zu braten, worüber Abendwind nun, da der Fremde sein Schwiegersohn wird, blendend hinwegkommt. Ungerecht den Koch, der mit Heinz Zuber auch etwas Chinesisches auf die Bühne bringt, nicht zu erwähnen. Noch ungerechter, all die anderen namenlos zu lassen, die als Bär, Bärenführer Papatutuaner und Großluluerer mit zu einem amüsanten Abend beigetragen haben, zusammen mit dem klitzekleinen Orchester. Aber so ist das Leben und die Artikelschreiberei auch. Sprechen wir also von einer richtig guten Ensembleleistung.

Scharfzüngige Petitessen sind auch in der Aufführung versteckt, worauf Robert Meyer hinweist. Wenn Nestroy von ’nazinal` spricht, meinte er damals ’national` und dies Wörtchen findet man es auch in den späteren Ausgaben. Aber heute hat das ursprüngliche ’nazinal“ eine geschichtlich aufgeladene zweite Bedeutung, so daß tatsächlich ’nazinal` mehr sagt, als schlicht national. So könnte man viele kleine inszenatorische Überlegungen groß herausstellen. Aber darum geht es uns nicht. Man muß das nicht bedeutender machen als es als ein kleiner großer Spaß ist schon ist. Wir haben uns amüsiert und auch darüber, wie begeistert der Wiener im Publikum auf die wilden Wiener auf der Bühne alias Wilde der Südsee reagierte. Wenn das Nestroy noch erlebt hätte

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Walter Schübler, Nestroy. Eine Biographie in 30 Szenen, Residenz Verlag 2001

Nutzen Sie die Aufführung, in der Leben- und Werk vereinenden Biographie nachzulesen, die anläßlich des 200sten Geburtstages – 7. Dezember 1801 – dieses Theatergenius Johann Nestroy herauskam. Es lohnt.

Internet: www.volksoper.at

Reiseliteratur: Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22.oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.

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